Bonus: Interview mit Kevin Kühnert, SPD-Generalsekretär
Shownotes
Nach der Europawahl steht die Ampel-Regierung mächtig unter Druck. Besonders in der SPD rumort es. Die Kanzlerpartei holte mit 13,9 Prozent der Stimmen ihr schlechtestes Ergebnis bei einer bundesweiten Wahl. 2,5 Millionen Wähler, die bei der letzten Bundestagswahl noch SPD gewählt haben, sind gar nicht zur Europawahl gegangen. Anne Will spricht darüber mit dem Generalsekretär der SPD, Kevin Kühnert. Er sagt, die SPD müsse mehr auf Sorgen und Ängste der Menschen reagieren, aber darauf passe nicht unbedingt immer ein Gesetz. “Da müssen auch Emotionen stärker rein” und die SPD müsse “binnen eines Jahres ganz viel Vertrauen zurückgewinnen”.
Im Interview räumt Kühnert Fehler ein. Der SPD-Generalsekretär hatte das Ergebnis am Tag nach der Wahl mit einer “Kontaktschande” durch die Koalitionspartner erklärt. Dafür wurde er aus den Reihen der Ampel-Koalition heftig kritisiert. Den Begriff nimmt er im Interview mit Anne Will zurück. Dass das schlechte Abschneiden seiner Partei auch mit der Unbeliebtheit der Koalitionspartner in der Ampel zusammenhängt, wiederholt er. “Ich glaube, es gibt eine sinkende Toleranz, zum Teil politische Unterschiede, auch kulturelle Unterschiede auszuhalten und sich gegenseitig zuzugestehen.”
Derweil steht die Ampel vor der nächsten großen Herausforderung: Anfang Juli soll der Haushalt stehen: über den wird innerhalb der Koalition seit Monaten gestritten. Ein zweistelliger Milliardenbetrag fehlt. FDP-Finanzminister Lindner will die Schuldenbremse auf keinen Fall aufgeben und das, obwohl sogar der Bundesverband der Deutschen Industrie 400-Milliarden-Investitionen fordert. Sollte kein Haushalt zustande kommen, könnte die Ampel endgültig zerbrechen? Anne Will fragt Kevin Kühnert, ob er einen Plan B dafür habe. Das bejaht Kühnert. Er glaube aber, dass sich die Koalition auf einen Haushalt einigen werde. Dafür müssten sie sich aber noch einige “Verrenkungen” ausdenken und er prognostiziert: Die Schuldenbremse wird reformiert - allerdings nicht mehr in dieser Wahlperiode. Gibt es also noch ein Happy End für die Ampel?
Das Interview wurde am Mittwoch, den 19.06.2024, um 9 Uhr aufgezeichnet.
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WICHTIGE QUELLEN:
Die Zeit: Ja, dann weint doch wenigstens Mal!, 18.06.2024
Infratest Dimap, Wie beurteilen Wählende ihres Situation und die Lage in Deutschland, 12.06.2024
Süddeutsche Zeitung, Der Juso-Chef Kühnert hätte das dem Generalsekretär Kühnert nie durchgehen lassen, 18.06.2024
Die Zeit, Ampelregierung: So wenig Zeit, so viel Druck, 13.06.2024
Spiegel, Der Drinnenolaf und der Draußenscholz, 14.06.2024
FAZ, Zerbricht die Ampel jetzt wirklich?, 15.06.2024
Stern, Olaf Scholz im Klartext-Gespräch: “Ich neige nicht zum Rumheulen”, 13.05.2024
IMPRESSUM:
Redaktion: Freya Reiß und Felix Schlagwein
Executive Producerin: Marie Schiller
Producer: Maximilian Frisch, Lukas Hambach, Patrick Zahn
Sounddesign: Hannes Husten
Vermarktung: Mit Vergnügen GmbH
Eine Produktion der Will Media GmbH
Transkript anzeigen
00:00:00: Politik mit Annel Will.
00:00:09: Hallo und herzlich willkommen zu unserer Bonus-Folge.
00:00:24: Darin nehmen wir das politische Interview in voller Länge,
00:00:27: das ich für jede Folge führe.
00:00:29: Und ich glaube, dass diesmal kann es noch ein Happy End für die Ampel geben.
00:00:33: Wir zeichnen das Interview am Mittwoch, dem 19. Juni, gegen 9 Uhr früh auf.
00:00:39: Und ich spreche mit dem Mann, der nicht zuletzt für die Wahlkämpfe der SPD verantwortlich ist,
00:00:44: damit auch für den zurückliegenden Europawahlkampf.
00:00:47: Das war sein Erster und er bringt den Sozialdemokraten gleich,
00:00:51: dass historisch schlecht ist der Ergebnis bei einer bundesweiten Wahl mit nur noch 13,9%.
00:00:58: Bei uns ist der Generalsekretär der SPD, Kevin Kühnert.
00:01:02: Danke fürs Kommen, Herr Kühnert. Herzlich willkommen.
00:01:04: Hallo, Frau Wehe.
00:01:05: Die Wahl liegt jetzt ein paar Tage zurück.
00:01:07: Sie wollten nachdenken, sicherlich auch über ihre Kampagne.
00:01:11: Lags an den Plakaten mit dem Kanzler oder lag und liegt es am Kanzler,
00:01:17: dass die SPD so schlecht abgeschnitten hat.
00:01:20: Also nachgedacht haben wir viel in den Tagen, das wird auch noch weitergehen.
00:01:24: Und eine einfache Antwort gibt es nicht.
00:01:28: Das führt manchmal zu Missverständnissen,
00:01:31: weil wenn dann so ein Politiker nicht wenige Tage nach der Wahl ein großes Ding präsentieren kann,
00:01:36: was verantwortlich ist für die Wahlniederlage, wird gerne unterstellt.
00:01:40: Man drücke sich und wolle die Ursache überhaupt gar nicht finden.
00:01:43: Darum geht es nicht, aber weder ist jetzt irgendein Plakat ursächlich verantwortlich gewesen,
00:01:49: was nicht heißt, dass alle Plakate toll wahlen, aber weder gewinnt noch verliert man mit einem Plakat.
00:01:53: Eine Wahl noch ist eine einzelne Person dafür verantwortlich.
00:01:58: Ich gucke eher gerade in die Wählerinnen und Wählerströme beispielsweise hinein.
00:02:03: Die finde ich sehr auskunftsträchtig für die SPD.
00:02:07: Und nicht gut, ne?
00:02:08: Absolut, wie viele Leute zu Hause geblieben sind, die uns bei der letzten Bundestagswahl gewählt haben.
00:02:13: 2,5 Millionen.
00:02:15: Ja, das ist auch deutlich überproportional.
00:02:18: So kommt deutlich vor allen Abwanderungen, die wir in Richtung von anderen Parteien hatten.
00:02:23: Und das ist schon mal eine erste Hausaufgabe, die ich mitnehme,
00:02:26: dass wir also verstehen müssen, 2,5 Millionen Menschen, die uns vor nicht ganz drei Jahren das Vertrauen bei der Bundestagswahl gegeben haben,
00:02:34: stand jetzt zu dem Zwischenergebnis für sich, dass ihre Hoffnung nicht so erfüllt worden ist, wie sie sich das gewünscht haben.
00:02:41: Nee, gar nicht erfüllt worden ist, glaube ich.
00:02:43: Deshalb gehen sie gar nicht mehr hin.
00:02:45: Gar nicht, das wäre jetzt nur Unterstellung.
00:02:47: Also das weiß ich nicht, man kann ja nicht in die Köpfe reingucken,
00:02:50: aber da ist kein Zukunftsoptimismus im Moment drin,
00:02:52: ansonsten hätte man ja einen Grund zur Wahl zu gehen.
00:02:55: Und insofern ziehe ich ein bisschen auch den Schluster draus,
00:02:59: dass wir vielleicht auf die vielen Sorgen, die in dieser Gesellschaft sind,
00:03:02: gab eine irre Nachbarbefragung in der ARD,
00:03:05: das sind so die sieben häufigsten Sorgen aufgezählt worden,
00:03:08: alle mit 50% und mehr Nennung, alle im zweistelligen Prozentbereich angewachsen seit der letzten Europawahl,
00:03:14: da ist zu viel Macht für den Islam dabei, Angst vor Klimawandel, dass sich alles zu schnell ändert.
00:03:20: Also man hat selber schon richtig Angst bekommen, wenn man es gelesen hat.
00:03:23: Und ich glaube, wir antworten zu viel mit Maßnahmen und Gesetzen,
00:03:28: allein auf diese Sorgen, die in der Gesellschaft sind,
00:03:31: aber nicht auf jede Sorge passt ein Gesetz oder eine Maßnahme,
00:03:35: sondern da müssen auch Emotionen stärker rein.
00:03:37: Nun sind Sie ja ein geübter Mann,
00:03:39: nicht allzu lange im Amt des Generalsekretärs,
00:03:43: damit noch nicht allzu lange zuständig für die Wahlkampagnen und Wahlkämpfe der SPD.
00:03:50: Was von dem war Ihnen jetzt wirklich neu?
00:03:53: Neu sind die Zahlen nach dem Wahlergebnis,
00:03:56: weil das kann man dann ja erst sehen, wer wirklich zu Hause geblieben ist am Ende.
00:04:01: Und das ist ja interessant, es könnte ja auch sein,
00:04:04: dass die alle zu anderen Parteien abwandern.
00:04:06: Tun Sie aber auch in großer Zahl.
00:04:08: Ja, gibt es auch, na klar.
00:04:10: 580.000 Wechseln zum Bündnis Sarah Wagenknecht, 570.000 zur AfD.
00:04:18: Absolut, beachten wir auch.
00:04:20: Ich will das trotzdem einordnen.
00:04:22: Von den 25,7 Prozent, die wir geholt haben bei der Bundestagswahl 2021,
00:04:28: die Anzahl der Menschen, die jetzt zum BSW rübergewechselt sind,
00:04:32: machen eine Größenordnung von etwa einem Prozentpunkt aus.
00:04:36: Das ist nicht nichts und das muss uns genauso auch beschäftigen.
00:04:39: Wenn man so wenig hat, muss ein Dachs auch beschäftigen.
00:04:42: Es interessiert mich jeder Wähler und jede Wählerin, die uns nicht mehr wählt.
