Wie geht gutes Zuhören? Mit Bernhard Pörksen
Shownotes
Wie wichtig Zuhören sein kann, zeigt sich auf bundespolitischer Ebene immer wieder. Diese Woche waren die Debatten rund um die Rechtsprofessorin Frauke Brosius-Gersdorf ein besonders gutes Beispiel dafür. Hätten Jens Spahn und Friedrich Merz genauer bei der Parteibasis hinhören können und sollen, um die Stimmung gegen Brosius-Gersdorf bei einigen in der Union besser einzuschätzen? Doch wie gelingt es überhaupt, gut zuzuhören – wirklich zuzuhören? Und können wir das in Zeiten, in denen Debatten hitzig geführt werden und die kollektive Aufmerksamkeitsspanne schrumpft?
Über all das spricht Anne Will in der heutigen Folge mit ihrem Gast Bernhard Pörksen. Er ist Professor für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen und Autor des Buches „Zuhören – Die Kunst, sich der Welt zu öffnen“.
Der Redaktionsschluss für diese Folge war Mittwoch der 16. Juli um 20:00 Uhr.
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WICHTIGE QUELLEN:
ZDF, Markus Lanz vom 15.07.2025
DIE ZEIT, "Manchmal muss man Quatsch einfach Quatsch nennen", 03.04.2025
SRF Kultur, Sternstunde Philosophie: Bernhard Pörksen: «Wir hören, was wir fühlen», 10.02.2025
DIE ZEIT, "Wir brauchen das Lachen, auch im Krieg", 11.12.2022
Bernhard Pörksen, Zuhören – Die Kunst, sich der Welt zu öffnen, 2025
IMPRESSUM: Redaktion: Melisa Gürleyen Executive Producerin: Marie Schiller Producer: Lukas Hambach, Patrick Zahn Sounddesign: Hannes Husten Vermarktung: Mit Vergnügen GmbH Eine Produktion der Will Media GmbH
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00:00:00: Wie höhst du Sprachnachrichten ab, wenn du dann welche bekommst, gelassen, genervt mit
00:00:05: anderthalbfacher Geschwindigkeit, am liebsten gar nicht? Oder wie machst du das?
00:00:09: Ziemlich altmodisch, genervt. Ich denke, warum können die jungen Menschen nicht mehr telefonieren?
00:00:14: Ach so, du würdest lieber telefonieren, ja?
00:00:16: Ich würde lieber telefonieren. Das meiste lässt sich, das ist ja wie so ein Zeitverzöger,
00:00:21: das telefonieren. Also eine Telefonierverweigerung, die oft was wahnsinnig ineffektives hat.
00:00:28: Also man schickt dann 13 mal irgendeine Sprachnachricht hin und her, um etwas sehr
00:00:32: Simples zu leisten, nämlich eine Verabredung, die sich in einem tatsächlichen Dialog mit
00:00:37: sofort austauschen, unmittelbar klären wie sie.
00:00:39: Wir wollen über das Zuhören sprechen, Bernhard, und da spielt sowas auch eine Rolle. Schön,
00:00:45: dass du da bist.
00:00:59: Was könnte es eigentlich für ein besseres Thema für einen Podcast geben, als das Zuhören?
00:01:12: Ich glaube, das geht eigentlich gar nicht besser. Deshalb freue ich mich total, dass nicht
00:01:17: nur ihr dabei seid und uns zuhört. Herzlich willkommen dazu freut mich, sondern das Bernhard
00:01:23: Perksen. Unser Gast ist, der ein ganzes Buch über das Zuhören geschrieben hat, Untertitel
00:01:27: "Die Kunst, sich der Welt zu öffnen". Herzlich willkommen, Bernhard. Freue mich, dass du da
00:01:32: bist.
00:01:33: Wunderbar, ich freue mich auch sehr.
00:01:34: Danke, dass du dir die Zeit nimmst und nicht du zu dich, denn wir kennen uns. Aber manche
00:01:39: unserer Hörerinnen und Hörer hat dich auch schon gelesen, gehört im Fernsehen gesehen,
00:01:44: kennt vielleicht manche eine deiner Arbeiten. Ich will dich aber dennoch vorstellen, du
00:01:48: bist Professor für Medienwissenschaft in Tübingen an der Universität dort. Du arbeitest seit
00:01:53: langem an den Fragen gelingender Kommunikation guter Gespräche über die Kunst des Miteinanderredens,
00:02:01: wie eines deiner Bücher heißt. Hast du gleich aber auch über mislingende Kommunikation
00:02:07: oder aber Krisenkommunikation, die auch mislingen kann, gerade im Verlauf von Skandalen oder
00:02:12: Affären viel geforscht, hast über die gesellschaftlichen kommunikativen auch Kommunikationszerstörenden
00:02:21: Folgen der Digitalisierung nachgedacht, nun also dein Buch über das Zuhören. Dafür
00:02:27: hast du, habe ich verstanden, zehn Jahre lang gebraucht. Warum? Was hat dich da aufgehalten?
00:02:33: Ich glaube, ich habe mich letztlich selbst aufgehalten. Also ich habe schon 2015, 2016
00:02:39: über diese Themen nachgedacht. Welche Formen des Zuhörerns gibt es eigentlich getrieben
00:02:44: von so einer gewissen Faszination? Was macht das Zuhören eigentlich zu so einer elementaren
00:02:50: von Kommunikation? Man kann ja eines mit Gewissheit sagen. Ohne wirkliches Zuhören ist alles
00:02:56: nichts. Gibt es kein Podcast, gibt es kein Miteinanderreden, gibt es keinen ausreichend
00:03:02: respektvollen Streit, gibt es keine Versöhnung, gibt es gar nichts. Aber ich selbst habe mich
00:03:09: so schwer getan mit diesem Thema, weil im Hintergrund dieses Buches ein persönliches
00:03:17: Erleben steht. Ich würde sagen, selbstkritisch sagen, ich habe in einem sehr entscheidenden
00:03:22: Moment meines Lebens nicht genau genug zugehört, nicht genau genug hingehört und bin sozusagen
00:03:30: vertraut geworden mit der ungeheuren, einmal menschlichen Neigung zur Ignoranz.
00:03:36: Das beschreibst du im Übrigen auch im Buch, glaube ich, wenn ich dich richtig da verstanden
00:03:42: habe, eine Situation, die ausschlaggebend war. Du umkreist, so schreibst du, endlos ein diffuses
00:03:50: Zentrum des Themas und ziehst dich dann mit einem Freund drei Tage lang in ein Hamburger
00:03:56: Zimmer zurück, prallst erstmal mächtig damit, was du alles gelesen hast mit deinem Bücherwissen,
00:04:04: mit Studien, Statistiken, die du in und auswendig kennst. Welche Bücher du gut fandst, wenige
00:04:12: Bücher gut fandst und er hört dir auch geduldig zu, fragt aber dann immer mal zum Teil auch
00:04:17: hart, so beschreibst du das und zupackt nach, dass du und bist du endlich auf den Trichter
00:04:22: kommst, dass du von dir selbst erzählen musst. Warum war das der witz für ein Buch, was
00:04:27: dann fäsig aber nicht von dir handelt?
00:04:29: Weil ich verstanden habe, dass dieses persönliche Sprechen absolut entscheidend sein kann,
00:04:37: ich will das mal konkret machen, ich stand 2007 in der Wohnung meiner Eltern an dieser
00:04:42: alten Kirschholzkommode, bin einem Buch geblättet, das ehemaligen Starrpädagogen Hartmut von
00:04:47: Hintig, inzwischen tief gefallen und laß da so herum und war abgestoßen angewidert
00:04:53: von dieser Angeberprosa, ich kannte sie alle, die Döhnhofs, die Kichtstee, Weizigas usw.
00:04:59: Also ein akademisches Angeberturm und es gab bei der Lektüre dieses Buches so für mich
00:05:06: ein merkwürdiges Leben, man kann ja manchmal auch nicht gesagtes, halbgesagtes, nicht wirklich
00:05:13: gesagtes hören, gleichsam zwischen den Zeilen hören, hören, was Wunder oder zwischen den
00:05:18: Worten liegt und ich habe mich gefragt bei der Lektüre, wer ist eigentlich dieser lebensgefährte
00:05:24: von Hartmut von Hintig, Gerhard Becker, ich hatte den Namen noch nie gehört, der da
00:05:27: als pädagogisches Wunderwesen gefeiert wird und habe dann aus einer Intuition heraus
00:05:32: begugelt und festgestellt im Netz ist, dass dieser Mann anders als im Buch kein pädagogisches
00:05:39: Wunderwesen, sondern ein schwerer Missbrauchstäter, der Haupttäter an der einst gefeierten Odebendballschule,
00:05:47: einer Schule im stillen Tal von Oberhambach und ich ab intuitiv den Missbrauchsbetroffenen,
00:05:56: die sich da im Netz artikulierten geglaubt, dann ein paar Monate lang in den bekannten
00:06:04: Kreisen zwischen Hintig und meiner Familie, die sich irgendwie überschnitten nachgefragt
00:06:09: und nachgeforscht und das Thema irgendwie aufgrund all der hingehauchten Appelle, jetzt
00:06:14: lass mal, es ist schwierig, es ist eklig, wieder fallen gelassen. 2010 ist es dann zum Skandal
00:06:19: explodiert, da hat ein junger Reporter der Frankfurter Rundschau eigentlich ein Artikel, den er 1999
00:06:25: schon einmal veröffentlicht hatte, nämlich Missbrauch durch Gerald Becker an der berühmten
00:06:29: Odebendballschule nochmal veröffentlicht. Und da war auf einmal das Thema da, denn 1999
00:06:37: war alles in der Öffentlichkeit, in der Frankfurter Rundschau publiziert, lag alles offen da,
00:06:44: keine Zeitung hat sich darum gekümmert, niemand hat es aufgegriffen, ein merkwürdiger Fall
00:06:49: des gesellschaftlichen Nichts zu hören. 2010 veröffentlichter selber Reporter Miramina
00:06:54: den selben Artikel noch einmal und auf einmal maximale Aufregung, alle Leitmedien greifen
00:07:00: die Geschichte auf, Tausende von Publikationen. Und in dieser Zwischenzeit, zwischen 1999
00:07:07: und 2010 ist so etwas entstanden, was man eine kollektive Zuhörbereitschaft nennen könnte.
00:07:15: Wie ist es passiert, der Langstreckenlauf der Betroffenen unendlich wichtig, eine Schulleiterin,
00:07:20: die auf einmal die Tür öffnet, auch weil sie eine persönliche Geschichte mit dem Thema
00:07:25: hat, eine veränderte gesellschaftliche Wahrnehmung, Menschen, die registrieren, dass eben Priester
00:07:33: und auch die hohe Priester der Reformpädagogik fehlbar sein können aufgrund all der Missbrauchsberichte,
00:07:40: die man gehört hat, über die Kirchen. All dies spielt zusammen ein neues Medienzeitalter,
00:07:45: Social Media Betroffene können sich in einem Blog vernetzen oder über Facebook oder über
00:07:52: andere soziale Medien treffen und aneinander Kraft geben. All dies spielt zusammen. Und
00:07:57: meine eigene Frage, warum habe ich selbst damit damals nicht genau hingehört, warum bin
00:08:03: ich nicht meine Intuition gefolgt, wie funktioniert das gesellschaftliche Zuhören, wie kann es
00:08:09: sein, dass eine Gesellschaft so lange etwas wissen kann und doch ignoriert. Meine eigene
00:08:14: wissende Ignoranz und die wissende Ignoranz der Gesellschaft, die hat mich unendlich beschäftigt
00:08:19: und deswegen musste ich das am Beginn dieses Buches, obwohl es mir als Wissenschaftler
00:08:25: unendlich schwer gefallen ist, persönlich zu schreiben, in Eichform zu schreiben, eine
00:08:32: biografische Geschichte zu erzählen, auch weil ich denke, ich bin letztlich nicht wichtig.
