Bleibt der Osten immer anders? Mit Steffen Mau und Petra Köpping
Shownotes
Entlang der ehemaligen innerdeutschen Grenze zeigt sich eine Teilung der Bundesrepublik: Der Osten nahezu komplett in AfD-Blau, der Westen fast vollständig in CDU/CSU-Schwarz, so sieht die politische Landkarte Deutschlands nach den Europawahlen aus. Angesichts dieser Unterschiedlichkeit diskutiert Anne Will in dieser Folge mit dem Soziologen Prof. Steffen Mau über die Frage: Bleibt der Osten immer anders? Steffen Mau, der selbst Ostdeutscher ist, beantwortet diese Frage mit Ja. Er verweist auf die Geschichte der ostdeutschen Bundesländer und darauf, dass der Angleichungs- und Aufholprozess inzwischen stagniere.
Gemeinsam denken Anne Will und Steffen Mau über die Ursachen dafür nach, dass sich im Osten fast 35 Jahre nach der Wiedervereinigung ein anderes Parteiensystem abzeichnet. Sie sprechen über die Stärke von extrem rechten Parteien wie der AfD und über die Frage, warum das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) im Osten deutlich besser abschneidet als in westdeutschen Bundesländern. Sie diskutieren über Veränderungserschöpfung und Krisenmüdigkeit und darüber, warum die im Westen etablierten politischen Parteien im Osten weniger verwurzelt sind.
Steffen Mau stellt fest, dass Sorge um die Demokratie in Ostdeutschland berechtigt ist. Es drohe etwas zu kippen. Auf der Suche nach Lösungen plädiert Soziologe für mehr und neue Formen der Beteiligung, zum Beispiel für Bürgerräte.
Über die Stimmung im Osten spricht Anne Will für diese Folge außerdem mit Petra Köpping (TC 29:08-38:24). Sie ist die Spitzenkandidatin der SPD zur sächsischen Landtagswahl und die sächsische Staatsministerin für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt. Köpping glaubt, dass der Osten noch drei Generationen brauche, um die Angleichung an westdeutsche Verhältnisse zu schaffen. Sie kritisiert, die Lage in Sachsen und im Osten werde von anderen politischen Parteien schlecht geredet. Neue Ansiedlungen z.B. aus der Chipindustrie zeigen ihrer Ansicht nach, dass die wirtschaftliche Perspektive im Osten sehr positiv sei. Köpping erklärt, die Menschen im Osten seien nach den Umbrüchen in den 90er Jahren und den Krisen der vergangenen Jahre mit ihrer Geduld am Ende. Die Bundespolitik habe ihrer Einschätzung nach aber mittlerweile verstanden, dass sie sich mehr um den Osten kümmern müsse. Warum die SPD in Sachsen dennoch nur bei 7% in aktuellen Umfragen steht, auch darüber spricht sie im Interview mit Anne Will.
Ein Thema, das zu den stark unterschiedlichen Wahlergebnissen in Ost und West beigetragen hat: Die Ukraine-Politik. Immer mehr Menschen im Osten fordern, die militärische Unterstützung für die Ukraine zu reduzieren. Deshalb diskutiert Anne Will im zweiten Interviewausschnitt mit Petra Köpping darüber, ob die SPD ihre Haltung zu Waffenlieferungen und zum Umgang mit Flüchtlingen aus der Ukraine ändern sollte. (TC 01:07:38-01:15:02)
Das vollständige Interview mit Petra Köpping erscheint am 29. Juni 2024 um 6 Uhr als Bonusfolge.
Der Redaktionsschluss für diese Folge war am Mittwoch, 26. Juni 2024, um 17.30 Uhr.