00:04:45: Und natürlich kann ich jetzt anekdotisch aus dem Wahlkampf mir auch vorstellen,
00:04:49: was dafür Geschichten dahinter sind.
00:04:51: Das Bündnis Sarah Wagenknecht ist ja sehr unkonkret in vielen,
00:04:54: außer in einem einer sehr dezidiert anderen Position zum Umgang
00:04:58: mit dem russischen Angritzkrieg auf die Ukraine,
00:05:00: die Frage der Waffenlieferung und wie man jetzt vorgehen sollte.
00:05:03: Und da kann man jetzt natürlich in der Rhetorik und in der Kommunikation
00:05:08: Dinge anders machen, aber wir werden nicht im Kurs grundsätzlich Dinge anders machen.
00:05:13: Das kann ich diesen Leuten nicht anbieten.
00:05:15: Ich kann nicht sagen, Olaf Scholz wird morgen dafür eintreten,
00:05:18: dass die Ukraine nicht mehr mit Waffen unterstützt wird
00:05:21: und dass wir den verwegenen Versuch Wagen,
00:05:24: Vladimir Putin morgen zu einem Gespräch einzuladen,
00:05:28: über einen Diktatfrieden oder ähnliches.
00:05:30: Aber nochmal hingeschaut und jetzt mal richtig hingeschaut
00:05:33: auf Ihre Kampagne, die Sie aufgesetzt haben.
00:05:36: Da plakatieren Sie ja mit Frieden, Frieden sichern.
00:05:39: Man sieht den Bundeskanzler, man sieht die Spitzenkandidatin für die Europa,
00:05:43: weil Katharina Barley, das hätten Sie so ja alles gar nicht machen müssen.
00:05:47: Olaf Scholz stand gar nicht zur Wahl,
00:05:50: dass Olaf Scholz eine ein eindeutige Haltung in Sachen Frieden hätte,
00:05:55: ist auch nicht ausgemacht.
00:05:57: Er muss da eine Art von Mittelweg nehmen, so verstehe ich das.
00:06:01: Kurz bevor die Wahl ist, muss er eine weitere rote Linie räumen,
00:06:07: sagt ja, der Ukraine wird jetzt auch gestattet mit von Deutschland
00:06:11: gelieferten Waffen Russland anzugreifen.
00:06:14: Da hat Michael Müller, der ehemalige regierende Bürgermeister
00:06:17: in der Fraktion auch gesagt, wie sollen das eigentlich passen?
00:06:20: Wir plakatieren mit dem Mann des Friedens,
00:06:23: aber der gibt diese Erlaubnis nun.
00:06:27: Dahin geschaut, sie wussten außerdem,
00:06:30: dass das Vertrauen in die Amtsführung des Kanzlers nicht ausgemacht hoch
00:06:34: bzw. bescheiden ist, wie auch dessen Beliebtheitswerte.
00:06:37: So zu plakatieren, da hat ihr Nachnachfolger der USO-Chef Philipp Thürmer gesagt,
00:06:43: das ist ein Fehler.
00:06:45: Zitat, vor allem war es ein Fehler, ihn zu plakatieren, also Olaf Scholz,
00:06:49: und dann liefert er nicht.
00:06:51: Und weiter, mit ihm auf den Plakaten hat man es auch zu einer Abstimmung
00:06:55: über die Ampel gemacht, so wurde es noch schwerer,
00:06:58: mit europäischen Themen durchzubringen.
00:07:00: Also zusammengefasst, haben Sie Olaf Scholz mit der Kampagne
00:07:04: jetzt in Wahrheit geschadet, haben Sie ihm noch mehr anansehen
00:07:08: und Autorität genommen?
00:07:10: Nein.
00:07:12: Und da bin ich jetzt auch sehr entschieden,
00:07:14: eine Abstimmung über die Bundespolitik und damit ein Stück weit
00:07:18: auch über die Koalition wäre es so oder so geworden.
00:07:22: Wir denken uns ja nicht aus einer Bierlaune heraus, eine Kampagne,
00:07:25: sondern beschäftigt sich mit Forschung im Vorfeld.
00:07:28: Und die ist sehr klar, dass Europa wahlen, das schmerzt eine als pro-Europäer,
00:07:32: aber Europa wahlen sind in Deutschland immer auch nationale Nebenwahlen.
00:07:36: Das heißt, ganz viele Menschen, die zur Wahl schreiten,
00:07:38: haben vor allem ein Fokus auf nationale politische Fragen,
00:07:42: fragen sich, wie geht es mir in meinem Land mit meiner Regierung
00:07:45: und dem Führungspersonal?
00:07:47: Und das leitet sie sehr stark in ihrer Entscheidung.
00:07:50: Das war uns bewusst.
00:07:51: Insofern war uns auch bewusst, dass die Leute, wenn sie vor dem Stimmzettel sind
00:07:55: und sich fragen soll ich SPD wählen, den prominentesten Sozialdemokraten
00:08:00: im Land vor Augen haben werden.
00:08:01: Und das ist der sozialdemokratische Bundeskanzler.
00:08:04: Ob ich den auf ein Plakat drauf mache oder nicht,
00:08:06: den kennen die ja alle, die haben eine Meinung zu dem
00:08:09: und werden sich verhalten.
00:08:10: Also wenn ich die Einschätzung gehabt hätte, es wäre besser für die Kampagne,
00:08:14: dass er nicht dabei ist, dann hätte es mir gar nichts geholfen,
00:08:17: ihn nicht auf die Plakate zu machen, weil alle wissen, er ist Sozialdemokrat
00:08:21: und steht maßgeblich für unseren Kurs.
00:08:23: Und deswegen haben wir gesagt, nein, wir machen das ganz offensiv.
00:08:27: Und übrigens auch nicht als Wähler-Täuschung,
00:08:29: weil europäische Politik ja nicht nur im Europaparlament stattfindet,
00:08:32: sondern das sehen wir jetzt gerade rund um die Personalverhandlungen,
00:08:35: um die wichtigen Ämter, eben auch in den nationalen Regierungen.
00:08:39: Er ist der Regierungschef des Bevölkerungsreichesten Mitgliedstaats.
00:08:42: Natürlich steht er für eine Politik, aber ein paar Hoffnungen sind nicht aufgegangen.
00:08:47: Ich hatte zum Beispiel die Hoffnung, dass die Gleichzeitigkeit von Katharina Bale
00:08:50: und Olaf Scholz Anlass für uns sein kann, darüber zu sprechen,
00:08:53: dass unser Spitzenpersonal auf einem Kurs zusammen unterwegs ist.
00:08:57: Und hatte Hoffnung, dass das im Kontrast zu Friedrich Merz und Ursula von der Leyen
00:09:01: mit Debatter zu haben.
00:09:02: Ich stau'n, weil Katharina Bale hat doch schon die zurückliegende Europawahl,
00:09:05: wenn man so will, versägt.
00:09:07: Das gab das schlechteste Ergebnis für die SPD bislang.
00:09:11: Und das haben Sie jetzt nochmal unterboten.
00:09:14: Mit derselben Spitzenkandidatin, bei der ich übrigens auch nicht höre,
00:09:17: dass sie sich ihrer Verantwortung da bewusst wäre.
00:09:20: Jetzt sagen sie, okay, wir konnten den Kanzler ja nicht verstecken.
00:09:23: Es ist halt der Kanzler, da trinken wir ...
00:09:24: Wollten Sie auch nicht.
00:09:25: Wollten Sie nicht?
00:09:26: Nein.
00:09:27: Ist das eventuell nicht sogar besser, denn Sie haben jetzt eine Abstimmung
00:09:30: über diesen Kanzler, eine bundesweite Abstimmung.
00:09:34: Und die geht, das wissen Sie überhaupt nicht gut aus.
00:09:36: Das ist sowohl für den Kanzler als auch für die Ampel,
00:09:39: muss man ja sagen, und für Ihre SPD ein niederschmetterndes Ergebnis.
00:09:44: Wo ist jetzt die grundsätzliche Konsequenz daraus?
00:09:47: Die grundsätzliche Konsequenz ist, dass wir uns dessen bewusst sind,
00:09:52: dass wir binnen eines Jahres ganz viel Vertrauen zurückgewinnen müssen.
00:09:57: Was stand jetzt offensichtlich nicht mehr vorhanden?
00:09:59: Warum bin ich einiges Jahr, Sie haben in Wochen die Landtagswahlen vor sich,
00:10:03: in Ostdeutschland.
00:10:04: Das stimmt, bei denen steht aber nicht die Bundes.
00:10:06: Sie beziehen sich auf den Vergleich zu 2019 eben.
00:10:11: Und dann muss man daran erinnern, die zeitliche Abfolge war damals die
00:10:14: gleiche vor der Sommerpause, die Europawahl mit dem damals historisch
00:10:18: schlechtesten Ergebnis, nach der Sommerpause die drei Ostlandtagswahlen,
00:10:22: genauso wie sie dieses Jahr kommen, Sachsen, Thüringen und dann Brandenburg.
00:10:26: Und wir haben damals beispielsweise auch die Wahl in Brandenburg gewonnen,
00:10:29: das hat die Staatskanzler dort verteidigt, trotz des Vorlaufes.
00:10:34: Das ist eine Wahl, die sehr stark nach landespolitischen und eigenen
00:10:38: Maßstäben gelaufen ist.
00:10:40: Ich bin sehr fest der Überzeugung, dass das auch dieses Mal so sein wird.
00:10:45: Aber Sie haben nach der Europawahl was Entscheidendes verändert.
00:10:48: Da blieb kein Stein auf dem anderen 2019.
00:10:51: Andrea Nahles, die damalige Vorsitzende der SPD, tritt von allen Ämtern zurück.
00:10:56: Jetzt verändern Sie nichts.
00:10:58: Glauben aber, Sie könnten ein ähnliches Ergebnis wiederholen,
00:11:02: wie damals nach der Wahl 2019?
00:11:05: Da muss man aber glaube ich was unterscheiden.
00:11:07: Die SPD ist unabhängig von dem Wahlergebnis damals,
00:11:11: was sie bei der Europawahl eingefahren hat, in einem innerlichen Zustand gewesen,
00:11:17: der mit gesund nicht mehr zu beschreiben gewesen ist.
00:11:21: Was ausdrücklich nicht die Schuld allein von Andrea Nahles gewesen ist,
00:11:25: sondern gerade in den Tagen nach der Wahl daran zu erkennen war,
00:11:28: dass alle Dämme gebrochen sind.