00:08:36: Aber wurde mir klar, ich muss dies tun, weil eigentlich das Zuhören eine höchst private,
00:08:47: oft unsichtbare Angelegenheit ist. Es ist ja so in unserem Inneren dann so ein Austragungsprozess.
00:08:53: Wollen wir dem anderen glauben, welche Risiken hat das, wenn wir wirklich zuhören, was passiert
00:09:01: mit dem eigenen Image oder der Wahrnehmung von Person oder Institutionen, die man gerade
00:09:06: noch verehrt hat, wenn man wirklich zuhört und die Zentralthese, also ganz kurz, es gibt
00:09:13: eigentlich zwei Formen des Zuhörens, zwei Formen der Aufmerksamkeit, eine von der egocentrischen
00:09:20: Aufmerksamkeit, ein Ich-Ohr-Zuhören, orientiert an der Frage, erscheint mir das, was mir
00:09:27: der andere sagt, plausibel. In Wahrheit hört man sich vor allem selbst, geleitet von der
00:09:33: eigenen Perspektive, den eigenen Filtern. Und dann gibt es einen, würde ich sagen,
00:09:37: Du-Ohr-Zuhören, nicht egocentrische Aufmerksamkeit, geleitet von einer ganz anderen Frage, nämlich
00:09:43: in welcher Welt ist das, was der andere mir sagt war, in welcher Welt stimmt es, in
00:09:48: welcher Welt ist es plausibel? Also den anderen in seiner Andersartigkeit zu erkennen, in
00:09:55: seiner Schönheit, in seiner Fremdheit und seinem Schrecken. Darum geht es eigentlich
00:09:59: beim wirklichen Zuhören. Ich verstehe Zuhören in diesem Sinne als ein Bild oder seine Metapher
00:10:03: für Offenheit. Wie geht wirkliches echtes, wie geht gutes Zuhören, das will ich in dieser
00:10:10: Folge mit Dir besprechen. Wie macht man das andersrum? Warum genau soll gutes Zuhören eigentlich
00:10:16: so schwer sein, wenn wir doch dauernd jemandem zuhören und uns eigentlich in Wahrheit permanent
00:10:22: darin üben, auch üben könnten, die jeweils andere Perspektive desjenigen einzunehmen,
00:10:28: mit dem wir da gerade sprechen, so wie Du es schon angedeutet hast, was ich gleich vertiefen
00:10:32: will mit dem Ich und dem Du-Ohr. Was hindert uns daran, uns gut zuzuhören, uns mit der
00:10:38: Position eines oder einer anderen respektvoll gründlich und differenziert auseinanderzusetzen
00:10:45: und eben nicht auf Verkürzungen, Verzerrungen und Kampagnen reinzufallen. Das interessiert
00:10:50: mich in dieser Woche auch ganz besonders. Heute ist der 17. Juli 2025, in der wir ja beobachten.
00:10:57: Das hat eine riesige Aufmerksamkeit gefunden. Zu Recht, wie ich finde, weil es unwahrscheinlich
00:11:02: viel schichtig ist, was wir da jetzt gerade erleben und von großer Tragweite, wie ich
00:11:08: meine. Also wir beobachten, wie mit der Rechtsprofessorin Frau Kebrosius Gerstoff umgegangen wird,
00:11:14: der, so denke ich, genau nicht aufmerksam und gründlich zugehört worden ist. Ich denke,
00:11:22: das ist eigentlich auch, weil es heute so prima passt, ein wirklich gutes Beispiel für
00:11:26: es nicht zuhören. Denkst du auch? Ja, dem stimm ich zu. Man sieht hier die Wirkung
00:11:32: einer Desinformationskampagne, die ungeheure Geschwindigkeit, mit der eine gar nicht so
00:11:37: sehr in der Öffentlichkeit und Lichteröffentlichkeit stehende Professorin sich auf einmal in eine
00:11:42: vermeintlich betrohliche, potenzielle Bundesverfassungsrichterin verwandelt, verwandelt wird. Und man sieht
00:11:52: hier auch, wie solche Feindbilder, Aufbauschungen aus dem Kontext gerissene Zitate, Äußerungen,
00:12:03: dann ein Image umprägen und formatieren. Und jetzt haben wir in der Ampelkoalition
00:12:11: einen weitgehend unlösbaren Konflikt. Die SPD hat sich festgelegt, die CDU hat sich festgelegt,
00:12:19: März und Spahn haben erkennbar kaum Gespür für die Stimmungen in der eigenen Partei
00:12:25: unter den einzelnen Abgeordneten. Und ich stimme den zu. Es ist in der Tat ein Beispiel
00:12:31: für misslingende, entgleisende, von Diffamierung gezeichnete Kommunikation. Aber, und ich versuche
00:12:39: es ja immer, aus einer doppelten oder auch leicht wissenschaftlich Perspektive zu beobachten.
00:12:45: Es ist auch ein Beispiel, wenn wir Frau Prosius Gerstoff nehmen, wenn wir ihre Krisenkommunikation
00:12:53: betrachten, auch ein Beispiel gelungener Krisenkommunikation. Sie hat eigentlich alles gemacht nach
00:12:59: einem Lehrbuch von Krisenkommunikation. Sofort, gegengehalten, interveniert, ganz unterschiedliche
00:13:05: Plattformen gesucht, abwägend auch manche Formulierungsschwäche eingeräumt. Das ist also in vielerlei Hinsicht
00:13:16: aufschlussreich zu beobachten. Finde ich auch. Deshalb bist du da auch so ein idealer Gesprächspartner
00:13:22: für, weil du dich mit vielen Ebenen der Kommunikation, etwa auch der Krisenkommunikation im Laufe
00:13:30: von Skandalen oder Affären beschäftigt hast. Ich will noch mal kurz nacherzählen und dann
00:13:37: auch mit dir die Frage diskutieren, ob es wirklich im politischen Raum oder für den
00:13:41: politischen Raum jetzt eine gute Entscheidung war, wie sie sich verteidigt. Da gibt es ja
00:13:46: auch Gegenstimmen. Aber vielleicht kurz noch mal nacherzählt. Wir haben zwar da schon
00:13:50: eine Folge zugemacht, diese Woche mit Feid Medik, die empfehle ich euch auch. Aber für
00:13:55: alle, die nicht die Zeit dazu hatten, Brosius Gerstdorf sollte im Bundestag als eine der
00:14:00: drei Richterinnen für das Bundesverfassungsgericht gewählt werden. Vorgeschlagen hatte sie die
00:14:05: SPD und der dafür zuständige Wahlausschuss hatte sie auch schon mit zwei Drittel Mehrheit
00:14:11: gewählt, auch mit den Stimmen von CDU und CSU, was später wichtig wird. Dann baut sich
00:14:17: aber seit anderthalb Wochen immer mehr Widerstand gegen Brosius Gerstdorf, vermeintliche Positionen
00:14:24: auf, muss man sagen, vermeintliche Positionen in Sachen Impfpflicht, Kopftuchverbot für
00:14:30: Staatsbedienstete, AfD-Verbot, hauptsächlich aber in Sachen, und das ist ein hoch emotionalisierbares
00:14:37: Thema, wird immer wieder auch von Rechtspopulisten genutzt, um Stimmungen zu machen oder aber
00:14:43: um eigenes Denken ins Werk zu setzen. Also hauptsächlich hat Widerstand ausgelöst ihre
00:14:50: vermeintlichen, das ist so wichtig, Positionen in Sachen Menschenwürdigarantie und Legalisierung
00:14:56: von Schwangerschaftsabbrüchen. Und das eben auch in der Bundestagsfraktion der Union,
00:15:02: außerdem bei manchen Kirchenvertretern der AfD, in rechtspopulistischen Medien, in extremen
00:15:08: rechten Netzwerken, die Frau Brosius Gerstdorf gezielt falsch verstehen wollen, verunglimpfen
00:15:15: wollen und das klare Ziel haben, dass sie ihre Wahl zur Verfassungsrichterin verhindern
00:15:23: wollen. Das ganze Gipfelte dann darin, dass sie in Spanien und Friedrich-März die Wahl
00:15:26: der Verfassungsrichter*innen ins B kurz vor knapp abgeblasen haben und auf irgendwann,
00:15:32: weiß nicht wann, vertagt haben. Ein Desaster muss man sagen, nicht zuletzt auf dem Rücken
00:15:38: einer hoch angesehenen Wissenschaftlerin ausgetragen, die verunglimpft wird, die gedemütigt wird,
00:15:45: die andauernd und immer fort superverkürzt verstanden wird, wie wohl das ihr Denken
00:15:53: auszeichnet, dass sie komplex denken kann, dass sie sauber abwägt. Man hätte es vielleicht
00:16:01: verhindern können, dass es soweit gekommen ist, wenn man Frau Brosius Gerstdorf wirklich
00:16:07: gut zugehört hätte, sich mit ihrer wissenschaftlichen Arbeit als wissenschaftliche Arbeit beschäftigt hätte,
00:16:14: auch mit ihrer Rolle als Wissenschaftlerin. Sie ist ja keine Politikerin, sie ist eine
00:16:20: Wissenschaftlerin, die dann einen Rollenwechsel vornehmen wird, dessen sie sich sehr bewusst ist.
00:16:27: Glaubst du, man hätte es verhindern können oder ist diese Kampagne, du siehst eine Kampagne da,
00:16:36: so wirkmächtig, dass das alles gar nichts mehr geholfen hätte, dann wäre das ja ein ganz
00:16:42: finsterer Befund für nächste Personalfragen. Nun in der Tat, also ich persönlich sehe
00:16:51: wenig Auswirkmöglichkeiten, wenn sich einzelne Player entschieden haben, nun mit dieser Härte,
00:16:57: dieser Wucht und auch dieser Bereitschaft, einzelne Positionen zu verzerren. Das sind ja
00:17:02: auch Positionen, an denen man durchaus im Einzelnen die Debatte über die Impfpflicht auch Kritik
00:17:08: haben kann, das würde ich auch sagen, da hätte ich sofort der Differenz, oder sie würde vielleicht
00:17:14: auch heute manches anders formulieren und hat ja auch genau dies angedeutet. Aber wir sehen hier
00:17:20: am Grunde genommen aus meiner Sicht, wenn ich das sozusagen kommunikationsanalytisch betrachte,
00:17:25: so ein Übergang von der Mediendemokratie alten Types, organisiert und mächtige
00:17:30: politistische Machtzentren, klassische Zeitungen herum, zu dieser Empörungsdemokratie der
00:17:36: digitalen Gegenwart. Auf einmal haben wir eine ganz große Erregungsarena, auf einmal können
00:17:40: die ganz unterschiedliche Player mitspielen. Das ist auch mal unabhängig von diesem Beispiel,
00:17:45: nicht nur schlecht, das ist gut, wenn viele Menschen eine Stimme haben. Aber wir sehen
00:17:49: Leute, die eine E-Mail-Kampagne starten mit diesen vorgefertigten E-Mails. Wir sehen einzelne
00:17:55: Portale, die unglaublich hart und mit einer großen Intensität nachsetzen. Wir sehen die Versuche
00:18:05: auf die Bundestagsabgeordneten massiven Druck auszuüben und es passiert etwas, was man vielleicht
00:18:11: so eine symbolische Aufladung einer Person nennen könnte. Also auf einmal wird das zu einer prinzipiellen
00:18:21: Lebens- und identitätspolitischen Entscheidung. Wie stehe ich zu ihr? Wie stehe ich zu ihrer vermeintlichen
00:18:29: Aussagen, die es die Abtreibungsdebatte erwähnt, so nicht gegeben hat und alle Beteiligten werfen
00:18:40: sich nun mit Macht in die öffentliche Arena. Auch das ist ein Konfliktverschärfungsmittel
00:18:47: bei Excellents, also Geschwindigkeit, je schneller die Überhitzung, das zu intensiver der Konflikt
00:18:55: und alle werfen sich im Licht der Öffentlichkeit in die Debatte hinein. Also je öffentlicher,
00:19:04: das so schwieriger wird es auch, eine Position wieder zu nourcieren, abzuräumen, der Erzbischof,
00:19:12: der sie ja in furchtbarer Weise angegriffen oder attackiert hat. Eigentlich eine Äußerung,
00:19:17: von der man kaum noch herunterkommt. Er hat gesprochen von einem Abgrund von Menschenverachtung.