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WICHTIGE QUELLEN:
MDR: Wahlumfrage in Sachsen: AfD und CDU Kopf an Kopf und BSW im Kommen, 20.06.2024 https://www.mdr.de/nachrichten/sachsen/landtagswahl-cdu-afd-bsw-umfrage-sachsentrend-100.html
ARD: Sommerinterview mit Olaf Scholz, 23.06.2024 https://www.ardmediathek.de/video/bericht-aus-berlin/sommerinterview-olaf-scholz/ard/Y3JpZDovL2Rhc2Vyc3RlLmRlL2JlcmljaHQgYXVzIGJlcmxpbi8yMDI0LTA2LTIzXzE4LTAwLU1FU1o
ZDF: Sommerinterview mit Friedrich Merz, 23.06.2024 https://www.zdf.de/politik/berlin-direkt/merz-sommerinterview-ampel-wahlen-osten-bsw-afd-sendungsvideo-100.html
ARD: Merz' neue Töne für "den Osten", 24.06.2024 https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/cdu-landtagswahlen-100.html
ARD: Wie viele Ukrainer in Deutschland aktuell arbeiten, 24.06.2024 https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/dobrindt-ukrainer-100.html
EMPFEHLUNGEN:
Steffen Mau: Ungleich vereint - Warum der Osten anders bleibt. Suhrkamp Verlag 2024 https://www.suhrkamp.de/buch/steffen-mau-ungleich-vereint-t-9783518029893
Steffen Mau: Triggerpunkte - Konsens und Konflikt in der Gegenwartsgesellschaft. Suhrkamp Verlag, Oktober 2023 https://www.suhrkamp.de/buch/triggerpunkte-t-9783518029848
Petra Köpping: Integriert doch erst mal uns! Eine Streitschrift für den Osten. Ch. Links Verlag 2018 https://www.aufbau-verlage.de/ch-links-verlag/integriert-doch-erst-mal-uns/978-3-96289-009-4
Impressum:
Redaktion: Jana Merkel, Olga Patlan
Executive Producerin: Marie Schiller
Audio Producer: Maximilian Frisch, Lukas Hambach, Patrick Zahn
Sounddesign: Hannes Husten
Vermarktung: Mit Vergnügen GmbH
Eine Produktion der Will Media GmbH
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00:00:00: Wenn man sie so ein bisschen kennenlernt, woran würde man sofort oder bald merken, dass sie in Ostdeutschland geboren sind?
00:00:06: Oha, ich glaube das ist ganz schwer. Ich würde mich wahrscheinlich irgendwann outen und mich selber markieren.
00:00:16: Warum?
00:00:17: Weil das zu meiner Persönlichkeit dazu gehört. Ich trage das jetzt nicht so vor mir herum und aber wenn man mich länger kennt, irgendwie, man erzählt was über sich.
00:00:25: Da spielt Identität, Herkunft, immer eine Rolle und von daher glaube ich würde ich das nicht als Geheimnis mit mir umtragen.
00:00:33: Sagen Sie Kulturbeutel oder Waschtasche?
00:00:36: Ich weiß gar nicht. Ich glaube, ich sage Waschtasche. Ist das was östlich ist? Das weiß ich gar nicht.
00:00:43: Das ist ja auch jetzt genau.
00:00:44: Ich kenne immer diese drei Zimmerwohnungen und drei Raumwohnungen. Das kenne ich immer noch und Plastik und Plaste.
00:00:50: Die Begriffe sind mir natürlich bekannt, aber ich bin auch nicht sattelfest in allen.
00:00:55: Politik mit Anne Will.
00:01:04: Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Folge unseres Podcasts.
00:01:19: Die gibt's jede Woche Donnerstag um 12 Uhr Mittags.
00:01:22: Thema ist diesmal bleibt der Osten immer anders.
00:01:27: Dazu habe ich heute am 26. Juni 2024 am frühen Nachmittag ein Interview mit der Spitzenkandidatin der SPD in Sachsen, der dortigen Staatsministerin für Soziales und gesellschaftlichen Zusammenhalt geführt mit Petra Köpping.