00:11:30: Man ist ganz wüst mit ihr umgegangen.
00:11:32: Wirklich. In gemeinen und eher abschneidenden Worten,
00:11:38: da ist kein Mittel bösartig genug gewesen, um personalpolitische Ziele zu erreichen.
00:11:44: Der Laden war wirklich kaputt, die Funktionsweisen, die eine Partei braucht,
00:11:49: um produktiv-politisch arbeiten zu können, die haben nicht mehr funktioniert.
00:11:53: Ich glaube, Sie ist dann ja am Ende auch zu dem Ergebnis für sich gekommen,
00:11:57: dass das in der Aufstellung nicht mehr rettbar ist, was nicht heißt,
00:12:01: es ist Ihre Verantwortung allein gewesen ist, aber Sie hat glaube ich kein Hebel mehr gefunden,
00:12:05: den Sie hätte bewegen können, um das wieder ins Lot zu bringen.
00:12:09: Wir finden heute eine andere Situation vor und will das klar sagen,
00:12:12: niemand findet auch nur irgendwas Positives in der SPD an diesem Wahlergebnis.
00:12:17: Also Sie dürfen sich die Gremiensetzung nicht so vorstellen,
00:12:19: dass da irgendjemand sitzt und sagt, hätte ja schlimmer ausgehen können oder ähnliches.
00:12:23: Es ist eine tiefe Ernsthaftigkeit, aber der Laden funktioniert.
00:12:28: Auch so, dass wir ehrlich und offen miteinander reden können.
00:12:31: Es ist auch nicht entrückt, dass einfach alle sagen,
00:12:34: Mensch, wir haben es doch gut gemacht, sondern wir reden schon sehr ehrlich
00:12:37: über das, was wir an Fehlern in der Kampagne wahrgenommen haben,
00:12:40: auch an Kommunikation, Auftritt, Entscheidung zu bestimmten Zeitpunkten.
00:12:45: Das war nicht immer so, dass das so offen auch in den Gremien besprochen wird,
00:12:49: aber eben gemeinsam. Wir sind fest davon überzeugt,
00:12:52: dass es weder für unsere Wählerinnen und Wähler noch für die SPD zum Besseren wäre,
00:12:57: wenn wir uns jetzt in einen langen Selbstbeschäftigungsmechanismus
00:13:00: personeller oder struktureller Art begeben.
00:13:03: Lars Klingweil, der ist heute Vorsitzender der SPD, war damals 2/19 Generalsekretär,
00:13:10: hat damals die Kampagne "Wie Sie jetzt" verantwortet.
00:13:14: Der sagt öffentlich, möglicherweise ist da ja ein eklatanter Unterschied zu all dem,
00:13:19: was sie intern besprechen. Der sagt öffentlich, man solle den Kopf jetzt nicht in den Sand stecken,
00:13:24: so als sei das alles gar nicht mal so schlimm, aber nicht den Kopf in den Sand stecken.
00:13:29: Sie arbeiten heraus, dass FDP und Grüne stark abgelehnt würden
00:13:33: und dies im Sinne einer Kontaktschande, ein interessantes Wort,
00:13:37: hatte ich vorher nie gehört, im Sinne einer Kontaktschande auf die SPD abfärben,
00:13:42: sprich Sie suchen den Fehler bei den anderen, nicht bei sich selbst.
00:13:45: Woran könnten wir festmachen, dass Sie auch nach außen hin,
00:13:49: und das will man ja hören, verstanden haben?
00:13:52: Indem ich Ihnen hier zum Beispiel den Fehler einräume, also nicht einen, den Sie gerade gemacht haben,
00:13:57: sondern einen, den ich gemacht habe.
00:14:00: Diese Aussage am Tag nach der Wahl, ich glaube, er hat Schafer in Phoenix,
00:14:07: in einem Interview, die will ich einordnen. Die hätte wahrscheinlich nicht mit diesem Begriff
00:14:13: und nicht zu diesem Zeitpunkt stattfinden sollen, weil ich verstehe jetzt natürlich im Rückblick,
00:14:17: dass die Leute das Gefühl hatten, dass das einen Tag nach der Wahl,
00:14:20: das ist jetzt also sein Take-away zu diesem Wahlergebnis, die Koalitionspartner sind schuld.
00:14:25: Das war nicht gemeint. Kein Koalitionspartner ist an unseren Ergebnissen schuld, nur wir selbst.
00:14:32: Mir ging es darum, eine sich sehr tief eingefressene Erfahrung aus den letzten Wochen des Wahlkampfes,
00:14:39: gerade aus dem Osten, wo ich viel unterwegs war, mitzugeben,
00:14:42: weil mir das quasi wörtlich immer wieder berichtet wurde.
00:14:46: Und das finde ich muss auch einmal festgehalten werden.
00:14:49: Viele unserer Leute vor Ort beschreiben einfach die politische Stimmung, die Ihnen ein Info stenden
00:14:56: oder anderswo begegnet, so dass die Leute kommen und sagen, ich finde euch ganz okay,
00:15:00: oder ich habe nichts gegen euch, aber mit dieser Koalition und dann reden die über einzelne Personen
00:15:07: aus der Koalition oder einzelne Parteien, das geht nicht mehr.
00:15:11: Und das sind jetzt noch die gesetzten Worte, das gibt es auch alles in den unfreundlicheren Varianten.
00:15:16: Und ich finde, darüber müssen wir auch sprechen.
00:15:20: Also da mache ich mir als Demokrat einfach auch Gedanken drüber,
00:15:23: der darum bemüht ist, dass wir noch Kompromissfähigkeit in dieser Gesellschaft behalten,
00:15:27: der sich Gedanken macht, wir haben jetzt auch mit Blick auf die Ostlandtagswahlen,
00:15:30: wie in immer fragmentierteren Parlamenten noch tragfähige demokratische Mehrheiten zustande kommen sollen.
00:15:36: Ich wollte einfach diese Rückmeldung geben, dass es eine sinkende Toleranz,
00:15:42: glaube ich muss man wirklich so sagen, zum Teil gibt politische Unterschiede,
00:15:47: auch kulturelle Unterschiede auszuhalten und sich zuzugestehen gegenseitig.
00:15:52: Und das ist etwas, was ich mitgenommen habe aus diesem Wahlkampf.
00:15:56: Das erklärt nicht unser Wahlergebnis. Es hat damit erst mal überhaupt gar nichts zu tun.
00:16:00: Aber wer sich in ein Bündnis begibt, wer in die Verantwortung geht,
00:16:03: wer eine Koalition bildet, steht in dieser polarisierten, aufgehitzten Gesellschaft sehr unter Druck,
00:16:10: weil er immer auch in Mithaftung genommen wird für all diejenigen,
00:16:13: mit denen er da im Bunde ist und versucht Kompromisse zu finden.
00:16:17: Also erst mal dahin geguckt, das Wort "Kontaktstande" nehmen Sie zurück, das war falsch.
00:16:23: Das, was es ausdrückt, war mir wichtig zu, oder was ich damit ausdrücken wollte,
00:16:27: war mir wichtig zu sagen, das erhalte ich aufrecht.
00:16:29: Ich verstehe, dass dieses Wort, was glaube ich viele vorher nicht kannten,
00:16:33: als verletzend empfunden wurde und das war nicht mal ein Bestreben
00:16:37: und dann sollte man es auch zurückziehen.
00:16:40: Wenn Sie sagen, wie schwer dieses Bündnis zusammenarbeitet,
00:16:48: wie schwer es sich tut, auch in der Außenwahrnehmung,
00:16:51: wie ich immer, für sowas ist ja ein Kanzler da, oder?
00:16:54: Der müsste das Bündnis ja so ordnen, so zusammenhalten, so führen,
00:16:59: dass es besser wahrgenommen wird.
00:17:01: Wir waren bei der Frage, was dringt nach außen, was hören wir,
00:17:06: um zu verstehen oder um daraus abzuleiten,
00:17:10: ob die SPD beispielsweise verstanden hat, was ihre Wählerinnen und Wähler
00:17:15: und auch die, die gar nicht mehr hingegangen sind, ihnen haben, sagen wollen.
00:17:18: Da habe ich echt gestaut, muss ich sagen, der Kanzler.
00:17:21: Haben Sie jetzt auch schon verschiedentlich gelesen, kommt am Wahlsonntag
00:17:24: aus dem Billy Brandt Haus, wird von einer Kollegin gefragt,
00:17:27: ob er das Ergebnis kommentieren wolle und sagt einfach mal, nö.
00:17:31: Montag dann ist er in der Pressekonferenz,
00:17:34: da kann er sich nicht mehr eine Antwort verweigern,
00:17:37: gibt dann aber eine, die ich mir mit Ihnen nochmal anhören will,
00:17:40: die tatsächlich in meinem Empfinden zumindest jegliche Selbstkritik vermissen ließ.
00:17:45: Hören wir mal.
00:17:47: Das Wahlergebnis war für alle drei Regierungsparteien schlecht.
00:17:51: Keiner ist gut beraten, der jetzt einfach zur Tagesordnung übergehen will.
00:17:55: Gleichzeitig geht es aber auch darum, dass wir unsere Arbeit machen,
00:17:58: dafür zu sorgen, dass unser Land modern wird, dass es vorankommt
00:18:03: und im Übrigen sich darauf vorzubereiten, dass die Zustimmung immer größer werden wird,
00:18:08: sodass man auch bei der nächsten Bundestagswahl die Ergebnisse dieser Arbeit
00:18:13: zur Wahl stellen kann und das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger für die Arbeit hat.
00:18:18: Das muss jetzt für alle der Maßstab sein, sich anzustrecken
00:18:21: und die Aufgaben zu lösen, vor denen wir stehen.
00:18:24: Er mahnt also an, sich im Übrigen darauf vorzubereiten,
00:18:28: dass die Zustimmung immer größer werden wird.
00:18:31: Das sagt er nach nach krachenden Niederlage.
00:18:34: Hat er intern inzwischen erkennen lassen, dass er seine Anteile an diesem Ergebnis sieht,
00:18:39: dass er selbstkritisch auch die Verantwortung dafür übernimmt.
00:18:43: Und also jetzt, wie ich immer noch finde, ganz schnell grundsätzlich etwas verändern will
00:18:48: an seiner Politik, an seiner Kommunikation, an seinem mitunter selbstgerechten Auftreten.