00:19:22: Absolut. Und will jetzt missverstanden sein, das ist eine Form von Kommunikation, wo ich
00:19:28: sage, das ist keine gelungene Krisenkommunikation. Hier steht man womöglich entsetzt vor den
00:19:34: Effekten der eigenen Selbstpositionierung. Also hier sollte man vielleicht sagen, man
00:19:39: hat einen Fehler gemacht. Auch das könnte ja vielleicht für den einen und anderen Erzbischof
00:19:43: eine Frage kommen. Aber man sieht, wie unter einem Brennglas, wie sich unter den gegenwärtigen
00:19:51: Medien- und Kommunikationsbedingungen Konflikte aufbauen und wie sie einen Überhitzungs- und
00:19:58: Festigkeitsgrad erreichen, der sie fast unlösbar erscheinen lässt.
00:20:04: Frau Gebrosius Gersthoff ist ja jetzt diese Woche in die Offensive gegangen. Du hast
00:20:10: das schon angesprochen. Sie hatte sich bislang zurückgehalten, so wie sich das auch gehört.
00:20:15: Wir haben das auch bisherige Kandidat*innen für dieses Amt eines Richters, einer Richterin
00:20:22: des Bundesverfassungsgerichts gehalten. Die waren aber auch nicht in der Not von Frau
00:20:27: Gebrosius Gersthoff. Nun entscheidet sie sich zunächst eine Stellungnahme zu veröffentlichen,
00:20:31: in der sie nochmal sehr genau klar macht, wie denn eigentlich ihre Position in Wahrheit
00:20:36: ist. Und sie hat sich entschieden, zu Markus Lanz in die Sendung zu gehen und hat da gesagt,
00:20:42: das fand ich ein sehr interessantes Zitat. Es geht nicht mehr nur um mich, Herr Lanz.
00:20:48: Es geht auch darum, was passiert, wenn sich solche Kampagnen und es wahr in Teilen eine
00:20:53: Kampagne durchsetzen, was das mit uns macht, was das mit dem Land macht, mit unserer Demokratie.
00:21:00: Das muss ich abwägen. Was macht es? Denkst du, was passiert, wenn sich solche Kampagnen
00:21:07: durchsetzen?
00:21:08: Nun, ich glaube, das ist inzwischen ein ganz gut untersuchter Effekt. Wir haben Einschüchterung
00:21:14: als eine mögliche Folge. Leute ziehen sich in einem voraus eilenden Opportunismus, in
00:21:23: einer Angst, in einem Versuch, sich wegzuducken, zurück, bewerben sich gar nicht für öffentliche
00:21:29: Ämter, verlassen ihr eigenes Amt vorzeitig. Wir sehen das bei manchen Politikerinnen
00:21:37: und Politikern, wir sehen das bei Menschen, die öffentlich stark angegriffen werden. Aus
00:21:42: meiner Sicht geht es hier auch um die tiefen Effekte von etwas, was man Vernetzte Gewalt
00:21:49: nennen könnte. Also so in diesem Zusammenspiel der einzelnen Player auf der einen Seite,
00:21:55: die Leute, die diese Mailing-Listen starten, auf der anderen Seite einen Bischof, eine
00:22:00: AfD, mit die an dieser Spektakelpolarisierung großes Interesse hat und mit Lust zündelt,
00:22:06: wieder einzelne publizistische Portale spielen zusammen. Und am Ende des Tages entsteht auf
00:22:15: der Seite derjenigen, um die es geht, Angst, das Bedürfnis nach Rückzug. Die Frage muss
00:22:23: ich mir das eigentlich antun. Und wenn man mit Menschen spricht, die solche Betroffene
00:22:30: sind, Vernetzte Gewalt, dann reden die nicht gerne zumal öffentlich über dies. Es ist etwas
00:22:36: peinliches oder Schambesetztes, aber natürlich hat genau dies Wirkung. Man wird taktischer
00:22:44: in der Art der Kommunikation vorsichtiger, bloß keinen Shitstorm-Gewitter auslösen und
00:22:52: man richtet unter Umständen und im Extremfall die eigenen biografischen oder auch Karriereentscheidungen
00:22:58: danach aus. Wie viel Öffentlichkeit - und das gilt insbesondere besonders stark für Frauen - wie
00:23:06: viel Öffentlichkeit kann und will ich mir eigentlich zu. Ich fand sehr beeindruckend, wie sie diesen
00:23:15: Fernsehauftritt für sich genutzt hat, wie konsequent sie immer in der Rolle der, wie sie findet,
00:23:22: hier angesprochenen Rechtswissenschaftlerin geblieben ist. Sie ist da nie rausgegangen, hat auch
00:23:28: immer wieder darauf gepocht, wenn Markus Lanzi, was persönlich gefragt hat, hat sie gesagt,
00:23:33: ich sitze hier in der Rolle der Wissenschaftlerin. Sie hat dann auch nochmal gesagt, wie sehr ihr
00:23:39: Bewusstsein, was die Rolle einer Verfassungsrichterin verlangte und man traut ihr, wie wohl man sie
00:23:47: nicht kennt und da ihr nur zuhört, traut ihr sofort zu, dass ihr das spielend gelingt, eine Rolle
00:23:55: sauber für sich zu durchdenken und sie dann einzunehmen und konsequent beizubehalten. Darauf
00:24:02: besteht sie dann auch immer wieder in diesem Gespräch, dass sie die abwägende Wissenschaftlerin
00:24:07: ist. Sie weiß aus der Rolle der abwägenden Wissenschaftlerin auf verfassungsrechtliche
00:24:14: Dilemmata hin, entschuldigt sich, dass das jetzt vielleicht ein bisschen kompliziert werden könnte,
00:24:18: aber so sei das nun mal. Sie begreift sich nicht als Aktivistin, weiß das mehrfach und ganz
00:24:26: entschieden zurück, dass man ihr das versucht, reinzusingen, dass sie das aber nicht ist und
00:24:30: auch präsentiert sie sich nicht, ich habe es gesagt, als Privatperson, die allerdings zu
00:24:35: erkennen gibt, dann doch, wie sehr sie unter der Massivität der Anwürfe leidet, wie sehr er
00:24:42: umfällt darunter leidet und wie es also doch was mit ihr macht und sie sagt dann, sie würde von der
00:24:49: eigenen Kandidatur absehen, wenn sie das Gefühl hätte, dass dem Bundesverfassungsgericht Schaden
00:24:57: zukommt oder das Verfassungsgericht darunter zu leiden hat oder aber, wenn es eine fulminante oder
00:25:05: veritable Regierungskrise gäbe. Damit hat sie in meinem Verständnis fast ein kleines bisschen
00:25:12: ein Türchen aufgemacht, eine Art von Einladung ausgesprochen, fast weiterzumachen mit dieser
00:25:19: Kampagne, weil du hast ja jetzt für all die, die sie erkennbar mit aller Kraft verhindern wollen,
00:25:26: wie so ein Zielort benannt, an dem das eintreten könnte, dass Frau Brosius-Gerstorff die verfahrene
00:25:33: Situation, die die Union offensichtlich nicht zu lösen, im Stande ist die SPD, sagt bitte,
00:25:39: wir halten an unserem Vorschlag fest, hoch anerkannte Frau, was soll mir denn jetzt darunter?
00:25:44: Du schreibst also, wie käme da man daraus, wenn sie zurückziehen würde, wenn das Bundesverfassungsgericht
00:25:52: also Schaden nehme oder es eine veritable Regierungskrise gäbe. Die Unions, manche Unionsleute, so
00:26:00: muss man richtigerweise sagen, haben gesagt, sie fänds gar nicht gut, dass Frau Brosius-Gerstorff ins
00:26:05: Fernsehen gegangen sei und sich da erklärte und fanden das falsch. Du hast es eben gut gefunden,
00:26:12: nur ich habe mich gefragt, zu wem spricht sie da jetzt eigentlich? Ich würde sagen, sie spricht
00:26:19: in diesem Moment zunächst zu sich selbst, also sie hat sich eine Tür offen gelassen, um wieder
00:26:28: Abstand zu nehmen von diesen möglichen Posten und sie sagt, die Kollateralschäden eines
00:26:36: Festhaltens an dieser Position sind zu gewaltig und sie spricht natürlich auch in Richtung der
00:26:45: jetzigen Koalition, die ein Signal bekommt, unter welchen Bedingungen und mit welcher
00:26:55: Begründung vor allem sie dann von dieser möglichen Nominierung wieder Abstand nehmen würde. In
00:27:03: gewissem Sinne halte ich auch das, wenn man das jetzt rein strategisch betrachtet, für außerordentlich
00:27:10: klug, denn es ist klar, dass natürlich auch vonseiten der Koalitionäre jetzt ein schlichtes
00:27:21: Weg drängen, also man trifft sich im Hinterzimmer und sagt, wir finden eine weitere Kandidatin und
00:27:26: auf die haben wir uns bereits verständigt ein schlechtes Weg drängen, nur um einen massiven
00:27:35: Preis zu haben wäre und mein Eindruck ist, sie möchte diesen Posten ausfüllen, sie hält
00:27:45: sich für geeignet und sie benennt den Preis für die Gegenseite, für den Preis für die
00:27:55: Gegenseite und der ist außerordentlich hoch, also nur wenn der Streit in einer völlig unlösbare,
00:28:04: absurde Weise, nicht betragbare Art und Weise eskaliert, wäre sie bereit in einer Art Schadens- und
00:28:12: Dilemmaabwägung dann aufzugeben. Ich fand es auch hoch anständig natürlich, weil man daran
00:28:21: noch mal sieht, auch einmal mehr, wie sehr sie Wissenschaftlerin ist, wie überzeugt sie vom
00:28:31: Verfassungsgericht ist, vom Grundgesetz. Also mich hat es für sie eingenommen, aber als ich
00:28:39: nachdachte über politische Strategien, auch weil ich deine Arbeit ein bisschen kenne,
00:28:45: darüber wie man eine Krisenkommunikation wirklich, wirklich klug macht, sodass sie dir
00:28:52: nicht selber dann irgendwann noch mehr schadet, da dachte ich, oh, nicht dass ihr das auf die
00:29:00: Füße fällt. Mir ist eine Interview von dir aufgefallen, Bernhard, das hast du im April der
00:29:06: Zeit gegeben, als du dein Buch rausgebracht hast. Da sagst du, wir steuerten auf ein Jahrhundert der
00:29:12: Kommunikationskonflikte zu, auch weil ein neuer Autoritarismus an Macht gewinnt. Erkennst du,
00:29:20: dass auch hier, denn Frau Kiprosius-Gerstof hat auch im Gespräch mit Markus Lanz mehr von der
00:29:25: Gefahr gesprochen, dass das Bundesverfassungsgericht und die dort arbeitenden Richterinnen und
00:29:31: Richter unzulässig politisiert würden, sprich nur noch mit Leuten besetzt, dass diese Posten nur
00:29:38: noch mit Leuten besetzt werden dürfen, die einem politisch genehm sind, ganz so wie es Donald
00:29:44: Trump in den USA macht, die Peace in Polen gemacht hat, Viktor Orban in Ungarn macht.