00:01:42: Und zu Gast ist jetzt am Mittwochabend der Soziologe, genauer der Professor für Makrosoziologie an der Humboldt-Universität zu Berlin, Steffen Mau.
00:01:52: Herzlich willkommen, Herr Mau.
00:01:53: Hallo, ich freue mich, dass ich da bin.
00:01:55: Ich freue mich auch, dass Sie da sind.
00:01:56: Sie gelten ja als einer der Erklärer der ostdeutschen Verhältnisse.
00:02:01: Sie haben mehrere, muss man sagen, vielbeachtete Bücher geschrieben, gerade ein neues, das auch schon durch die Decke geht.
00:02:07: Und Sie gucken nicht nur analytisch drauf.
00:02:10: Sie sind auch selbst ostdeutsch geprägt.
00:02:12: Haben Sie eben ja auch schon gesagt, das wäre jetzt, würde ich sagen, der naheliegende Grund, warum Sie gerade zu diesem Thema so viel arbeiten.
00:02:21: Aber ist es auch der Waren?
00:02:23: Ich habe ganz lange überhaupt nicht zu Ostdeutschland geforscht.
00:02:25: Also eigentlich fast 30 Jahre in meiner Karriere, muss ich sagen, dass das gar nicht so ein Thema war.
00:02:32: Ich habe ganz vier andere Dinge gemacht.
00:02:33: Und dann habe ich zu meinem 50. Geburtstag gedacht, ja, ich schreibe doch mal ein Wurr über Ostdeutschland.
00:02:39: Und warum?
00:02:39: Ja, warum?
00:02:40: Weil ich doch das Gefühl habe, da ist so zylogisch mehr zu holen, als bislang rausgeholt worden ist.
00:02:46: Es gab in den 90er Jahren sehr viel wissenschaftliche Publikation zu dem Thema.
00:02:50: Und dann habe ich mich gewundert, dann verschwindet das, kaum jemand beschäftigt sich noch damit.
00:02:55: Weil alle gedacht haben, dieser Transformationsprozess ist abgeschlossen.
00:02:58: Das ist jetzt irgendwie komplett.
00:03:00: Und jetzt müsse man den Osten nicht mehr beforgen.
00:03:02: Und ich habe immer gesagt, das ist ja das interessanteste Experiment, was man sich überhaupt vorstellen kann.
00:03:08: Zwei unterschiedliche Gesellschaften sollen zu einer zusammen geformt werden.
00:03:11: Und nicht nur zwei unterschiedliche Gesellschaften, die irgendwie benachbart sind,
00:03:14: sondern die auch unterschiedliche Gesellschaftsordnung verkörpern,
00:03:18: auch miteinander in gewisser Weise befeindet waren.
00:03:21: Und so ein spannendes Experiment darf ich mir als Soziologe natürlich nicht entgehen lassen.
00:03:26: Aber umso verwunderlicher dann, dass sie so spät ist, einsteigen?
00:03:29: Ja, das Thema war lange eben so ein Nichtthema.
00:03:32: Auch für Sie nicht?
00:03:35: Im privaten natürlich schon.
00:03:36: Da spielt das immer irgendwie eine Rolle, wie Zugehörigkeiten oder Herkünfte
00:03:42: doch ein Stück weit auch thematisiert werden im Freundeskreis und so weiter.
00:03:46: Aber nicht so, dass ich da hätte meine Karriere darauf begründen wollen.
00:03:50: Mir ging es wahrscheinlich so wie vielen Leuten so in meinem Jahrgang in meiner Altersklasse.
00:03:55: Ich bin 68, geboren, die ein Stück weit auch die Schnauze voll hatten von der DDR.
00:04:01: Ich wollte nicht sozusagen immer noch die alte Wäsche der DDR waschen.
00:04:03: Ich war froh, dass ich rauskam.
00:04:05: Ich wollte reisen, ich wollte was anderes sehen.
00:04:07: Ich wollte mich nicht immer mit dieser kleinen DDR, die ja auch viele Jahre beengend war.