00:18:54: Also ich will Ihnen auf jeden Fall da hingehen, den Schutz nämlich, glaube ich,
00:18:58: eine Pressekonferenz am Tag nach so einer Wahl ist nicht der richtige Ort,
00:19:02: um grundsätzliche Gedanken zu einem Wahlergebnis, die man ja auch einen Tag danach noch hat.
00:19:08: Zum Besten zu geben.
00:19:10: Da waren wir auch in den Gremien noch gar nicht so weit,
00:19:13: dass wir für uns wirklich schon relevante Zwischenergebnisse festhalten konnten.
00:19:19: Man muss ja auch daran erinnern.
00:19:21: Im Gegensatz zu Angela Merkel beispielsweise, ist Olaf Scholz als Bundeskanzler
00:19:25: nicht gleichzeitig Vorsitzender der Partei.
00:19:28: Das heißt nicht, dass er sich rausziehen soll aus einer Betrachtung eines Wahlergebnisses,
00:19:32: aber die erste Kommentierung von Wahlergebnissen und Einordnung
00:19:36: gebührt schon den Gremien von Parteien, die über so was beratschlagen
00:19:41: und nicht dem Bundeskanzler.
00:19:43: Aber das ist doch nicht das, was Wählerinnen und Wähler sofort klar wäre.
00:19:47: Das ist so eine interne Abstimmung, Wahrnehmung,
00:19:50: vielleicht Routinen kennt man so, wenn man im Willi Brandthaus arbeitet.
00:19:55: Aber sonst weiß das doch niemand.
00:19:57: Dann würde ich doch erwarten, erste Pressekonferenz, da hat sich im Bundeskanzler
00:20:01: drei richtig gut formulierte knackige Sätze zurechtgelegt, die er sagt,
00:20:07: weil er weiß, dass er danach gefragt wird.
00:20:10: Ja, aber er hat das gesagt, was er gesagt hat an dieser Stelle
00:20:14: und kann aber berichten, dass er in den internen Runden natürlich
00:20:18: Teil der kritischen Aussprache auch gewesen ist und die...
00:20:22: Was heißt das, Herr Kühnert?
00:20:24: Sagt er dann mal, okay, ich sehe das, ich muss was verändern.
00:20:27: Erst mal sieht er genau, wie wir alle, dass das eine gemeinsame Wahlniederlage ist.
00:20:33: Das ist jetzt nicht nur so eine Beschwörung im Sinne von,
00:20:35: wir gewinnen zusammen, wir verlieren zusammen.
00:20:37: Ich lasse Ihnen das nicht durchgehen.
00:20:39: Ich würde immer sagen, der Kanzler ist der Kanzler.
00:20:42: Das ist eine derart herausgehobene Position.
00:20:45: Der hat so viel Verantwortung, auch im Übrigen für den inneren Zusammenhalt
00:20:50: unseres Landes.
00:20:51: Nach einer solchen Wahl mit einem solchen Ergebnis,
00:20:54: wo die AfD zweitstärkste Kraft wird, zum Beispiel,
00:20:58: dann muss doch ein Bundeskanzler sagen, okay, da habe ich was mit zu tun,
00:21:02: dann nehme ich Anteile für.
00:21:04: Ja, aber Frau Will, also ich verstehe den Punkt,
00:21:08: aber wir dürfen jetzt, glaube ich, nicht außen vorlassen.
00:21:12: Ab 18 Uhr im Wahlabend und in den Tagen danach
00:21:15: ist dieser Kanzler und ist diese Regierung getestet worden,
00:21:19: von der Opposition beispielsweise, und das ist ja auch deren gutes Recht,
00:21:23: auf die innere Stabilität des Bündnisses.
00:21:26: Es sind Leute rumgelaufen und haben Neuwahlen gefordert,
00:21:30: haben Rücktritte gefordert.
00:21:32: Markus Söder, der Bayerische Ministerpräsident.
00:21:34: Genau, es ist nach Vertrauensfragen gerufen worden.
00:21:37: Kasten Lindemann.
00:21:38: Die Legitimation sei nicht mehr vorhanden.
00:21:40: Also ich würde jetzt mal sagen, unsere Verfassung ist auch
00:21:42: durchaus sehr gedehnt worden an manchen Stellen,
00:21:44: weil natürlich nirgendwo auch aus guten Gründen geschrieben steht,
00:21:47: dass man einen Bundestag auflösen sollte oder das anstreben sollte,
00:21:52: weil man eine Europawahl verloren hat.
00:21:55: Das heißt, das finde ich, muss man jetzt machtpolitisch schon auch bedenken
00:21:58: in einer solchen Situation oder so transparentwillig sein.
00:22:01: Es geht in so einem Moment auch darum,
00:22:03: wir sind gerade mitten in wichtigen Haushaltsgesprächen in der Regierung
00:22:07: und das ist ja etwas, das betrifft nicht nur uns in der Koalition,
00:22:10: sondern das betrifft das Land.
00:22:12: Hier geht es jetzt auch darum, zu zeigen,
00:22:14: dass die Handlungsfähigkeit gewahrt ist,
00:22:17: dass das Tagesgeschäft funktioniert.
00:22:20: Das heißt ja nicht, dass man entrückt ist und sagt,
00:22:22: ist gar nichts passiert.
00:22:24: Das wirkt dann aber so.
00:22:26: Und alles, was Sie jetzt wieder gesagt haben, machtpolitische Rücksichtnahme,
00:22:29: ist alles nichts, was eine Wählerin, was ein Wähler mitdenken muss.
00:22:32: Das sind alles interne Überlegungen,
00:22:34: die Sie ganz sicherlich,
00:22:36: zwar am Abend, weil das Ihr Beruf ist, anstellen müssen,
00:22:39: aber der Rest von fest nicht.
00:22:41: Das betrifft schon auch Wählerinnen und Wähler.
00:22:43: Also das ist dann aber auch unser Job, das zu übersetzen.
00:22:46: Ich finde Kommunikation,
00:22:48: das ist ja auch ein Job, das wir an Bürgerinnen und Bürgern orientiert.
00:22:51: Und das sollte sie sein.
00:22:53: Darf die Leute nicht immer nur da abholen, wo sie stehen,
00:22:56: sondern muss auch den Charakter haben zu erklären,
00:22:58: einzuordnen und zum Beispiel eben zu sagen,
00:23:00: hier laufen enorm wichtige Gespräche um den Bundeshaushalt,
00:23:03: um unsere gemeinsame Geschäftsgrundlage als Gesellschaft
00:23:06: für das kommende Jahr in ganz, ganz schwierigen Zeiten.
00:23:09: Und es ist ein Eigeninteresse des Landes und der Gesellschaft,
00:23:12: dass wir jetzt diesen wichtigen Prozess nicht einfach anhalten
00:23:15: oder auf den St. Nimmerleinstag verschieben können,
00:23:18: damit die politische Kaste mal ein paar Wochen mit sich
00:23:21: in Selbstbefassung sozusagen geht.
00:23:24: Das ist unser Job, das nebenbei auch hinzubekommen.
00:23:26: Ganz genau. Ich hätte erwartet, dass Sie längst soweit sind.
00:23:29: Sie kriegen dieses Ergebnis, Sie sagen, oh,
00:23:31: das ist ein krachend und niederschmetterndes Ergebnis.
00:23:34: Das heißt, wir liegen mit ganz vielen Dingen grundsätzlich falsch.
00:23:39: Das hätte doch daraus kommen können.
00:23:42: Aber ist das denn so?
00:23:44: Das glaube ich schon, wenn Sie sich die Vertrauenswerte
00:23:46: dieser Regierung anschauen.
00:23:48: Sie haben damals als Jusoschef noch gegen die große Koalition gearbeitet.
00:23:52: Die große Koalition, genau, ein größeres Vertrauen
00:23:55: als jetzt diese Ampelkoalition.
00:23:57: Daraus sprechen doch all diese, ja, auch Wünsche von Wählerinnen
00:24:03: und Wählern, dass sich was verändern möge.
00:24:05: Daraus können Sie doch nicht für sich machen.
00:24:07: Ja, wir sind auf einem guten Weg und wir machen unser Tagesgeschäft.
00:24:11: Das ist gar nicht mein Punkt.
00:24:13: Aber ich habe ja voll und bewusst über diese Sorgen und Ängste,
00:24:15: auch aus dieser Umfrage gesprochen.
00:24:18: Und es sind einfach viele Emotionen im Raum,
00:24:22: die jetzt nicht direkt mit einem Gesetz beantwortet werden können.
00:24:26: Und auch viel Ärger, der sich nicht nur auf eine bestimmte Maßnahme
00:24:29: der Regierung richtet, sondern der sehr mit dem Grundgefühl
00:24:32: unseres Zusammenlebens in Deutschland zu tun hat.
00:24:35: Es gibt doch ein paar Maßnahmen, die man benennen kann.
00:24:37: Also man musste jetzt schon auf seinen Ohren sitzen,
00:24:39: um in diesem Wahlkampf nicht zu hören,
00:24:41: dass manche Leute, oder auch einige mehr, weiterhin mit dem Bürgergeld
00:24:45: oder was sie denken, was das Bürgergeld ist, hadern.
00:24:49: Das ist eine Sache, genauso...
00:24:50: Mit der Migrationsdebatte oder mit der Migrationspolitik.
00:24:53: Aber da geht es schon los.
00:24:54: Was ist die Migrationsdebatte am Ende?
00:24:57: Da gibt es dann nämlich sehr unterschiedliche Auffassungen
00:24:59: darüber, was genau gemeint ist.
00:25:01: Okay, dann nehmen wir es wieder an einem Beispiel des Bundeskanzlers,
00:25:04: der sehr vor Monaten sagt,
00:25:06: wir wollen im großen Stil abschieben.
00:25:09: Das werden wir tun. Bums!
00:25:11: Der Spiegel titelt damit, das ist aus einem Spiegelinterview.
00:25:13: Jedem ist das in Erinnerung nur allein.
00:25:16: Eine Konsequenz hat es nicht gegeben.
00:25:18: Auch darüber ist im Europawahlkampf gesprochen worden.
00:25:21: Die Zahlen der Rückführung gehen hoch.