00:29:50: Siehst du das auch hier? Nein, das sehe ich nicht in dieser Schärfe. Aus meiner Sicht ist es eigentlich
00:29:56: schlechte politische Arbeit, Fehl-Einschätzungen für die auch Friedrich Merz an Denke an die
00:30:06: missglückte Kanzlerwahl, durch die auch Friedrich Merz immer wieder auffällt, also die Unfähigkeit,
00:30:14: reale Stimmungsverhältnisse auch unter den eigenen Abgeordneten einzuschätzen. Ich habe
00:30:20: diese Neumacht des Autoritarismus mit Blick auf die USA formuliert und es gibt ja immer diese
00:30:29: Hintergrunddrohung, die Polarisierung in dieser Weise zunehmen, wie wir sie in den USA völlig
00:30:36: gespaltene Gesellschaft, entsetzliche Formen von Desinformation, höchsten Regierungsstellen,
00:30:43: neue Macht der Big Tech-Unternehmer, die in die gekannter Schamlosigkeit agieren. Also wird dieses
00:30:50: Droh-Szenario auch hierzulande Wirklichkeit, das glaube ich nicht, das ist in mir eine
00:30:54: haltlose Übertreibung. Man muss natürlich auch aus meiner Sicht in der Art und Weise der
00:30:59: Diskursbeschreibung aufpassen, dass man nicht selbst apokalyptisch bestimmt ein Beitrag
00:31:06: leistet, zu schnell den Untergang zu beschwören. Inwiefern aber passiert hier was, was dann doch
00:31:18: vielleicht die eine oder andere Vergleichbarkeit hergibt, dass du eine gezielt ins Werk gesetzte
00:31:29: Kampagne ausgemachte Propaganda zum Schaden einer Frau erlebst, deren politische Haltung denjenigen,
00:31:39: die die Kampagne lostreten, erkennbar nicht gefällt und die alles da dransetzen werden,
00:31:44: auch im Wege von persönlichen Beleidigung von Morddrohungen. Frau Bruseus Gersthoff hat erzählt,
00:31:55: ihre Mitarbeitenden wagen nicht mehr ins Büro zu gehen, weil sie sich da nicht mehr sicher fühlen,
00:32:00: weil es Päckchen gab, die hingeschickt. So, inwiefern läuft das alles auch bei uns jetzt schon mit den
00:32:10: Mitteln, die über digitalisierte Medien einfach mal zur Verfügung stehen und du erlebst, sagen wir,
00:32:22: die Anfänge einer Systemzerstörung? Ich tue mich ein bisschen schwer mit der Antwort,
00:32:31: zwar aus ganz verschiedenen Gründen. Also zum einen würde ich wirklich auf den Unterschied
00:32:36: zwischen den USA und den europäischen bzw. deutschen Verhältnissen bestehen. Wir haben
00:32:41: eine ganz andere Medienlandschaft, wir haben auch einen Vergleichsweise mit den USA vergleichen,
00:32:47: noch eine ganz andere Zeitungslandschaft, der Lokal-Demolismus, der öffentlich-rechtliche
00:32:52: Rundfunk besteht. Und der zweite Grund, warum ich mich schwer tue, ist, dass aus meiner Sicht wir
00:32:58: kommunikationsanalytisch betrachtet eigentlich einen ganz unterschiedlichen Weltenleben. Wir haben
00:33:03: eine Welt voller Hass und Hetze und Diffamierung und Wut und Empörungsgetümmel und großer
00:33:10: Gereiztheit und lauter überschießenden Energien. Und diese Welt, die lernen wir jetzt an diesem
00:33:15: Beispiel gerade kennen, aber es gibt eben auch eine zweite Welt, manchmal einer moralisierenden
00:33:21: Betuligkeit und Hypersensibilität, Triggerwarnung, Safe Space Rhetoric und eine ja vorschnelle
00:33:28: Empfindlichkeit. Und es gibt eine dritte Welt und ich würde sagen, die erleben wir auch in einem
00:33:33: Podcastgespräch wie dem jetzigen, sagen der langsam irgendwie verzögerten, idealerweise
00:33:40: nach der endlichen Erarterung des authentischen Respekts, so wie heute in Unistätten, Unternehmen,
00:33:48: Redaktionen, Schulen, miteinander gesprochen wird. Das kommt medial kaum vor, aber das ist
00:33:53: tatsächlich neu und es ist eine Trift in Richtung des wirklich miteinander Redens. Also ich
00:33:58: würde sagen, es sind echt drei Welten, Hass, Hypersensibilität und authentische Respekt. Und
00:34:03: der dritte Gesichtspunkt, warum ich mich so schwer tue, mit einem akklyptischen oder völlig
00:34:13: düsteren Bild, ich bin eigentlich der Auffassung, als jemand in einer Universität arbeitet, diese
00:34:19: Arbeit mit seinen Studierenden liebt, dieses Denken an Bildung und diskutieren und die Lust am
00:34:25: miteinander sprechen. Ich bin eigentlich der Auffassung, dass man als jemand, der in so einer
00:34:30: Bildungsinstitution arbeitet, bis zum absolut endgültigen Beweis des Gegenteils zu so einem
00:34:36: gewissen Aufklärungsoptimismus verpflichtet ist. Und wenn es, dass man an die Mündigkeit das
00:34:43: andern, das Ringen um das bessere Argument glauben muss und wenn es doch schief geht, hat der
00:34:48: Aufklärungsoptimist bis zum absolut endgültigen Beweis des Gegenteils immerhin das bessere
00:34:52: Leben gehabt. Ist mir natürlich sagenhaft sympathisch, dass du genau so denkst, wunderbar, ich als
00:35:00: Kölnerin, das weißt du, übe mich natürlich auch in ausdauerndem Optimismus. Hier will
00:35:06: ich aber von dir wissen, was macht denn jetzt Frau Brosius-Gerstorff, was machen andere,
00:35:11: die solche Kampagnen abbekommen? Wie stämpft man sich dagegen, gegen die ich nenn sie jetzt
00:35:16: mal, Systemverächter und Demokratie zerstörer? Diejenigen, die also mit Hasse und Hetze arbeiten,
00:35:23: gibt es denn da irgendwie eine Art von Waffengleichheit? Wenn Frau Brosius-Gerstorff, ich bleibe noch
00:35:29: kurz bei dem Beispiel, aber ja auch diejenigen, die ihr beispringen, es mit Differenzierung
00:35:35: versuchen, mit Präzision, mit wissenschaftlicher Genauigkeit, treffen aber ja auf eine ganz
00:35:45: andere Sprache, die davon genau gar nix wissen will.
00:35:49: Bestimmtlich, wir haben das gesehen am Beispiel, wenn man zurückdenkt, 2016 war mit Spritzfallkampf
00:35:54: in den USA, Hillary Clinton gegen Donald Trump beim vollkommen asymmetrischen Wahrheitskrieg
00:36:00: und jede Form der anständigen Argumentation war gleichsam mit diesem hochlosen, irrlichternden,
00:36:08: auch nichtpräsidenten, eine eigene Schäche. Und ich glaube, man muss unterscheiden. Auf
00:36:14: der individuellen Ebene, und da versuche ich auch meine Universität und andere Institutionen
00:36:20: dazu zu bringen, brauchen eigentlich Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen und in dieser
00:36:24: Weise angegriffen werden, wirklich Fürsorge und Solidarität. Die brauchen eigentlich drei
00:36:29: Telefonnummern. Die Telefonnummer eines Therapeuten oder Psychologen oder Psychologen, der einem
00:36:35: hilft, eines Kommunikationsberater oder Kommunikationsberaterin und eines Juristen oder einer Juristin.
00:36:42: Das scheint mir ganz entscheidend, dass Institutionen sich hier wirklich nicht nur freuen über
00:36:48: die öffentliche Wahrnehmung von einzelnen Playern. Das ist dann im Zweifel der PR-Erfolge für
00:36:56: die jeweilige Institution, sondern dass sie eine andere Form von Fürsorge denken und gesellschaftlich
00:37:02: betrachtet. Da bin ich seit langem der Auffassung. Wir erleben eine laufende Medienrevolution,
00:37:12: vergleichbar mit der Erfindung der Schrift, vergleichbar mit der Erfindung des Buchdrucks
00:37:14: nun die Vernetzung der Welt. Und wir haben ein aufstiegtes Populismus, der seinesgleichen
00:37:20: sucht. Und in dieser Gemengelager ist nicht so entscheidend wie eine wertegeleitete Medienbildung,
00:37:27: die in der Schule beginnt, ist nicht so entscheidend wie eine Diskursanstrengung, auch der gesellschaftliche
00:37:32: Mitte, ein Ringen um die New-Anse, aber auch ein solidarisches Verteidigen eines anderen
00:37:39: Argumentationsstils. Und es braucht in manchem auch als letzte Möglichkeit. Und so als ein
00:37:45: liberal denkender Mensch braucht es auch eine Regulierung, eine behutsame Regulierung
00:37:50: sozialer Netzwerke. Und in diesem Ringen auf der einen Seite Kampf gegen Desinformationen
00:37:57: und auf der anderen Seite im Bemühen Kommunikationsfreiheit und Münchkeitsideale nicht zu kassieren
00:38:06: oder zu sehr einzuschränken. Ich will dich noch mal zitieren aus dem Interview,
00:38:11: das du derzeit gegeben hast. Da sagst du, es wäre mehr als naiv zu glauben, dass wir
00:38:17: mit ein paar kommunikationspsychologischen Einsichten im Gepäck einem Putin oder Trump
00:38:23: entgegentreten können. Hier geht es um Macht, nicht um Verständigung. Dann kommt das, was
00:38:30: ich schon zitiert habe, dass wir auf ein Jahrhundert der Kommunikationskonflikte
00:38:33: zusteuerten. Und es hört dann auf mit dem sehr guten Satz, den ich jetzt mal als die
00:38:38: Handlungsanweisung nehme, um sich gegen manches zu stemmen, was da passiert, auch wenn ich mir
00:38:45: das nicht einfach machen will, ist ja klar. Da sagst du, und hier müssen selbst die größten
00:38:50: Liebhaber des Dialogs anerkennen. Manchmal muss man Quatsch, einfach Quatsch und Hass,
00:38:56: einfach Hass nennen, Punkt. Das wäre dann eine Art von Waffengleichheit, glaube ich,
00:39:02: dass man sich gar nicht auf diese Ebene begibt. Was aber leichter gesagt als getan ist,
00:39:09: denn übertragen nochmal auf die Situation von Frau Brosius-Gerstorff und auf das, worum es da geht,
00:39:17: nämlich die Besetzung eines Postens am Bundesverfassungsgericht lässt sich das natürlich
00:39:23: nicht so easy übertragen, dass die jetzt mal sagt, höh, Quatsch ist Quatsch und Hass ist Hass,
00:39:27: damit kommt sie ja auch nicht durch, sondern sie muss sich jetzt aufrüsten, wie du es beschrieben
00:39:33: hast. Sie hat im Interview mit Markus Lanz erzählt, dass sie sofort eine befreundete Anwaltskanzlei beauftragt
00:39:38: hat oder eine Anwaltskanzlei, die sie kennt, denen vermeintlich im Plagiatsvorwürfen nachzugehen,
00:39:45: die er sich ja auch noch zu erstaunen hat.