00:04:13: Und wo man auch in den letzten Jahren das Gefühl hat, hier ist Stagnation,
00:04:17: die Kreise sitzen, da oben ist bewegt sich nichts.
00:04:20: Dass ich das dann danach immer noch nacharbeite und mich nur damit beschäftige,
00:04:25: das war erst mal nicht so bei mir auf dem Schirm.
00:04:27: Trotzdem haben Sie eben gesagt, Sie markieren sich so.
00:04:31: Was finde ich ein ungewöhnliches Wort?
00:04:33: Als würde man sich wie so zack so ein Aufkleber auf die Stirn machen.
00:04:37: Ja, vielleicht ist das so ein bisschen soziologischer Jagon,
00:04:39: dass man sagt, ihr habt Positionalität und man wird markiert
00:04:42: und man wird auf eine bestimmte Art und Weise gelesen.
00:04:44: Das hat sich ja jetzt auch fast im Vötor auch schon durchgesetzt
00:04:48: und man liest es überall.
00:04:49: Also, dass irgendwie eine Art von sozialer Ortsbestimmung stattfindet,
00:04:55: dass man sagt, wo man herkommt und aus welcher Perspektive
00:04:59: man eigentlich die Welt betrachtet.
00:05:01: Man könnte jetzt immer sagen, ein Wissenschaftler muss jetzt objektivieren
00:05:05: und muss das erst mal unsichtbar machen.
00:05:07: Und das war auch ein Vorwurf, den mir immer viele Leute gemacht haben,
00:05:10: dass ich irgendwie zeige, dass ich aus Deutschland bin
00:05:12: und über dieses Phänomen schreibe.
00:05:14: Meine Kollegen, die jetzt über die Bundesrepublik schreiben
00:05:18: oder über Gesellschaftstheorie,
00:05:20: die würden das natürlich niemals so explizit machen.
00:05:23: Aber natürlich sind die auch verwickelt und verwurzelt in einer Gesellschaft.
00:05:27: Natürlich haben die auch einen spezifischen Standort von dem aus.
00:05:30: Sie auf diese Fragestellung blicken.
00:05:32: Und ich denke manchmal, dass es wissenschaftlich auch ein Stück weit redlicher,
00:05:35: wenn ich meinen eigenen Standpunkt sichtbar mache.
00:05:38: Find ich auch. Find ich viel transparenter.
00:05:40: Auch interessiert mich im Übrigen auch, warum jemand zu welchem Thema,
00:05:44: welche Haltung hat oder im Laufe der Zeit es gefunden hat,
00:05:47: finde ich doch total interessant.
00:05:48: Ja, ich könnte jetzt auch Bücher wie jetzt das Neuebuch ungleich vereint.
00:05:52: Das hätte ich natürlich auch schreiben können,
00:05:54: ohne dass ich sichtbar werde als ostdeutscher Soziologe.
00:05:56: Hätte ich Ihnen aber nicht so gut abgekauft?
00:05:58: Ja, wahrscheinlich.
00:05:59: So ein bisschen hat das natürlich was mit Authentizität zu tun
00:06:02: und irgendwie, dass man so eine Street Credibility hat.
00:06:06: Also der weiß ungefähr, wovon er spricht.
00:06:08: Aber von dem Faktischen her, also von der Diagnose her und so,
00:06:12: wäre ich wahrscheinlich zu ähnlichen Schlüssen gekommen,
00:06:14: wenn ich mich als französischer Soziologe
00:06:17: mit der Ostdeutschen Gesellschaft beschäftigt hätte.
00:06:20: Aber natürlich für Leserin Lesar, auch für den Diskurskontext,
00:06:24: in dem man stattfindet, ist das glaube ich schon ganz wichtig.
00:06:27: Und ich merke auch, dass es für Ostdeutsche sehr wichtig ist.
00:06:30: Ich habe ja auch viele Interviews mit Ostdeutschen Lokalzeitungen und so weiter.