00:25:23: Das ist dann meistens etwas, was nicht vergleichbar viel
00:25:27: öffentliches Bohai verursacht, wie der Ausgangspunkt eines Interviews.
00:25:32: Aber daran wird gearbeitet.
00:25:34: Wir haben jetzt mit dem Ministerpräsidenten
00:25:38: noch mit dem Ostministerpräsidenten gewesen.
00:25:41: Weil das natürlich alle vor Ort feststellen.
00:25:44: Dass das ein Thema ist, was viele Leute umtreibt.
00:25:48: Wir haben jetzt nach der Tat in Mannheim,
00:25:51: nach dem Mord an den Polizisten,
00:25:53: die Diskussion über die Frage gehabt,
00:25:55: in welche Länder überhaupt abgeschoben werden kann
00:25:58: und welche Wege dafür gefunden werden.
00:26:00: Doch doch, all dem wird schon auch gearbeitet.
00:26:03: Es gibt auch Konsequenzen, wenn darüber gesprochen wird.
00:26:06: Aber es gibt eben auch eine Grundstimmung,
00:26:09: die in der Gesellschaft drin ist.
00:26:11: Da will ich gar nicht sagen, mit der haben wir nichts zu tun.
00:26:14: Die ist natürlich auch Ergebnis dessen, wie Menschen Politik
00:26:17: und politische Prozesse und öffentliche Debatten erleben.
00:26:20: Die ist stark von, zumindest so von,
00:26:23: gesamtgesellschaftlichem Pessimismus geprägt.
00:26:26: Wir haben ja diese merkwürdige Aufteilung,
00:26:29: dass ganz viele Leute in Umfragen sagen, für mich persönlich
00:26:32: oder für die positive Entwicklung, aber für uns als Gesellschaft,
00:26:35: gucke ich in eine finstere Zukunft.
00:26:38: Das ist eine starke Gemängelage im Moment.
00:26:40: Und die kann man nicht.
00:26:42: Das ist eben etwas, was meine Partei auch verstehen muss.
00:26:45: Nicht mit Gesetzen und Maßnahmen alleine wegbeschließen,
00:26:48: sondern skitiver.
00:26:50: Aber es könnte ein Weg sein,
00:26:52: mit einer gelungenen Kommunikation darauf zu antworten.
00:26:57: Korrekt.
00:26:59: Das ist der Bundeskanzler.
00:27:01: Tatsächlich, auch wenn die Landtagswahlen in Sachsen,
00:27:04: Thüringen und Brandenburg verloren gehen,
00:27:07: immer noch ihr Mann sein kann.
00:27:09: auch der nächste Kanzlerkandidat. Ich mache keine Spekulation auf Grundlagen von
00:27:14: Wahlergebnissen, die erst noch kommen müssen und wo wir was dafür tun. Das klingt anders als ein
00:27:18: klares Bekenntnis. Das ist ein netter Versuch, Frau Will, aber das weiß ich wirklich deutlich zurück,
00:27:22: weil das ist für mich einfach eine Linie. Ich mache keine politischen Szenarien auf
00:27:26: Grundlage der Annahme, dass wir Wahlen in den Sand setzen. Dann müsste ich sofort zurück treten,
00:27:30: wenn ich mich auf solche Gedankenspiele einlassen werde, weil wir tun ja alles dafür, dass das
00:27:36: gut ausgeht in drei Monaten bei den Wahlen, sowohl für die Sozialdemokratie als auch für die
00:27:40: demokratischen Mehrheiten in den entsprechenden Ländern. Aber wir tun alles dafür, dass es gut
00:27:46: ausgeht, das haben Sie auch vor der Europawahl schon gesagt und sind damit krachend gescheitert. Aus
00:27:51: den Zahlen, die wir jetzt gerade gesehen haben, aus dem Thüringen Trend, den Infratestima beim
00:27:57: Auftrag des MDR erhoben hat, können wir nicht lesen, dass da hoffnungsbestünde zum Beispiel für
00:28:02: die SPD die Ergebnisse oder die Zahlen der Linkspartei der Grünen und der SPD rutschen weiter ab.
00:28:09: Die SPD kommt nur noch auf 7 Prozent. Die AfD auf 28, die CDU auf 23, das Bündnis Sarah Wagenknecht
00:28:18: aus dem Stand auf 21 Prozent. Wie können Sie daraus machen? Na ja, mal gucken, ob das noch gelingt.
00:28:26: Ist ja die Frage, welche Ziele man sich setzt. Sie wissen auch, wo wir hier...
00:28:30: 7 Prozent ist nicht ein Ziel.
00:28:32: Sie wissen, wo wir herkommen in Thüringen, von welchen Werten. Ich werde nie sagen, dass die SPD
00:28:36: irgendwo mit 7 Prozent zufrieden ist. Aber ich werde Ihnen jetzt auch nicht sagen, dass ein realistisches
00:28:42: Ziel für die SPD ist, 30 Prozent in Thüringen bei der Landtagswahl zu holen, weil wir das da nie
00:28:48: erreicht haben und dass dem entsprechend völlig unrealistisch wäre. Aber ich setze schon darauf,
00:28:55: dass in Thüringen genauso wie in Sachsen, wo wir ja in Ansätzen ähnliche Entwicklung bei den
00:29:01: Umfragewerten im Moment erkennen, dass irgendwann in diesem Wahlkampf eine Debatte über die Frage
00:29:06: entstehen wird, wie sollen tragfähige demokratische Mehrheiten nach dieser Wahl zustande kommen.
00:29:13: Und ich glaube schon, dass es... bin gerade wieder kurz in Thüringen gewesen. Es gibt auch dort
00:29:18: klare, nicht nur demokratische Mehrheiten natürlich, sondern auch Mehrheiten von Menschen,
00:29:22: die ein Interesse daran haben, dass eine seriöse demokratische Regierung ins Arm kommt mit Leuten,
00:29:30: die auch einen funktionierenden Apparat dahinter haben, die in der Lage sind,
00:29:34: Regierungshandwerk tatsächlich auch ausführen zu können. Und ich glaube, dass viele dieser
00:29:39: Leute sich dann schon auch von der Wahl die Frage stellen werden, kann das eigentlich gelingen?
00:29:44: Ich meine, die meisten beantworten das mit Blick auf die AfD mit einem Klaren. Nein,
00:29:48: die geht jetzt auch unter unter 30 Prozent in Thüringen. Aber viele werden sich das auch mit
00:29:53: Blick aufs Bündnis Sarah Wagenknecht stellen müssen, weil man ja gar nicht weiß, was man kriegt.
00:29:57: Viele Menschen denken ja, sie würden Sarah Wagenknecht wählen.
00:30:00: Das heißt einmal, sie hoffen auf die anderen und sie hoffen nicht auf eigene Stärke.
00:30:04: Die eigene Stärke steckt ja in dem, was ich gerade drin gesagt habe. Die SPD ist eine
00:30:10: regierungserfahrene, erprobte Partei und vor allem, und ich finde, das ist wirklich ein Wert
00:30:16: an sich in diesen Zeiten. Eine Kraft, die in der Lage ist, mit allen anderen demokratischen
00:30:20: Kräften vorurteilsfrei die Zusammenarbeit zu suchen. Wer kann das noch von sich behaupten?
00:30:25: Wir haben keine Knebelbeschlüsse in unserer Partei, die uns einmauern, so wie das bei der
00:30:30: CDU der Fall ist und dafür sorgen, dass wir völlig an den Mehrheitsrealitäten in manchen
00:30:35: Bundesländern vorbei sagen. Mit der AfD würden sie auch nicht arbeiten.
00:30:37: Nee, selbstverständlich, aber weil wir nicht in der Demokratie Bündnisse eingehen,
00:30:42: die am Ende die Demokratie kosten. Das ist doch mal ein Unterschied dazu, was die CDU mit
00:30:47: der Linken beispielsweise macht. Das behauptet ja in der CDU niemand, dass Bodo Ramelow ein
00:30:52: Antidemokrat wäre. Es ist in trotzdem ganz wichtig, dass man auf keinen Fall was zusammen
00:30:56: macht. Ich glaube, solche Geschmackssachen, die kann man sich nicht mehr erlauben in
00:31:01: den Zeiten, in denen wir leben. Und wir sind bündnisfähig dort vor Ort. Wir haben erfahrene
00:31:06: Leute in der Regierung, die gezeigt haben, dass sie in der Lage sind, Ministerien zu
00:31:10: führen. Und ganz ehrlich, das ist das, was viele Leute in Thüringen sich mal wieder wünschen
00:31:14: nach fünf Jahren einer Minderheitsregierung. Die wollen mal wieder ein Bündnis haben,
00:31:17: was mit einer parlamentarischen Mehrheit im Rücken arbeitet. Die wollen, dass nicht
00:31:21: jedes Jahr ein Gewirge um den Landeshaushalt stattfindet. Auch deshalb ist der Verdruss
00:31:26: über Politik dort so groß, weil die eigentlich das Gefühl haben, das ist ein dysfunktionaler
00:31:31: Politikbetrieb die letzten fünf Jahre. Nur die Zahlen geben, dass sie jetzt nicht
00:31:34: her. Oder sie sagen, wir machen gemeinsame Sache mit der CDU, mit dem Bündnis Sarah Wagenknecht
00:31:39: und der SPD. Das kann ich heute noch gar nicht absehen, weil A) entscheiden das am Ende
00:31:45: die Länder und B) ist ja noch kein Wahlergebnis konkret da. Aber wir hören ja im Moment schon
00:31:52: die Töne. Der Ostbeauftragte Carsten Schneider, der selbst Thüringer ist, ja sein Wahlkreis
00:31:57: in Erfurt, hat sich gerade dazu geäußert und hat gesagt, wir haben nicht den Luxus,
00:32:02: das alles runterschließen zu können. Und ich glaube, er hat Recht. Trotzdem haben wir
00:32:07: das Recht im Gegenzug zu sagen, Wählerinnen und Wähler dürfen schon erwarten, dass sie
00:32:11: vom BSH bis zum Wahltag noch ein bisschen mehr zu hören bekommen. Ich will auch Wählerinnen
00:32:16: und Wähler dazu ermutigen, mehr in Erfahrung zu bringen. Wer sind die Leute eigentlich auf
00:32:19: diesen Listen und wofür stehen die sonst? Denn wie gesagt, das wichtigste und prominenteste
00:32:25: Thema des BSH ist der Umgang mit dem Ukrainekrieg und jetzt kommt eine mittere Wahrheit für
00:32:30: Frau Wagenknecht. Die Frage von Waffenlieferung wird nicht in Erfurt im Landtag entschieden.