00:39:49: Erdulden hatte, wenn gleich der sogenannte Plagiatsjäger selbst schon eine Stunde später
00:39:52: sagte, nee, also da sei jetzt falsch verstanden worden, das fiel also vollständig in sich zusammen,
00:39:57: das hat sie prüfen lassen und dabei ist es auch in sich zusammen gefallen.
00:40:01: Er versucht ja, Dinge zu tun, aber ist wirklich, wie ich finde, in einer Art von Not, was nicht
00:40:09: sein müsste, weil diese anerkannte Frau ist, die echt etwas geleistet hat und die wahrscheinlich
00:40:15: auch eine gute Verfassungsrichterin wäre.
00:40:17: Wie geht Gutes zu hören, Bernhard?
00:40:19: Darüber will ich mit dir sprechen und ich habe gelesen von dir den Satz, wir hören,
00:40:23: was wir fühlen und wir fühlen, was wir selbst erlebt und erfahren haben.
00:40:28: Etwas wirklich zu hören, hieße etwas in veränderter Form erneut zu hören und dann kommt deine
00:40:39: Unterscheidung vom Ich-Ohr und Du-Ohr und dabei bildet letztes, also das Du-Ohr, die entscheidende
00:40:48: Komponente für wirklich echtes und Gutes zu hören, echtes zu hören, schreibst, entstehe
00:40:55: wenn man sich fragt, in welcher Welt ist das, was der andere sagt, plausibel, sinnvoll
00:41:00: und wahr, das ist eben auch schon zitiert, man müsse genauer beobachten anstatt vorschnell
00:41:06: zu urteilen oder zu verallgemeinern, kannst du das?
00:41:11: Nein, ich würde sagen, ich bin eigentlich ein relativ schlechter Zuhörer, man beschäftigt
00:41:16: sich ja auch immer mit dem, was man sogar nicht so wahnsinnig gut kann, Sprungbrett zu
00:41:22: hören, also man sagt, oh ja, jetzt will ich auch nochmal, da fällt mir Folgendes zu ein
00:41:27: oder geht es gesamt, wir Menschen sind bestätigungssüchtige Wesen, wir leben im Kokon, unsere eigenen
00:41:34: Urteile und Vorurteile geleitet von unseren Sehnsichten und Wünschen, weniger von dem,
00:41:40: was uns mal den schöner, mal den hässlicher oder auch bedrohlicher Formen mit gegentritt
00:41:44: und wir erleben natürlich, damit bin ich wieder bei meinem Thema als Medienwissenschaftler
00:41:49: etwas, was man vielleicht eine Programmierung der Ungeduld nennen könnte, rein durch die
00:41:57: sozialen Netzwerke, durch das auf dem Smartphone, durch das auf dem Tisch liegende Smartphone,
00:42:03: das immer wieder aufblind und ablenkung produziert, also wir wissen sehr genau aus den entsprechenden
00:42:10: Studien, dass unter diesen Bedingungen der Dauerablenkung Themen von einer bestimmten
00:42:15: Tiefe, von einer extenziellen Bedeutung gar nicht so leicht zu Sprache kommen.
00:42:20: Also das ist das, was mich am Zuhören fasziniert, wenn man es studiert, dann sieht man die
00:42:25: Natur des Menschen und diese Natur des Menschen ist aus meiner Sicht gar nicht so furchtbar
00:42:30: offen, sondern auf Bestätigung aus, auf Harmonie aus, nicht auf die Auseinandersetzung mit dem
00:42:36: Fremden und Einartigen hinorientiert und man sieht auch, wie sich die Medien- und Kommunikationsverhältnisse
00:42:42: verändern zu lasten des wirklichen Zuhörens, der konzentrierten Zuwendungen zum anderen
00:42:48: und man kann besser verstehen, unter welchen Bedingungen dann doch manchmal zuhörbar
00:42:55: jähren und durchbrochen werden können und in Extremfall weltweite Aufmerksamkeit entsteht.
00:43:00: Was hast du beim Schreiben über das Zuhören nun gelernt, was du vorher noch nicht wusstest?
00:43:06: Ich würde sagen, ich habe gelernt, wenn ich das in einem Satz sagen soll...
00:43:13: Musst du nicht, wir haben ja Zeit.
00:43:16: Nein, also für mich selbst, auf eine Formel bringen sollte, dann würde ich sagen, Zuhören
00:43:22: braucht Zeit, eigentlich ist der Kontext die Botschaft.
00:43:26: Wenn man den Kontext studiert, die Zusammenhänge ausleuchtet, um die Nürnse regnt, dann kann
00:43:33: etwas Richtiges gesagt, dann könnte an etwas auf richtige Weise verstanden werden.
00:43:39: Mich hat so eine kleine Geschichte außerordentlich beeindruckt, von dem du hast mich ja ermutigt,
00:43:45: jetzt länger zu antworten.
00:43:46: Wenn ich jetzt gleich bereue, pass auf Bernda.
00:43:53: Also jetzt ist es verloren, aber ganz einfach mir zu sagen, ich habe so eine kleine Parabel
00:44:03: von Zürich Kirkegaard, den dänischen Philosophen ungeheuer beeindruckt, von dem klar on folgende
00:44:10: Situation, da ist das so ein Zirkuszelt am Rande eines irgendwie staubtrockenden Felses
00:44:16: in der Nähe eines Dorfes und im Zelt, da haben sich schon für die Vorstellung vorbereitet,
00:44:21: entsteht ein Feuer und der Clown wird schon voll verkleidet, in lustigen latschen Grelgeschwingt
00:44:26: ins Dorf geschickt, um jetzt Hilfe zu holen, weil die Leute im Zirkus diesem Feuer nicht
00:44:30: mehr her werden und erreicht den Marktplatz und wirft sich da auf diesen Marktplatz und
00:44:34: sagt, kommt alle zum Zirkuszelt, um Himmelswerden, es brennt, es brennt, und die Umstehenden
00:44:41: denken, was für ein gigantischer Scherz, was für ein raffinierter Berber und Marketingtrick
00:44:45: der Clown will uns zum Zirkus locken und der macht das mit diesem Feuertrick und dann
00:44:51: kommt es, das Feuer und brennt alles wieder, also es sind Images, vorgefasste Wahrnehmungen,
00:44:59: Stereotypisierungen, Vorurteile, die unser Zuhören leiten, der bestallt, dass wir bei dieser Geschichte
00:45:06: von Zürich Kirkegaard eigentlich sofort überzeugen sind, ja der Clown, der redet nur Quatsch,
00:45:10: der macht nur Späße, der will uns mit einem Trick zum Zirkus locken und in Wahrheit ist
00:45:14: da gar kein Feuer und diese kleine Parabel, die hat nicht ungeheuer beeindruckt, denn
00:45:20: um das Zuhören zu verstehen, muss man die Zuhörbarrieren ausleuchten, all die Hindernisse,
00:45:26: die großen und kleinen Blockaden und man muss sich versuchen, idealerweise zu einem Zuhörer
00:45:35: oder einer Zuhörer in der Zukunft zu werden, von den eigenen, sofort urteilen, ein Moment
00:45:41: lang zu lösen, in gewissem Sinne dem Clown zu glauben, daran besteht die merkwürdige
00:45:48: Aufforderung, die sozusagen versuchen mit diesem Buch zu begründen.
00:45:53: Nun hast du eben gesagt und ich glaubst dir nicht, dass du nicht gut zuhören kannst,
00:45:59: denn dein Buch, wo auch die Geschichte von dem Clown, der darum fleht, dass man ihm glaubt,
00:46:06: vielleicht zu Beginn vorkommt und tatsächlich eine sehr, sehr gute Parabel dafür ist,
00:46:12: wie einen vorurteilen, schnelle Urteile davon abhalten, tatsächlich zuzuhören.
00:46:19: Also dein Buch lebt ja davon, dass du Menschen über Jahre immer wieder getroffen hast,
00:46:24: sie gefragt und ihnen klar zugehört hast, wie zum Beispiel Jerry Brown, den langjährigen
00:46:30: Gouverneur von Kalifornien, der die Stille sucht und an der Klimakrise leidet, der stets
00:46:36: Mönch sein und US-Präsident werden wollte und der dir den schlechtesten Kaffee ever
00:46:42: serviert, irgendwie übrig geblieben vom Vortag oder noch davor, macht er noch mal warm und
00:46:49: du schüttest ihn ganz schnell runter.
00:46:51: Also du hast dich auch richtig reingeworfen in die Recherche, ohne Rücksicht, auch Verluste.
00:46:56: Du triffst die Künstlerin Jenny O'Dell, die Tag für Tag im Rosengarten sitzt und
00:47:02: übers Nichtstuhn nachsind, du triffst den Unternehmer Misha Katsurin aus Kiew, der mit seinem
00:47:09: in Russland lebenden Vater über den Krieg gegen die Ukraine sprechen will, Papa glaubt
00:47:13: mehr, fleht er und macht daraus ein Projekt, das euch wahrscheinlich auch schon mal begegnet
00:47:19: ist, das weltweit Aufmerksamkeit zieht, er will mit seinem Vater sprechen, er will,
00:47:27: dass der Vater ihm glaubt, aber er scheitert daran, weil der Vater auf die Russisch Propaganda
00:47:32: hört, hat allein von der sogenannten Spezialoperation gehört und glaubt Misha nicht, dass der
00:47:38: den Krieg tatsächlich erlebt, was er aber tut und dass er darunter leidet, was er auch
00:47:44: tut.
00:47:45: Den allen hast du doch immer und immer wieder zugehört und sie haben dir immer weiter erzählt,
00:47:52: wenn du so schlecht machtest, hätten die dich doch weggeschickt, meinst du nicht?
00:47:55: Ja, es ist natürlich eine völlig künstliche und auch vielleicht leicht absurde Situation.
00:48:00: Ich habe die persönlichen Ausgangspunkte für dieses Buch und auch die eigene Irritation
00:48:07: über das nicht wirklich zuhören geschildert, am Beispiel der Odenwaldschulung, das hat
00:48:11: mich wirklich beschäftigt und im Grunde genommen auch betrübt, aber sich so viel Zeit zu nehmen,
00:48:22: drei Jahre lang hinweg in ein Rosengarten in Oakland zu fahren und einer Schriftstellerin
00:48:28: zuzuhören, die immer wieder ein neues Buch nach draußen bringt, aus diesem Rosengarten
00:48:34: heraus oder vier Jahre zu Jerry Brown auf seine Farm zu pilgern oder Misha Kaltzerin,
00:48:40: diesen ukrainischen Unternehmer, den du erwähnt hast, über so viele Jahre zu begleiten oder
00:48:44: manche der Missbrauchsbetroffenen über ein Jahrzehnt hinweg immer wieder zu sprechen.
00:48:48: Das ist natürlich einfach die Herstellung einer Situation, die man sich nur als hoffnungslos
00:48:55: privilegierter Wissenschaftler leisten kann und erst mal nicht auf den Output schaut, wo
00:49:00: man sagt, das Buch muss irgendwie sich selbst verkörpert und man muss eigentlich das machen,
00:49:06: was man erreichen will.