00:06:34: Und ich sage ja nicht nur Dinge, die den Ostdeutschen irgendwie die Seele streicheln,
00:06:38: sondern versuche auch mich in eine Diskussion einzumischen.
00:06:41: Und wenn man dann von woanders kommt,
00:06:44: wenn man dann als Westdeutscher das machen würde,
00:06:46: dann würde das natürlich sofort als beformunder Parteanalismus verstanden werden.
00:06:50: Genau, da wäre sofort ein Einfallsturm.
00:06:52: Ja, und da hätte man wahrscheinlich auch innere Bremsen,
00:06:56: wenn man das als Westdeutscher machen würde.
00:06:58: Da würde man sagen, ich möchte jetzt nicht nochmal von oben herab denen erzählen,
00:07:02: was sie alles falsch machen.
00:07:04: Aber ich kann das in gewisser Weise machen.
00:07:06: Da gibt es auch Gegenwind, keine Frage.
00:07:09: Aber es ist jedenfalls nicht so, dass man mir den Vorwurf machen könnte,
00:07:12: ich sei jetzt jemand, der von außen kommt
00:07:14: und wieder mal irgendwie den Takt vorgeben möchte.
00:07:17: Holt mich total ab, dass Sie das sagen,
00:07:19: weil ich gemerkt habe in der Vorbereitung dieser Folge,
00:07:21: ich wusste Sie kommen, ich habe Ihr Buch gelesen,
00:07:23: ich habe mit dem Team gesprochen, habe ich gemerkt,
00:07:25: ich habe so eine kleine Berührungsangst.
00:07:27: Ich will nichts Falsches sagen,
00:07:29: weil ich nicht irgendwie Westdeutsch, blöd, unwissend daherkommen will.
00:07:35: Ich komme aus Köln, ich bin in Köln geboren,
00:07:37: ich bin 1990 nach Berlin gegangen, lebe also lange hier,
00:07:40: begreife mich nicht mehr als komplett unbelegt,
00:07:43: gar keine Ahnung, sehr viele Menschen,
00:07:46: auch aus meinem Team, die mir dann so was sagen,
00:07:49: wie Kulturbeutel oder Waschtasche zum Beispiel,
00:07:52: sind in Ostdeutschland zum Teil auch noch in der DDR sozialisiert,
00:07:56: denen traue ich da sehr,
00:07:59: mich selber, mir selber nicht so sehr gebiet so.
00:08:01: Das möchte ich eigentlich überwinden.
00:08:03: Ich würde mir wünschen, dass Sie sozusagen alle Hemmungen ablegen
00:08:06: und dass wir völlig offen diskutieren,
00:08:08: also dass Sie die Perspektive einbringen,
00:08:11: die Ihnen irgendwie naheliegt oder mitgegeben worden ist
00:08:15: aber Sie haben Sie eben ja selber beschrieben,
00:08:18: dass Westdeutsche immer eine Art von Zurückhaltung,
00:08:21: entweder in sich tragen oder sie wird Ihnen auch abverlangt.
00:08:25: Ich möchte eigentlich sozusagen aus diesem Schulddiskurs rauskommen,
00:08:29: dass die eine Seite der anderen was vorwirft
00:08:31: oder dass die eine Seite was darf und die andere das nicht darf.
00:08:35: Das finde ich ist eigentlich ein sehr unproduktiver Diskurs
00:08:38: und das hat man hier oft in diesen Ost-West-Diskursen,
00:08:42: dass sich das unglaublich stark auf so einen Kreis treten
00:08:45: und auf der Stelle treten immer wieder kommt das selber.
00:08:48: Das sind eigentlich so ritualisierte Diskursformen
00:08:51: und das interessiert mich eigentlich gar nicht.
00:08:53: Ich möchte, dass sich das öffnet.