00:32:34: Das ist aber, glaube ich, den Wählerinnen und Wählern da egal. Denn das wissen die auch
00:32:38: in dem Moment, in dem sie von Infratestima für die gerade aktuelle Umfrage befragt
00:32:44: werden, da sagen die auch, jo, das BSH ist jetzt meine neue Partei, weil ich mich überall
00:32:49: sonst nicht so gut aufgehoben fühle wie vielleicht da.
00:32:53: Ich glaube, die sind da klüger, ehrlich gesagt, weil die wissen natürlich ganz genau mit
00:32:57: Umfragen findet Politik statt, allein dass wir jetzt darüber sprechen und das zum Anlass
00:33:01: nehmen, zu schauen, welche Einstellungen stehen dahinter, was erwarten Leute, zeigt ja,
00:33:07: dass das funktioniert. Die wissen aber auch, dass was sie tatsächlich am Ende in der Wahlkabine
00:33:10: macht, führt zu Mehrheiten in einem Landtag. Und in diesem Landtag wird nicht über den
00:33:14: Ukrainekrieg, sondern über den Zustand der Schulen ihrer Kinder und Enkelkinder entschieden,
00:33:19: über die Frage, wo die Löcher in den Straßen gestopft werden oder auch nicht, ob Windräder
00:33:23: aufgestellt werden und so weiter. Das ist Landespolitik und ich glaube, die sollte schon
00:33:28: ein bisschen auch eine Rolle spielen.
00:33:29: Wenn Sie das sagen, dann laden Sie mich gerade zu dazu ein, nochmal auf die finsteren Ergebnisse
00:33:35: Zahlen der Europawahl zu gucken. Denn das ist eben dann nicht die Umfrage gewesen, sondern
00:33:41: das war das Wahlergebnis und dann muss man sagen, Wahnsinn, die CDU gewinnt zum allerersten
00:33:47: Mal bis auf einen einzigen Wahlkreis. Alle Wahlkreise im Ruhrgebiet, nur Herne, gewinnen
00:33:55: sie nicht, auch in Gelsenkirchen, wo man immer gedacht hätte, das ist aber auf jeden Fall
00:34:00: eine SPD-Stadt, liegt die CDU vorne, die AfD kommt auf Platz zwei, die SPD nur auf Platz
00:34:06: drei. 580.000 Menschen haben wir eben schon gesagt, die vor drei Jahren noch bei der Bundestagswahl
00:34:12: die SPD gewählt haben, wählen jetzt das Bündnis Sarah Wagenknecht. 570.000 Menschen entscheiden
00:34:18: sich jetzt für die AfD, die vor drei Jahren noch die SPD gewählt haben und von den Arbeitern.
00:34:23: Das war mal Ihre Klientel, von den Arbeitern wählen nur noch 12 Prozent die SPD, 33 Prozent
00:34:32: aber die AfD. Kriegen Sie das alles jemals noch gedreht?
00:34:36: Ja, sonst würde ich nicht hier sitzen, wenn ich nicht davon ausgehe, dass da Bewegung
00:34:41: reinzubringen ist. Wir haben, das sind alles Zahlen des Schreckens, das brauchen wir überhaupt
00:34:46: nicht drüber diskutieren. Doch, da sehen wir jetzt drüber.
00:34:48: Ja, ich wollte nicht zurückweisen, dass wir darüber reden, aber Sie sind mir nicht neu
00:34:52: die Zahlen. Ich habe mich mit all den die letzten Tage auseinandergesetzt. Ich weiß aber auch,
00:34:57: dass wir in absoluten Zahlen im Prinzip ziemlich genau die Zustimmung eingefahren haben,
00:35:01: wir bei der Europawahl vor fünf Jahren und wir haben danach gezeigt, dass wir in der Lage
00:35:05: waren trotz alledem eine Bundestagswahl zu gewinnen. Nun war nicht meine eigene Partei
00:35:10: davor. Dank der Fehler der anderen.
00:35:12: Nee, das finde ich deutlich verkürzt, das nur auf die Fehler der anderen zurückzuführen.
00:35:16: Die Leute hätten ja auch die Tierschutzpartei oder sonst um was wählen können, wenn sie
00:35:19: an der Lena Baerbock doof finden. Da gehört dann schon auch eine eigene Stärke dazu. Aber,
00:35:24: ich warne da auch meine eigenen Leute, man darf das jetzt nicht als ein Naturgesetz verstehen.
00:35:29: Die ist bedieferiert nur Europawahl und dann reist sie sich zusammen und machten jahrlang
00:35:33: nichts Falsches und dann wählen die Leute ein. Das wäre eine verkürzte Erinnerung an
00:35:38: das, was vor der Bundestagswahl 2021 passiert ist. Eine innere Solidarität bei gleichzeitig
00:35:47: großer Ehrlichkeit zueinander ist eine notwendige, aber noch keine hinreichende Voraussetzung
00:35:52: dafür, dass wir uns aus dem Schlammassel jetzt wieder rausarbeiten können. Ich werte
00:35:57: die insbesondere zweieinhalb Millionen Leute, die zu Hause geblieben sind, die nicht zu
00:36:01: einer anderen Partei gegangen sind, auch als ein Ausdruck davon letztlich zu sagen, meine
00:36:08: Partei, die SPD, soll kämpfen. Weil das ist ...
00:36:12: Da habe ich schon am Wahlabend gestaunt, als sie das unmittelbar nach der ersten Prognose
00:36:16: sagten. Und sie haben mir eben selber gesagt, was unterstellen sie da eigentlich? Was wissen
00:36:21: sie über diese zweieinhalb Millionen Menschen? Warum könnte es sein, dass die ihnen den
00:36:25: Auftrag gegeben haben, jetzt zu kämpfen? In welcher Glaskugel aus dem SPD-Merchandising
00:36:32: haben sie das ...
00:36:33: Aus gar keinerm. Im Wahlkampf. Deswegen machen wir Wahlkämpfe. Also Frau Will, ich bin seit ...
00:36:38: Aber Sie haben doch nicht mit zweieinhalb Millionen Menschen gesprochen, die nachher
00:36:41: dann nicht zur Wahl gegangen sind.
00:36:42: Das stimmt, aber wir reden ja auch über Zahlen von Infratestimab. Die haben dann auch nicht
00:36:45: mit zwei Millionen Leuten gesprochen, sondern mit einer Stichprobe von 1000. Und das ist
00:36:48: die Grundlage, um da auch etwas zu sprechen.
00:36:50: Punkt für Sie.
00:36:51: Und genau so verhält es sich für uns in Wahlkämpfen. Ich bin seit Beginn des Jahres bei über 100
00:36:56: Terminen bundesweit unterwegs gewesen. Und das ist ja nicht irgendeine Bühnenveranstaltung,
00:37:00: wo man von oben die Leute belatscht hat, sondern ich stehe wirklich in Fußgängerzonen
00:37:04: und auf Marktplätzen an Infoständen und nehme sehr unmittelbar und ungefiltert Eindrücke
00:37:12: mit. Das machen übrigens die meisten bei uns. Also sie dürfen davon ausgehen, wenn wir
00:37:16: solche Gedanken preisgeben, dann ziehen wir uns die nicht nur aus Zahlen werken, sondern
00:37:20: das ist immer auch verdichteter Alltag, den wir mitkriegen. Das übrigens auch als Ermutigung
00:37:25: an diejenigen, die vielleicht mal mit dem Gedanken spielen, irgendwann in so eine Sprechstunde
00:37:29: von einem Abgeordnetenbüro oder so zu gehen. Die sollen sowas tun. Das hilft alles Stimmungen
00:37:36: auch besser mitzukriegen, was für uns ein ganz wichtiger Teil des Geschäfts ist. Und
00:37:40: ich habe das einfach oft gehört in den letzten Monaten, dass uns Leute zurufen und sagen,
00:37:44: ihr müsst euch besser verkaufen, ihr müsst eure Politik besser erklären, ihr müsst euch
00:37:50: mehr durchsetzen gegen die Koalitionspartner. Ich könnte tausend andere Beispiele nennen,
00:37:55: das übersetze ich für mich mit. Ich finde euren Politikansatz vielleicht nicht jedes
00:37:59: Detail, aber grundsätzlich weiterhin ganz gut. Ihr seid auch meistens meine Partei,
00:38:05: euren Satz, den man in der SPD häufig hört, entweder die oder keine andere. Aber ich
00:38:10: will das auch leben in der Bude drin. Und warum haben Sie es dann nicht so fortgemacht,
00:38:15: wenn Sie das schon die ganze Zeit gehört haben? Oder anders gefragt, woher es könnten wir
00:38:19: dann schließen, dass Sie jetzt aber den Stein des Weisen finden, wie Sie es machen können?