00:49:07: Insofern für mich war es zum Beispiel ganz wichtig, mal ein ganz bananes Beispiel, viele
00:49:12: dieser Gespräche aufzunehmen und sie dann abzutippen.
00:49:17: Durch dieses Wiederhören, durch das Transkribieren, durch das nochmal Lesen, das Aufgeschriebenen
00:49:24: entdeckt man dann New-Ansen.
00:49:26: Also ich habe mich eher gezwungen aus meinem, jetzt muss das Buch endlich mal fertig werden,
00:49:33: was arbeitest du schon vier oder fünf oder sechs oder sieben Jahre daran, Modus herauszukatapultieren
00:49:39: und durch die Art des Arbeitens mehr unendlich viel Zeit zu nehmen, aber ich gebe zu, das
00:49:47: ist eine leicht künstliche Situation.
00:49:48: Also ich bestehe darauf, ich bin in Wahrheit kein wirklich guter Zuhörer, aber es gibt
00:49:53: Techniken, die einen zwingen und das Transkribieren und Wiederlesen, das ist eine Technik, um
00:50:03: so eine Verzögerung zu etablieren, es gibt Techniken, um sich ein bisschen stärker der
00:50:07: Welt zu eröffnen.
00:50:08: Aber davon hat er dann deinen Gesprächspartner, deine Gesprächspartnerin, unmittelbar noch
00:50:13: nicht.
00:50:14: Du reißt da ab, du hörst das ab, was du aufgenommen hast, du beschreibst das auch in einer Stelle,
00:50:19: dass du mit Jerry Brown da übers Land fährst und der Wagen rattert so, dass du dir Sorgen
00:50:25: machst, ob nachher auf dem Smartphone und auf der Aufnahme überhaupt irgendwas drauf sein
00:50:29: wird.
00:50:30: So, das kann ich mir sofort vorstellen als Technik, dass man dann, wenn man es auch abgeschrieben
00:50:36: vor sich sieht, auch Zwischentöne, auch Wörter noch mal anders wahrnimmt, die einem vor
00:50:44: vielleicht durch die Ablenkung der Umgebung und was was ich durchgegangen sind.
00:50:48: Davon hat aber ja deine Gesprächspartnerin, deine Gesprächsparte in dem Moment nichts.
00:50:55: Wie gehen denn da die Techniken jenseits der Techniken, die ich zum Beispiel in Interviews
00:51:01: anwende, dass man das Gesagte demjenige noch mal vorlegt, dass man sehr genau darauf
00:51:08: aufpasst, ob ihm der Antwort sowas wie Angebote sind, wo man nachfragen sollte oder so.
00:51:14: Also welche Techniken hast du dann übers Schreiben für dich entwickelt, vielleicht dann doch,
00:51:23: bei denen du sagen könntest, das kann man lernen und dein Untertitel, die Kunst sich
00:51:29: der Welt zu öffnen, zählt nicht auf eine reine Kunst, sondern auch auf ein handwerklichen
00:51:37: Teil dieser Kunst.
00:51:39: Sprich, man kann sich das erarbeiten.
00:51:42: Ja, der Tat, also ich würde sagen, Kunst in diesem Sinne meint eigentlich eine Kunst
00:51:47: des herausfindens, passend zur eigenen Person, passend zur jeweiligen Situation, in der man
00:51:52: sich befindet.
00:51:53: Also sich Zeit nehmen, Abschied von der Sofortverurteilung, etwas trainieren, was den Buddhisten,
00:51:59: den Anfänger Geist nennen, aber sich auch dem Echo der anderen wieder aussetzen.
00:52:04: In der Tat, es könnte ja so sein, man kommt da wie so ein Gefühlsvampier, hört Menschen
00:52:08: zu, knackt sie in gewissem Sinne, sie erzählen einem die privatesten Erfahrungen und dann
00:52:13: verlässt man sie wieder.
00:52:15: Beispiel eine Schulleiterin der Otenwaldschule, die in einem sehr entscheidenden Moment die
00:52:20: Tür geöffnet hat und den Betroffenen zugehört hat, in diesem Buch von ihrer eigenen Missbrauchsgeschichte
00:52:26: berichtet.
00:52:27: Da habe ich sehr lange darüber nachgedacht, wie kann ich diese Geschichte auf eine ausreichend
00:52:33: respektvolle, behuntsame Art und Weise erzählen, endlose Recherche, der Versuch Kontexte wirklich
00:52:43: zu verstehen, der ungeheure Druck, unter dem diese Frau aus meiner Sicht auf eine eigentlich
00:52:49: heldenhafte Art und Weise, selbstlose Art und Weise agiert hat, weil sie die Erfahrungsberichte,
00:52:55: die sie zuhörerbe, wieder traumatisiert haben.
00:52:57: Das alles sichtbar zu machen.
00:52:58: Aber dann zum Beispiel ganz simple auch mal so ein Kapitel vorlesen, dem anderen vorlesen
00:53:04: und sagen, was habe ich verstanden, was habe ich noch nicht begriffen, nicht in der Bereitschaft,
00:53:11: das wäre ganz unprofessionell in gewissem Sinne unjournalistisch zu sagen, der andere kann
00:53:16: sich jetzt in den Text verwirklichen, den man selbst produziert hat, aber das ist Technik,
00:53:22: die ich von einem kandiosen Reporter, Bastian Werbner, mal gelernt habe, der sagt, bei
00:53:28: das Porträt schreiben hat immer was leicht unmoralisches, man kommt, man bricht jemand
00:53:38: auf, der zählt einen Dinger, der vielleicht niemand anderes erzählt und dann verschwindet
00:53:44: man und liefert eine Deutung und dann ist der Kommunikationsprozess abgehackt.
00:53:47: Aber hier zu sagen, ja, ich übersetze dieses Kapitel und ich schicke es wie Schakazurin
00:53:53: in die Ukraine, jemand, der in Kiew bombaliert wird, der versucht, seinen Vater verzweifelte
00:54:01: Weise zu erreichen, der versucht, ein Dialogprojekt unter den Bedingungen des Krieges, ein Projekt
00:54:07: des Aneinanderzuhörens und miteinander Redens aufzusetzen, zu Beginn des Krieges, ich schicke
00:54:11: ihm dieses Kapitel und wir sprechen dann noch mal und ich ändere es nicht darauf hin, dass
00:54:17: ich ihn besser oder anders beschreibe oder Kritik rauslasse, aber ich mache, ich setze
00:54:23: mich selbst aus und diese sich selbst berührbar machen.
00:54:27: Ich glaube, ehrlich gesagt, das Menschen, das merken, wir alle sind Expertin und Experten
00:54:34: bei der Entlarvung von Heuchelei, kommt da jemand, der nur irgendwie eine gute Zeile haben
00:54:41: will oder kommt da jemand, der wirklich ein Gespräch führen möchte, der sich tatsächlich
00:54:48: aussetzt und so entsteht dann etwas anderes oder Dritters, also jemand, der sich berührbar
00:54:55: macht, frei nach diesem dialogischen Credo von Nietzsche oder Hannah Arendt, die Wahrheit
00:55:00: beginnt zu zweit.
00:55:01: Ich verlasse dann auch die Ruhebank einer festen Gewissheit, wenn ich wirklich zuhöre und in
00:55:08: diesem Sinne zuhören, als ein Bild für Offenheit oder etwas, was Christina Thürmerrohr, einmal
00:55:13: eine Sozialwissenschaftlerin und Musikerin, einmal innere Gastfreundschaft genannt hat,
00:55:19: das finde ich ein wunderbares Bild, also man lässt den anderen in seiner Andersartigkeit
00:55:26: wirklich zu, heißt ihn erst mal willkommen, das heißt nicht, dass man nicht auch mal zu
00:55:30: einer Verurteilung voranschreitet und sagt, nein, ich habe es verstanden, ich möchte nicht
00:55:36: mehr zuhören und den Kommunikationsabbruch bewerkstelligt, aber die Frage ist wann.
00:55:40: Und aus meiner Sicht teilen wir, wenn ich jetzt mal einen setzlichen Pauschal werden darf,
00:55:45: zu viel, zu schnell, zu unmittelbar, zu direkt.
00:55:48: Das spricht ja jetzt aus dem, was du sagst, was ein Faktor dafür war, dass Gespräche dir
00:55:57: gelungen waren, du sie vielleicht deinen Gesprächspartner*innen auch nochmal vorgelegt hast und die so
00:56:04: nehme ich mal jetzt an, am Schluss und gesagt, ja, da fühle ich mich richtig verstanden,
00:56:08: das kannst du so veröffentlichen, Bernhard, alles in Ordnung.
00:56:11: So dann war doch einer der Faktoren, die dir wirklich gewolfen haben, Zeit, dass du immer
00:56:20: wieder gekommen bist, auch über Jahre hinweg.
00:56:24: Ich will auch nicht pauschalieren und sowieso sind wir jetzt hier ja nicht im Achtsamenkeitsworkshop
00:56:29: oder sowas, aber müssen wir, also du kannst dich immer auf viel Zeit für jedes Gespräch
00:56:37: haben, bei dem du gut zugehört hast, dennoch glaube ich, dass wir sowas wie so ein, wenn
00:56:44: es das gibt, Geduldsmuskel trainieren müssten, um uns gegen all das zu stemmen, was du
00:56:51: schon angesprochen hast, worauf ich jetzt gleich kommen will, was an Stress, an Gleichzeitigkeit,
00:56:59: an Ablenkungen auf uns einprasselt und uns genau nicht geduldig sein lässt und auch
00:57:05: nicht geduldig zuhören lässt.
00:57:07: Ja, in der Tat, ich würde sagen, dass man so ein Geduldsmuskel braucht, ich finde das
00:57:12: eine wunderbare Formulierung, weil es wäre ja so leicht jetzt in so ein Predigaton zu
00:57:18: verfallen.
00:57:19: Ja, der Anfängergeist aus dem Senbudismus, der ist so leer, das ist toll.
00:57:27: Aber das heißt ja auch, also auf dem Weg zu einer anderen Kommunikationskultur um eine
00:57:33: andere Art des Sprechensrennen eben nicht zu predigen, ihr müsst jetzt alle euch unendlich
00:57:39: viel Zeit nehmen und wer sich keine Zeit nimmt, ist schon auf dem falschen Pfad, das
00:57:44: wäre ja ganz unrealistisch, aber den Geduldsmuskel trainieren, das ist eine Formulierung, die
00:57:48: ich mir merken würde, die hat so was, ja, wir müssen ja, oder aus meiner Sicht sollte
00:57:55: man, ich würde versuchen, in den Ringen um eine andere Kommunikation frische, neue Wörter
00:58:03: zu finden, abseits so einer moralisierenden, abseits so einer brutulichen Ansprache und
00:58:10: Geduldsmuskel ist echt ein gutes Wort.
00:58:13: Okay, danke, das freut mich aus deinem Munde, denn du kannst wirklich, dafür ist auch das
00:58:19: Buch ein Beweis, wirklich schön schreiben, sehr, sehr schön formulieren und findest
00:58:25: andauernd und immer fort Formulierungen, bei denen ich zum Teil glucksend lachte beim
00:58:31: Les, weil ich das so mochte, also danke dafür, Geduldsmuskel kannst du gerne, aber gerne
00:58:38: auch mit Verweis auf mich.
00:58:39: Ja, mit einer Flussung, und wir sollten jetzt nicht so nennen, die Leute, die Einschaltquote
00:58:44: sehe ich jetzt in freiem Fall, wir sind nicht so nett zur Lande.
00:58:47: Ja, lass uns weitergehen zu dem Kapitel, das du die Utopien des Silikernwelle genannt hast,
00:58:54: beschreibst darin noch mal die Anfänge, die von sowas wie Basisdemokratie handelten und
00:58:59: davon, dass man ein unfassbarer Werkzeuge zu echter großartiger, weltumspannender Kommunikation
00:59:08: entwickeln wollte, inzwischen, aber in einem Istzustand angekommen, ist der nicht nur oder
00:59:15: eventuell auch gar nicht mehr richtig gut tut, ich liebe manche Instrumente, keine Frage,
00:59:22: wir nutzen sie alle, wir wissen aber auch alle darum, wie sehr sie uns bedrängen, wie sehr
00:59:27: sie unsere Aufmerksamkeitsspannen verkürzt haben, ich ertappe mich dabei, wenn ich eine
00:59:39: echte Zeitung sehe, dass ich da drüber wische und denke, ich könnte damit umblättern
00:59:45: und bin also auch schon irgendwie komplett deformiert durch das, wie ich lese, nämlich
00:59:51: über e-Paper und natürlich dann sehr viel bei Social Media, bei X und bei Blue Sky und
00:59:57: so weiter und so fort, Instagram, halte ich gar nicht aus, weil mir das zu viel Zeit frisst,
01:00:03: also bin ich da nicht unterwegs, dagegen kann ich mich nicht richtig anstemmen, so was hat
01:00:10: das für politische Konsequenzen, wenn sich Typen wie Elon Musk und die anderen Tech Bros,
01:00:18: die sich ganze Plattformen kaufen können oder sie schon haben, die an den Algorithmen schrauben,
01:00:24: um die eigenen Posts präsentert zu machen, die sich insgesamt immer ausgefeilterer und
01:00:31: ja hochpolitisch gedachter Manipolationstechniken bedienen, was hat das für Konsequenzen und
01:00:38: können wir denen noch mit all dem, was wir da gerade angeschaut hatten, begegnen, indem wir sagen,
01:00:46: bitte ich höre geduldig zu und ich mache mich auf den Weg zum Kern des Ganzen.
01:00:54: Natürlich, das kann man versuchen und ich glaube, das Zuhören ist so eine Ursehensucht des
01:01:01: Menschen, eine Sehensucht nach dem Verstand und akzeptiert werden, dass diese Ursehensucht quasi
01:01:07: unzerstörbar ist, selbst durch eine Figur wie Musk oder Zuckerberg oder Jeff Bezos und durch die
01:01:12: totale Vermachtung von Öffentlichkeit im Gestalt dieser Plattform. Also diese Ursehensucht wird
01:01:21: immer bleiben und wenn man mal die schönsten Erlebnisse des eigenen Lebens an im Bewusstsein
01:01:27: vorübergleiten lässt, dann würde ich sagen, sie haben in der einen oder anderen Formen,
01:01:31: ohne dass ich jetzt deine Hörerin oder Hörer genauer kenne, mit dem Zuhören zu tun, mit dem
01:01:38: gehört werden, mit dem Verstand werden. Also diese Ursehensucht, das ist meiner Sicht unzerstörbar,
01:01:44: aber das gesagt, in der Tat, das ist aus meiner Sicht eine total gefährliche Konsellation,
01:01:51: die wahnsinnig politische Folgen hat. Das ist ja eigentlich eine Vermischung von jetzt in gestaltet
01:01:59: Big Tech-Unternehmer von politischer Macht, von digitaler Macht und von ökonomischer Macht. Man
01:02:05: kann das gut fest machen. Eine Figur wie Elon Musk vor bis vor wenigen Wochen noch einer der
01:02:11: zentralen Präsidentenflüsterer, jemand, der sich leisten kann, für 44 Milliarden Twitter-Ex zu
01:02:17: kaufen, der sich leisten kann, 3 Millionen Dollar am Tag damit Verlust zu machen, der mehr als
01:02:23: 200 Millionen Follower zwangsweise mit seinen Desinformationspostings beglückt, er zwingt
01:02:30: seine Ingenieure nachweislich, seine Desinformationspostings bevorzugt, in die Timeline seiner
01:02:37: Plattformgemeinschaft hineinzudrücken. Also das sind Machtasymetrien, wie wir sie noch nie
01:02:43: hatten. Und die haben Folgen, also Folgen für das ansehende Journalismus, Folgen für unser
01:02:51: Kommunikationsklima im Allgemeinen. Aber wenn wir von dort aus nochmal, du hast dieses Silikon-Valleyreisen
01:02:58: erwähnt, versuchen auf so eine Anderswelt zu blicken. Also ich habe mich lange rumgetrieben im
01:03:05: Hafen von Sausalito. Das ist so faszinierend, müsste man eigentlich mal so ein Netflix-Film
01:03:11: machen, da sind superreiche Internet-Unternehmer, verpeilte Computer hippies, Genies und Outdrops
01:03:24: aller Art. Und hier im Hafen von Sausalito ist in den 80er Jahren, Mitte der 80er Jahre,
01:03:29: eine der ersten Online-Gemeinschaften der Welt entstanden, ungeheuer, einflussreich,
01:03:34: vorvielend für ganz viele andere Online-Gemeinschaften. Nur das Interessante war für mich und deswegen
01:03:39: habe ich jahrelang jetzt, diese Gemeinschaft existiert auch noch, die Leute befragt und erforscht.
01:03:45: Man hat da anders zuhört, man hat anders gestritten, sich respektvoller auseinandergesetzt. Es gab
01:03:51: einen anderen Diskurs und woran lag das? Ganz einfach, es gab keine Anonymität. Es gab eine andere
01:03:58: Form der Finanzierung, kleine Abogebühren, überhaupt keine Werbung. Es gab jede Menge
01:04:06: Meinungsfreiheit, aber eine massive Moderation mit jemandem, der aus dem Ruder lief und einen
01:04:11: Shit-Stop man nannte das damals, ein Flame-War, verbreitete, mit dem hat man unter Umständen
01:04:15: drei, vier Stunden telefoniert als Moderator und den wieder auf Kurs gebracht. Und es gab sozusagen
01:04:24: auch eine relative Kleinheit. Die sozialen Netzwerke der Gegenwart sind vollkommen unüberschaubar und
01:04:31: man kann eben Kommunikation nicht skalieren, also man kann es skalieren, aber dann zerstört man sie
01:04:38: und dann treiffen permanent in diesem Welt-Innenraum der vernetzten Kommunikation, deswegen spreche
01:04:43: von einem Jahrhundert der Kommunikationskonflikte Perspektiven aller Art, große und kleine Ideologien
01:04:49: aufeinander und wir sehen zu viel zu schnell, so unmittelbar zu direkt, auf einem einzigen
01:04:53: Kommunikationskanal. Und das Interessante ist für mich, deswegen ich versuche immer positive
01:04:57: Bilder noch aufzubieten in diesen düsteren Zeiten, dass diese Computerhippen ist der ersten Stunde,
01:05:03: Mitte der 80er Jahre Prinzipien und Vorgehensweisen entdeckt haben, die man eigentlich wieder ausgraben
01:05:09: könnte. Man könnte zurückkehren in die Frühgeschichte des Netzes und das versuche ich an dieser Stelle
01:05:14: in diesem Kapitel dieses Buchs und sagen, in welchem Moment sind wir eigentlich falsch abgebogen. Wir
01:05:19: sind falsch abgebogen, indem wir unser Diskursplattform nach den Prinzipien der Werbeindustrie und orientiert
01:05:26: an dem Reichtum ganz weniger neu organisieren. Das ist der Urfehler. - Aber du kriegst es ja nicht
01:05:33: zurückgebogen. Du kannst jetzt nicht sagen, komm, lass mal nur, keine Ahnung, 0,1% von euch machen
01:05:41: weiter. Dafür haben wir 50.000 Moderatoren, die vier Stunden telefonieren. Du kriegst es ja nicht
01:05:50: wieder eingefangen, oder? - Na, ich denke schon, dass die Regulierungsanstrengung der EU, man muss
01:05:55: sehen, inwieweit jetzt so etwas wie der Digital Service Act tatsächlich durchsetzbar ist, dass
01:05:59: die Regulierungsanstrengungen in die richtige Richtung gehen, dass jetzt in der neuen Entfremdung
01:06:06: zwischen Europa und den USA kann es sein, dass all dies nicht durchsetzbar ist. Aber hier,
01:06:12: diese Information mit einer anderen Entschiedenheit zu bekämpfen, geht in die richtige Richtung und
01:06:16: natürlich könnte man theoretisch gesprochen. Plattformunternehmer zwingen ganz anderer
01:06:23: Weise, Diskurse zu moderieren, falsche Nachrichten mit einer anderen Direktheit,
01:06:31: Unmittelbarkeit und Geschwindigkeit zu löschen. Natürlich könnte man auch in einer ganz anderen
01:06:36: Intensität in Medienbildung investieren. Ich glaube, in gewissem Sinne, und das ist so eine
01:06:42: Bildungsvision, die ich seit langem versuche, in die Öffentlichkeit zu tragen. Früher in einer
01:06:49: anderen Zeit war Journalismus vor allem ein Beruf, aber eigentlich ist Journalismus, ich nenne es
01:06:56: die redaktionelle Gesellschaft als Bildungsutopie, auch so etwas wie eine großartige Bildungsvision,
01:07:02: Faktor und Fiktion unterscheiden, die andere Seite hören, Quellen studieren,
01:07:07: eine Ereignis nicht größer machen, als es ist, überhaupt verschiedene Quellen haben,
01:07:11: sich an Relevanz und Proportionalität orientieren. Das sind eigentlich maxim das guten Journalismus,
01:07:15: die aus meiner Sicht heute in dieser redaktionellen Gesellschaft und Zukunft, die eigentlich heute
01:07:20: zu einem Element der Allgemeinbildung werden müssten. Also es bräuchte Bildung, es bräuchte
01:07:25: auch eine gesellschaftliche Mitte, die sich mit einer anderen Heftigkeit und Intensität um eine
01:07:31: andere Kommunikationskultur bemüht. Viele der gemäßigten schweigen viel zu laut und es braucht
01:07:37: diese behutsame Regulierungsanstrengung. Ich denke nicht, dass die Dinge verloren sind und
01:07:44: man kann das eine oder andere schöne Beispiel, die Computer hippies im Hafen von Sausalito,
01:07:48: der heller kalifornischer Sonne, habe ich erwähnt, man kann das eine oder andere schöne
01:07:52: Beispiel auch wieder entdecken in der Früh- und Urgeschichte. Das Netz ist ein eigentliches
01:07:57: Netz, ja bei allem Schrecken, das Moment, ein wunderbares Medium. Mark Zuckerberg, das wissen
01:08:05: wir, einer der Tech Bros hat sich anders entschieden, macht keinen Fakten, checkt mir will er nicht mehr,
01:08:11: das heißt, da siehst du die Entwicklung in die aus deiner Sicht meiner auch falsche Richtung.