00:38:24: Das Schwierige ist, dass es eine sich widersprechende Erwartung an die SPD gibt. Denn genauso wie
00:38:30: mir viele dieser Leute begegnet sind, die gesagt haben, Karamba, Karacho, jetzt macht
00:38:35: mal hier ein bisschen. Genauso viele Leute stehen dem gegenüber, die sagen, der Streit
00:38:40: in der Ampel, können Sie nicht bitte dafür sorgen, dass das ruhiger und zielorientierter
00:38:46: alles stattfindet. Bitte nicht so viel Streit, sondern mehr Lösung. Ganz häufig hört man
00:38:51: so ein Satz wie, können sich nicht alle mal im Wochenende zusammen einschließen und
00:38:55: Lösungen für die Sachen finden und dann sagen, worauf sie sich geeinigt haben. Und
00:38:59: das ist zumindest in Teilen eine sich widersprechende Erwartung. Eine Partei kann nicht gleichzeitig
00:39:06: geräuschlos schwierige Verhandlungsprozesse organisieren und im selben Moment ganz viel
00:39:12: Profilscherve zeigen und dem Christian Lindner mal ordentlich vorführen, dass wer hier die
00:39:18: Hosen an hat in der Regierung. Und deswegen muss eine Partei hier auch ehrlich zu Wählerinnen
00:39:23: und Wählern sein. Das gehört nämlich zu Augenhöhe dann auch dazu und Antworten. Absolute
00:39:30: fungstille aus der Regierung, ganz geräuschloser Betrieb. Kein Streit ist keine realistische
00:39:36: Erwartung. Ich würde sogar sagen, es ist bis zu einem gewissen Grad nicht mal eine
00:39:40: wünschenswerte Erwartung, weil eine gewisse Form von demokratischem Streit, bei dem es
00:39:46: auch mal ruckelt, mit dazu gehört zu unserer Auseinandersetzung. Und ich bin auch für
00:39:52: Profilscherve, aber eine regierende Partei darf jetzt auch nicht nur den ganzen Tag ihr
00:39:56: Parteiprogramm vorlesen. Da haben übrigens unsere Wählerinnen und Wähler auch nichts
00:40:00: von. Natürlich kann ich stundenlang eine Rede darüber halten, was man alles mal tun müsste,
00:40:05: aber davon geht es ja keinem Menschen besser. Also wir müssen das schon auch zum Anlass
00:40:08: nehmen, miteinander ins Gespräch zu kommen und zu sagen, was ist denn in einem Land, in
00:40:12: dem eine Partei mit 25 Prozent stärkste Kraft geworden ist bei der letzten Wahl? Es ist
00:40:16: ja nicht super viel. Es ist ein gutes Ergebnis für uns, aber es ist nicht super viel. Was
00:40:20: ist eigentlich eine realistische Erwartung an die Durchsetzungsfähigkeit einer solchen
00:40:25: Partei in einem Dreierbündnis? Weil vielleicht sind wir irgendwann demnächst nicht mehr in
00:40:30: der Koalition, kann ja sein, aber dann trifft es den Nächsten und die Enttäuschung wird
00:40:33: vielleicht eine ähnliche sein. Dann schauen wir hin zu dem, was im Moment
00:40:37: gerade läuft. Bis Anfang Juli, das ist nicht mehr viel Zeit. Da ist eine Menge Termindruck
00:40:43: drauf, soll es eine Einigung im sogenannten Haushaltsstreit geben. Bis dahin muss also klar
00:40:48: sein, wie Sie die 30 bis 50 Milliarden Euro einsparen können, die wohl eingespart werden
00:40:55: müssen, wenn denn die FDP nicht doch noch einlenkt und die sogenannte Schuldenbremse
00:41:00: lockert. Das wollen ja SPD und Grüne. Oder könnten Sie sich vorstellen, wegen des Kriegs
00:41:06: gegen die Ukraine einen neuen sogenannten Notlagenbeschluss zu treffen, der auch eine
00:41:11: Art von Lockerung der Schuldenbremse bzw. Ausnutzen der Möglichkeiten derselben wäre.
00:41:16: Was, wenn das alles nicht klappt, haben Sie dafür einen Plan B?
00:41:22: Darüber mache ich mir Gedanken, weil ich es muss. Alles andere wäre nicht verantwortlich,
00:41:27: aber nicht, weil ich es will. Und das will ich auch für alle drei Koalitionspartner sagen.
00:41:32: Ich treffe keinen, der mir, man kann ja nicht in den Kopf der Leute gucken, aber niemand
00:41:36: vermittelt mir den Eindruck, dass er auch nur klammheimlich Freude an dem Gedanken
00:41:41: hat, es könnte nicht klappen mit einem Haushaltsentwurf. Alle wollen es hinkriegen.
00:41:46: Und deswegen bin ich auch recht sicher, dass es funktionieren wird, aber das ist keine
00:41:53: Showverhandlung im Moment. Welchen Plan B haben Sie?
00:41:56: Da wäre ich jetzt ein schlechter Generalsekretär, wenn ich den jetzt da legen würde an der
00:42:01: Stelle und ehrlicherweise den, was den Teil des Haushaltes angeht. Da hat der Plan B auch
00:42:06: nicht bei mir zu liegen, weil das ist ja eine Kabinettsverhandlung. Also es muss man, glaube
00:42:10: ich, vielen auch noch mal klar machen, wir haben ja jetzt nicht Zeitdruck, weil morgen
00:42:13: der Haushalt als solcher beschlossen werden muss. Der wird erst planmäßig irgendwann
00:42:17: im November vom Parlament beschlossen. Der Zeitdruck entsteht dadurch, dass es Usus
00:42:21: ist und die Erwartung ist auch des Parlaments, dass wir vor der Sommerpause vom Kabinett
00:42:26: und das heißt 3. Juli einen Haushaltsentwurf bekommen. Und insofern liegt der Ball, das
00:42:32: muss man jetzt wirklich mal wieder ein EM-Sprichwort sozusagen, der liegt jetzt tatsächlich beim
00:42:39: Kabinett. Die müssen das hinkriegen, uns einen Entwurf vor der Sommerpause zuzuleiten.
00:42:45: Und wenn ich sehe, wie der Terminkalender des Bundeskanzlers gerade strapaziert wird,
00:42:49: um jede freie Minute für Verhandlung zu diesem Haushalt möglich zu machen, dann sehe ich
00:42:54: die große Ernsthaftigkeit und das Bestreben, das auch hinzukriegen.
00:42:58: Mal genau hingeschaut, wie ein Kompromiss gehen könnte. Sie hatten am Wahlabend gleich
00:43:03: auch einen klugen Kompromiss angemahnt. Das wünschten Sie sich. Wie könnte der gehen,
00:43:09: wenn alle jetzt an Ihren roten Linien festhielten, dann glaube ich kann es nicht klappen. Sie
00:43:15: haben am Wahlabend gleich gesagt, beim Haushalt sei eine Einigung, Zitat, auf Kosten des sozialen
00:43:21: Zusammenhalts eine Linie über die wir nicht drübergehen werden. Zitat Ende, die Grünen
00:43:27: argumentieren ähnlich. Der Finanzminister Lindner von der FDP hat dagegen absolut klar
00:43:33: gemacht, dass mit ihm gar nichts außer Sparen geht. Der hat auch klare rote Linien definiert.
00:43:39: Die Schuldenbremse werden nicht abgeschafft, sagt er. Sie werden auch nicht reformiert.
00:43:44: Es gäbe kein Notlagenbeschluss, kein weiteres Sondervermögen, also kein Kompromiss. Stattdessen
00:43:51: erwarte er, dass der Kanzler den Koalitionsvertrag gegenüber seinen Leuten, so sagt er, durchsetzt.
00:43:58: Können Sie ausschließen, dass der Kanzler das mitmacht und Lindner hinterher wieder derjenige
00:44:03: ist, der sich auf ganzer Linie durchgesetzt hat? Ich kann ausschließen, dass der Bundeskanzler
00:44:09: der Erfüllungsgehilfe von Christian Lindner ist, was nicht heißt, dass die beiden nicht
00:44:14: ordentlich zusammenarbeiten. Aber der Bundeskanzler ist Sozialdemokrat und nicht liberaler. Aber
00:44:20: er hat zuletzt im Stern doch schon gesagt, darauf beziehen die Liberalen sich jetzt andauend
00:44:25: und immer fort. Jetzt sei erst mal Schwitzen angesagt. Das deuten die als endlose Unterstützung
00:44:33: für den reginen Sparkos. Ja, was sollen sie auch anderes tun, würde ich an ihrer Stelle
00:44:38: auch machen. Aber Achtung auf die Wortwahl, jetzt ist erst mal Schwitzen angesagt. Und
00:44:44: das ist ja auch völlig in Ordnung so. Es ist nämlich nicht ausreichend, dass eine Koalition
00:44:49: von einem Haushaltsloch steht, von einer Größenordnung, sagen wir mal 40 Milliarden. Und bevor überhaupt
00:44:55: angefangen wurde zu verhandeln, sich quasi schon hinstellt und sagt, das kann man ja gar
00:44:59: nicht schaffen. Deswegen gucken wir auch gar nicht erst, ob wir irgendwo Einsparpotenziale
00:45:04: haben. Da würden Steuerzahlerinnen und Steuerzahler zurecht sagen, jetzt macht das euch aber sehr
00:45:09: leicht. Deswegen ist es völlig richtig, dass ein Kabinett sich erst mal auf die Suche begibt
00:45:13: zu gucken, was können wir denn tun? Selbst wenn wir die feste Überzeugung haben, dass
00:45:18: wir über Einsparungen allein 40 Milliarden nicht zusammenkriegen und diese feste Überzeugung
00:45:22: haben, wer das nicht geht, weil der Bundeshaushalt, das müssen die Leute wissen, ist 450 Milliarden
00:45:27: ungefähr groß und die Einschätzung, übrigens das Bundesrechnungshof, nicht der SPD, ist
00:45:33: etwa 10 Prozent davon. 45 Milliarden sind disponabel, wie man so schön sagt, können also wirklich
00:45:39: frei priorisiert werden, wofür wir sie einsetzen. Der Rest sind letztlich durchlaufende Posten,
00:45:45: das sind rechtliche Verpflichtungen, Sozialleistungen und ähnliches mehr, da kann gar nicht viel
00:45:50: daran gedreht werden. Das heißt, wir müssten quasi alle frei verfügbaren Mittel, Investitionsmittel
00:45:56: und ähnliches das Haushalt ist, die müssten wir quasi alle rundheraus streichen fürs Jahr
00:46:01: 2025, um die Lücke füllen zu können. Das wird nicht gehen können, aber natürlich
00:46:06: gibt es Punkte, wo man sparen kann und deswegen stimmt ihre Ausgangsthese ja auch nicht, dass
00:46:10: jetzt einfach alle nur auf ihrem Standpunkt beharen würden. Nehmen Sie zum Beispiel die
00:46:15: Entwicklungsministerin Svenja Schulze, die hat schon Ende letzten Jahres mit ihrem
00:46:19: Haushalt ziemlich unbeachtet übrigens von der Öffentlichkeit einen enormen Einsparbeitrag,
00:46:24: einen schmerzhaften Orkle-Leiste zum Bundeshaushalt und wird das auch jetzt wieder tun in den Verhandlungen.
00:46:31: Nur kann sie mit ihrem kaum mehr als 10 Milliarden betragenden Etat natürlich nicht das Haushaltsproblem
00:46:37: an und für sich auflösen.