01:08:16: Was ich mich gefragt habe in der Vorbereitung ist, wir wissen doch so viel. Wir wissen spätestens
01:08:21: seit Trump 1, aber auch seit dem Brexit eine Menge über Desinformationskampagnen, über Fake News,
01:08:28: über Troll, über Bords, über Fake Profile, auch immer mehr über KI generierte Fälschungen,
01:08:33: all das gibt es dann nicht langsam, doch, das beobachtet wahrscheinlich auch jeder und jede
01:08:41: unserer Hörer*innen an sich selbst, da gibt es doch auch so was wie ein Lerneffekt oder
01:08:46: einen souveräneren Umgang mit diesen Medien oder Gaukel, ich mir das zum Beispiel vordenke,
01:08:54: ich bin so ganz nase weiß und sauschlau unterwegs und in Wahrheit bin ich schon auf das nächste
01:09:00: Ding angefallen. Ja, ich denke, das hat, dass die Macht der Desinformation gerade jetzt in
01:09:07: Zukunft dieser laufenden KI-Revolution immer größer wird. Wir haben die Fakes, der Audiobeweis,
01:09:13: der Videobeweis, ist angreifbar, wir haben die scheinbar die Verhaftung von Donald Trump gesehen,
01:09:20: den immer liegenden Tabs in der Gucci Down, weißem Gucci Down-Jacke, wir haben angeblich
01:09:27: Zelensky gesehen, wie er vermeintlich zu Kriegsbeginn für seine Soldaten hintritt und die Kapitulation
01:09:31: erklärt, deep fake. Also ich bin an der Stelle prinzipiell aufklärungsoptimistisch, dazu habe
01:09:42: ich mich gleich so verpflichtet, sonst vermittle ich mich in endlose Widersprüche, aber doch einigermaßen
01:09:49: pessimistisch, was die jetzige Phase angeht, denn wir sehen, dass jetzt das Wahrheitsempfinden
01:09:59: ganzer Gesellschaften nochmal betäubt wird. Auf der einen Seite gibt es im Zuge dieser laufenden
01:10:03: KI-Revolution jetzt jede Menge sofort herstellbare Scheingegessheiten, also deep fake Videos,
01:10:14: fake photos, scheinbare Audiobeweise. Und auf der anderen Seite gibt es aber auch, und das halte ich
01:10:22: für mindestens ebenso gefährlich, nicht nur jede Menge Scheingewissheiten, die man beweisen kann
01:10:26: durch irgendwelche Dokumente, die dann nicht authentisch sind, sondern es gibt auch so etwas wie
01:10:33: ein fake Gefühl, dass sich jeder Gesellschaft ausbreitet nach meinem Eindruck. Also Menschen
01:10:40: halten nicht nur vor schnell etwas für real, sondern sie halten unter Umständen auch etwas
01:10:44: vor schnell für gefälscht. Auch das kann doch nicht stimmen, da hat doch jemand womöglich einfach
01:10:51: eine Software benutzt oder irgendeine moderne Medientechnologie und das sind Sprechende aufzuhübschen.
01:10:58: Also diese Gleichzeitigkeit von zu viel Scheingewissheit und Fake-Gefühl, die es geeignet
01:11:04: ist, Wahnsinnfinden von gesetzten Gesellschaften zu betäuben. Und aus meiner Sicht, wenn es gut läuft,
01:11:11: erleben wir eine Übergangsphase der Medienevolution, eine vernetzte Pubertät-Digitaler-Gesellschaften.
01:11:18: Und an dieser Stelle kommt es jetzt wirklich an auf Regulierungen, auf Discourse und vor allem
01:11:25: auf Bildung und das Ringeln um eine enormativ entschiedenen Medienbildung.
01:11:31: Bei der politischen Situation hier dann ja entscheidend in den USA, wie sehr aber vertraust du
01:11:39: darauf, dass jemand wie Donald Trump und seine Merkale heute, dass die dieses gigantische
01:11:47: Instrument aus der Hand geben würden und regulieren ließe, darauf habe ich gar keine Hoffnung.
01:11:55: Nein, das scheint mir auch, also insofern kommt jetzt das ganze Entscheidende auf die Einigkeit Europas an.
01:12:04: Und das ist ja auch versichtlich. Gini Wenz hat bei der 16. Münchner Sicherheitskonferenz
01:12:09: im Grunde genommen auf offener Bühne gedroht. Wenn ihr Elon Musk mit Regulierungen überzieht,
01:12:16: dann kippt der Naturschutz. Also ich verkündete es jetzt etwas, aber in diese Richtung ging es.
01:12:25: Das nennt man auf der Straße Erpressung. Also da hatte ich keine besondere Hoffnung.
01:12:33: Aber insofern kommt jetzt umso mehr alles an auf eine geordnete und entschieden europäische Linie
01:12:44: bei allen geopolitischen Verwerfungen, bei aller Entfremdlung zwischen den USA und der
01:12:50: Notwendigkeit natürlich auch mit einer Figur wie Trump nun umzugehen.
01:12:56: Wie geht Gutes zu hören? Darüber sprechen wir, Bernhard, und sind jetzt, glaube ich, an einem
01:13:01: entscheidenden Punkt angekommen, bei dem ich denke, wir können fast zum Anfang zurückkehren,
01:13:08: insofern als dass ich das genau auch in dem Fall, der kein Fall ist, im Sinne von runterfallen,
01:13:15: von Frau Borosius Gerstdorf sehen, nämlich dass es an all diesen Punkten, wo demokrativer Echter
01:13:26: einer Institution schaden wollen, darauf ankommt, dass man sich ihnen mit Entschiedenheit entgegensetzt
01:13:36: und entgegenstimmt, um zu sagen, das lassen wir nicht zu. Gutes zu hören, wir haben sie identifiziert,
01:13:45: verlangt Zeit, verlangt Geduld, verlangt die Bereitschaft, sich in das Denken, die Situation des
01:13:51: anderen wirklich hinein zu versetzen. Das hat nichts Autoritäres, ganz im Gegenteil. Das ist
01:13:58: davon getragen, dass man sich zuwendet. Davon lebt die Demokratie, das ist eine ihrer
01:14:06: Voraussetzungen, dass sie die anderen respektiert, sonst würde man nicht auf ein Mehrheitsentscheid
01:14:12: hören. Wenn wir das alles zusammenführen, dann ist das doch jetzt ein entscheidender Punkt,
01:14:17: an dem Gutes zu hören, worüber du geschrieben hast, in Wahrheit meint, sich aufbäumen gegen das,
01:14:25: was sich da international, aber in Ansätzen auch längst in Deutschland und Europa tut und was
01:14:31: unsere Art des Zusammenlebens kaputt machen will, oder? Ja, ich denke schon, wir leben in einem
01:14:41: definierenden Moment der Zeitgeschichte. Es hat die Rede von der Zeitenwende, Olaf Scholz,
01:14:48: dies real, den Angriff auf die Ukraine, es gibt jetzt, erkenn mal, mich fast wie so eine Art
01:14:56: zweite Zeitenwende, diesen Versuch von Donald Trump seiner Art populistischer Internationale zu
01:15:01: schmieden und auf diese Weise die Weltgeschichte zu beeinflussen und zu prägen. Und wir erleben
01:15:09: eine mit unterbedrohlich wirkende, bei allen Gegenbeispielen, über die wir auch gesprochen
01:15:16: haben, bedrohlich wirkende Überhitzung des Kommunikationsklimas. Und da ist man gefordert
01:15:23: mit den eigenen, in meinem Fall mit den eigenen kleinen oder Möglichkeiten ab und zu so ein
01:15:30: Buch zu formulieren oder zu schreiben und dann wie so eine Flaschenposte ins Meer zu werfen und
01:15:36: zu hoffen, dass ein paar Leute das interessant finden und diese Flaschenpost lesen. Also ich glaube,
01:15:41: man darf auch nicht in so eine Art Kontrollwahn verfallen und zu der Auffassung gelangen. Man
01:15:46: könne sich jetzt sozusagen gegen diesen populistischen Autoritarismus mehr damit
01:15:51: im Alleingang stemmen. Aber das Gespräch, das miteinander reden, auch die eigene Ratlosigkeit
01:15:58: jetzt zum Thema zu machen, das nicht weiterwissen, die strategische Unruhe der gesellschaftlichen
01:16:07: Mitte zu debattieren, dafür überhaupt wieder Räume zu schaffen, im Angesichts eines, aus
01:16:14: meiner Sicht eben doch politischen Wallbacks, das schien mir so etwas wie das Geburtestunde, ja.
01:16:20: Du plädierst für eine Tugend und die nennst du "Respektvolle Konfrontation". So sollte man
01:16:28: zuhören, auffassen, was einem da gesagt wird und dann im Zweifel "Respektvoll konfrontieren"
01:16:37: oder dann nimmst du eine Anleihe bei Timothy Garten Ash, dem mit robuster Zivilität zu begegnen,
01:16:45: das mochte ich auch. Wie passt es aber zusammen mit dem was du auch empfiehlst, nämlich wohlwollend
01:16:53: zuzuhören? Ich denke, das ist für was wie eine kleine Stufenlehre, ja, auf der Tat, am Anfang
01:17:01: wohlwollend die Kontexte ausleuchten, um die New-Horse ringen. Aber du hast es erwähnt und
01:17:07: zitiert, manchmal muss man Quatsch, einfach Quatsch und hasse einfach Hetzeln. Und manchmal,
01:17:12: und dazu ist dieser gesellschaftliche Moment zu bedeutsam, ist es eben auch falsch, sich
01:17:18: einfach nur innerlich die Uhr zuzuhalten, sich opportunistisch wegzuducken. Dann ist die
01:17:23: Konfrontation notwendig. Die Frage ist nur, wie geht man in die Konfrontation, ohne auf den Teufelskreis
01:17:30: der pauschalen Abwertung einzusteigen? Und das meine ich mit dieser Zukunftstum der "Respektvollen
01:17:36: Konfrontation", also sich nicht wegzuducken, sagen, was zu sagen ist, aber eben die Position des anderen,
01:17:43: womöglich scharf kritisieren, ohne die Person den ganzen Menschen abzuwerten, die Abwertung des
01:17:48: ganzen Menschen, der Charakterverdacht, die fundamentale Urteilung, weiße Alter, manisterische,
01:17:53: feministischen, woge Klima, Terroristen, frustrierte Ostdeutsche. All diese Divamierungsvokabeln sind
01:18:00: ein garantiert sicheres Rezept, um das Kommunikationsklima weiter zu ruinieren. Also respektvolle
01:18:06: Konfrontation ist so ein, aus meiner Sicht hoffentlich noch ausvollreichend respektvolles Mittel der
01:18:15: Auseinandersetzung, die man manchmal in einer gewissen idealerweise sachlich getragenen Schärfe
01:18:20: führen muss. Wir hören immer auf damit, dass wir die Titelfrage nochmal wiederholen und fragen
01:18:26: dann, wo stehen wir da in einem Jahr? Also wie geht Gutes zu hören? Wo stehen wir da in einem Jahr?
01:18:32: Ja, ich habe es erwähnt. Ich bin prinzipiell Optimist. Sehr gut. Insofern, es wird hoffentlich
01:18:40: alles ein bisschen heller, besser. Bernhard Perksen war bei uns. Danke dir, Bernhard, sehr für die
01:18:49: viele Zeit, die du dir genommen hast. Redaktionsschluss für die Folge war Donnerstag der 17. Juli um 15 Uhr
01:18:54: und die Redaktion hat gemacht mit Lisa Görleyen, Executive Producerin ist Marie Schiller, Producer
01:19:00: Lukas Hambach und Patrick Zahn, Sounddesign Hannes Husten, die Vermarktung macht für uns die
01:19:06: Mitvergnügen. Wenn er also Werbung schalten wollte, dann wendet euch an die und das Ganze ist eine
01:19:12: Produktion der Wilmedia GmbH. Danke dir, Bernhard. Ich danke dir.