00:46:38: Sie haben gesagt, an den sozialen Zusammenhalt lasse ich nicht rangehen. Das war Ihr Punkt,
00:46:43: Ihre bleibt dabei rote Linie, der Finanzminister Christian Lindner will ja ans Bürgergeld
00:46:50: ran. Da wird er nicht müde, das zu sagen, gerade erst wieder im Deutschlandfunk im
00:46:54: Interview hat er das gemacht. Stellen Sie, um der FDP entgegenzukommen, dass Bürgergeld
00:47:01: insgesamt tatsächlich nochmal zur Disposition auch nachdem, was das Europawahlergebnis ergeben
00:47:07: hat, denn da fiel mir ein, dass es eine Allensbach-Umfrage gibt aus dem Januar allerdings schon, die wahrscheinlich
00:47:14: in die Analysen auch mit einen fließen wird, wo 62 Prozent der SPD-Anhänger*innen die Höhe
00:47:20: des Bürgergelds für ein Beschäftigungshindernis halten.
00:47:23: Ja, dem stehen Zahlen entgegen. Also das Gefühl ist so, wie Sie beschreiben, erlebt man auch
00:47:30: vor Ort und kommen wir auch nicht dran vorbei. Trotzdem sind die Zahlen, die muss ich einmal
00:47:35: wenigstens nennen, so, dass seit 20 Jahren nicht mehr so wenig Menschen aus Arbeit ins
00:47:41: Grundsicherungssystem abgewandert sind, wie im vergangenen Jahr 2023, als das Bürgergeld
00:47:48: gegriffen hat. Also das Gefühl deckt sich, das ist manchmal in der Politik so, nicht mit
00:47:52: der Wirklichkeit, das ist jetzt auch keine Beschimpfung der Leute, dass sie das nicht
00:47:56: richtig verstanden hätten, aber hier hat eine politische Debatte sich ein Stück weit
00:48:01: unverselbstständigt. Ich halte die Bürgergelddiskussion deshalb für selbst wenn es wollte,
00:48:06: für keinen Lösungsansatz für den Haushalt, wenn das einzige, was wirklich Geld bringen
00:48:10: würde beim Bürgergeld, sind ja nicht so ein paar Effizienzsteigerungen, so wie wir es
00:48:15: jetzt wahrscheinlich beim Thema Schwarzarbeit machen werden oder bei 15.000 Totalverweigerern,
00:48:21: bei denen wir jetzt nochmal härter rangegangen sind. Das bringt ja für den Haushalt nicht
00:48:25: viel ein. Da geht es ums Prinzip, da geht es darum, dass die Leute verstehen es von
00:48:28: ihrem Steuergeld nicht faule Leute finanziert werden. Gut, dass sie so einordnen finde
00:48:34: ich gut. Ja, aber eine wirkliche Einsparung für den Haushalt würde sich ergeben, wenn
00:48:39: man deutlich den Regelsatz absenken würde. Und der ist ja nicht in der Höhe, wie er
00:48:44: jetzt ist, weil die SPD gewürfelt hat und die Zahl rausgekommen ist, sondern weil wir
00:48:49: Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes haben, zu Ausurteilungen dazu, wie die Grundsicherung
00:48:55: in Deutschland auszusehen hat, was materielles Existenzminimum und ähnliches ist, an dem
00:49:00: wir uns orientieren. Der große Erhöhungsschritt hat deshalb stattgefunden, weil wir einen
00:49:04: Fehler korrigiert haben, für den wir auch gerichtlich angemahnt wurden, nämlich dass
00:49:09: wir die Anpassung an die Inflation früher immer erst so mit anderthalb Jahren Verspätung
00:49:15: gewährt haben. Jeder Beschäftigte würde sagen, da bedanke ich mich aber schön bei
00:49:18: meinem Arbeitgeber, wenn die Anpassung immer erst so viel später kommt. Das heißt, das
00:49:21: haben wir korrigiert einmal und damit ist jetzt auch gut. Es wird fürs nächste Kalenderjahr
00:49:26: 2025 mit aller Voraussicht eine Nullrunde beim Bürgergeld geben, weil die Preisentwicklung
00:49:32: sich jetzt deutlich wieder eingebremst hat und damit auch kein Bedarf für eine größere
00:49:37: Erhöhung dort ist. Aber es ist einfach, es ist eine Erwartung, die geweckt wird. Wenn
00:49:41: man jetzt sagen würde, die Politik könnte da groß runtergehen beim Bürgergeld, das ist
00:49:47: durch Rechtsprechung nicht gedeckt und deswegen auch nicht seriös diese Diskussion zu führen,
00:49:52: weil es wird in einer großen Enttäuschung münden.
00:49:54: Dann also nochmal gefragt. Gibt es eine Art von Ausweg aus den unterschiedlichen Positionen,
00:50:02: mit denen die FDP reingeht und mit denen SPD und Grüne reingehen, die so was wie ein,
00:50:09: das ist ja unsere Titelfrage diese Woche, ein Happy End für die Koalition bedeuten könnten?
00:50:14: Ja, wenn das Ziel ein Happy End ist, dann werden wir scheitern, weil ich glaube noch nie hat
00:50:18: ein Bundeshaushalt dazu beigetragen, dass die Leute eine Party gefeiert haben. Am Ende,
00:50:22: das ist auch nicht seine Funktion, sondern es muss eine ordentliche Geschäftsgrundlage geben.
00:50:27: Und es ist ja auch Teil der öffentlichen Diskussion. Es gibt ein paar technische Instrumente, über
00:50:32: die man schon gut miteinander sprechen kann. Es gibt zum Beispiel die in Fachkreisen berühmt
00:50:38: gewordene Konjunkturkomponente, wenn es um die Schuldenbremse geht. Das heißt, da kann ein bisschen
00:50:44: mehr Kreditaufnahme des Staates möglich sein, wenn man die Annahme unterstellt, dass da Kapazitäten
00:50:52: in unserer Wirtschaft frei sind und dass es daher nicht schädlich ist, wenn der Staat mit eigenen
00:50:57: investiven Mitteln dort reingeht, weil man keine privatwirtschaftlichen Kapazitäten klaut,
00:51:01: sondern letztlich dafür sorgt, dass die Auftragsbücher voll sind. Da sind bisher sehr negative
00:51:08: Annahmen über die Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft unterstellt. Wenn man die etwas
00:51:12: optimistischer ausgestaltet und ich glaube, das kann man auch begründet tun, dann ergeben sich hier
00:51:18: mehr Möglichkeiten. Klingt wie ein Bohrungstrick. Ja, das ist das, was sicherlich, wenn wir es so
00:51:23: täten, auch die Union am Ende sagen würde, das tut sie dann immer in diesem Moment, aber das ist
00:51:28: eine Spielregel, die ist in der Schuldenbremse drin. Die denken wir uns nicht neu aus, sondern die
00:51:33: ist genau dafür da, dass man sie eben betrachtet. Und wenn ich im Wahlkreis oder anderswo unterwegs
00:51:38: bin und mit Mittelständlern spreche und frage, wie sieht es aus, dann kriegt man ja mit anekdotischer
00:51:42: Evidenz die Bestätigung, dass der Kapazitäten zum Teil frei sind oder bald frei werden könnten.
00:51:48: Wenn ich nur ins Bauhauptgewerbe oder so reingucke, dann ist es ja ganz offensichtlich, dass da noch
00:51:52: was geht. Es ist ja übrigens spannend mit dem BDI, der BDI, nachdem wir jetzt schon konservative
00:51:57: Wirtschaftsmedien und allem CDU-Ministerpräsidenten gesagt haben, das ist vielleicht nicht mehr
00:52:02: zeitgemäß, wie wir das mit der Schuldenbremse heute handhaben, sagt das Herr Russwurm auch,
00:52:07: hat ausrechnen lassen, sehr gutes Zahlenwerk, wie viele zusätzliche Investitionsbedarfe wir in den
00:52:14: nächsten zehn Jahren in Deutschland haben. Die haben nämlich mal abgeglichen, die gelten in
00:52:19: Gesetze in Deutschland, viele mit der Union übrigens mal zusammen beschlossen, Klimaschutzgesetz,
00:52:23: Wasserstoffstrategien und anderes mehr, was man so reinstecken müsste und haben festgestellt,
00:52:28: oh Wunder, wenn wir nicht mehr Investitionstätigkeit auch über Kredite ermöglichen, dann wird das
00:52:33: kaum möglich sein zu schaffen. Und daher bleibe ich auch bei meiner Prognose in sehr nahe Zukunft,
00:52:39: wird es in Deutschland zu einer Reform der Schuldenbremse kommen. Ich glaube nicht mehr in
00:52:44: dieser Wahlperiode, das wäre jetzt von meiner Partei auch eine unrealistische Erwartung,
00:52:48: das habe ich verstanden, das ist für die FDP aus welchen Gründen auch immer eine Sache,
00:52:54: die sie nicht tun werden. Das muss man dann, ob man es versteht oder nicht ab einem gewissen
00:52:59: Punkt auch irgendwo respektieren, wenn man will, dass an anderer Stelle auf einer Etage oder darunter
00:53:04: Bewegungen in Verhandlung reinkommen kann. Also das könnte das Ende sein, dieses Haushaltsstreiz.
00:53:10: Naja, es kann ein Beitrag dazu leisten, aber die Lücke ist schon erheblich und man wird sich schon
00:53:17: noch ein paar Verrenkung mehr ausdenken müssen. Kevin Kühnert, vielen Dank, dass Sie bei uns waren.
00:53:22: Wir haben dieses Interview am Mittwoch, dem 19. Juni 2024 gegen 9 Uhr, jetzt ist dann bald 10
00:53:30: aufgezeichnet. Und wenn euch gefällt, weil ihr hier so hört, dann abonniert doch gerne diesen
00:53:35: Podcast, um keine Folge mehr zu verpassen und empfiehlt uns auch gerne weiter, freut uns
00:53:40: alles. Und wenn ich sage uns und wir, dann sind gemeint, die Redaktion hatten Freyreis und Felix
00:53:45: Schlagwein. Executive Producerin ist Marie Schiller, Producer ist Maximilian Frisch. Sounddesign,
00:53:52: Hannes Husten, die Vermarktung macht für uns die Mitvergnügen und das Ganze ist eine
00:53:56: Produktion der Will-Media-GMBH. Danke, tschüss. Ciao.
00:53:59: [Musik]
00:54:13: Untertitel im Auftrag des ZDF im Auftrag des ZDF für funk, 2019
00:54:16: SWR 2020