00:08:55: Ich möchte, dass in Ostdeutschland selber viel, viel mehr Leute laut werden
00:08:59: und sich auch artikulieren und die müssen nicht meiner Meinung sein.
00:09:03: Ich freue mich, wenn das pluraler wird
00:09:05: und genauso möchte ich, dass sich Westdeutsche dafür interessieren
00:09:07: und wenn sie mich einladen und sagen,
00:09:09: das Thema Osten ist doch spannend, das kann man mal hier in so einem Podcast diskutieren.
00:09:12: Dann finde ich das fantastisch, weil es gibt ja auch unglaublich viel Desinteresse,
00:09:16: dass man irgendwie sagt, meine Güte, was machen die denn da jetzt so langsam nervt ist ein bisschen.
00:09:22: Mich hat interessiert, dass Sie eine neue These aufstellen
00:09:27: mit Ihrem Buch "Ungleich vereint heißt es"
00:09:30: und wir haben daraus die Titelfrage gemacht,
00:09:32: "Bleibt der Osten tatsächlich immer anders?"
00:09:35: Sie sagen, dass Sie das Buch im Untertitel dieses nahe liegt.
00:09:39: Sie sagen, warum der Osten anders bleibt, darüber schreiben Sie dann.
00:09:43: Das klingt, als sei jetzt knapp 35 Jahre nach dem Mauerfall eine Entwicklung an eine Art Ende gelangt.
00:09:51: Ein Ende, bei dem auch nichts mehr zu machen ist.
00:09:54: Als hätten wir als Deutsche das jetzt mal hinzunehmen,
00:09:57: dass Ost und West nun mal unterschiedlich sind
00:09:59: und sich trotz aller Versuche der Herstellung der sogenannten gleichwertigen Lebensverhältnisse
00:10:04: leider dann die beiden Teile Deutschlands auch nicht mehr angleichen werden.
00:10:08: Ist es so gemeint?
00:10:10: Wenn Sie das so zuspitzen, dann schreck ich schon fast innerlich zusammen.
00:10:14: Aber ich weiß natürlich, dass diese Überschrift in gewisser Weise eine Provokation ist.
00:10:18: Aber wenn man genau hinguckt, dann sieht man, dass dieser ursprüngliche Prozess des Aufholens, des Angleichens
00:10:24: oder des Verähnlichens doch an Dynamik verloren hat.
00:10:28: Also ganz viele Dinge, die jetzt irgendwie im Ost-West-Vergleich unterschiedlich sind,
00:10:33: ob das die Dichte von Tennisplätzen ist oder die Zahl der Moschee in Ostdeutschland,
00:10:40: die Lebenserwartung und die wirtschaftliche Struktur, die größte landwirtschaftlicher Betriebe.
00:10:46: Ich könnte Ihnen 100 Indikatoren aufzählen, dann sieht man, dass die sich kaum noch verändern.
00:10:51: Wir haben natürlich eine Art von Stillstand.
00:10:54: Ja, eine Art von Stillstand.
00:10:56: Und da muss man sagen, diese Sachen verholzen jetzt ein bisschen.
00:10:58: Die sind nicht mehr so beweglich.
00:11:00: Es gibt ja viel Dynamik anfangs drin.
00:11:02: Und viele Entwicklungen deuten auch auf eine Angleichung oder Konvergenz, wie wir das sagen, hin.
00:11:07: Dass man eben sagen kann, ja, die Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland ist nur noch unwesentlich höher als im Westen.
00:11:12: Die Lebenszufriedenheit hat sich angeglichen.
00:11:15: Viele andere auch die Einkommen, die Renten sind jetzt angeglichen.
00:11:18: Aber es bleibt eben ganz viel unterschiedliches.
00:11:21: Und da, denke ich, müssen wir uns mit beschäftigen.
00:11:24: Ich gucke auch ganz gerne mal in andere Länder.
00:11:28: Und da kann man sehen, wie hartnäckig eigentlich regionale Unterschiede sind.
00:11:33: Wenn man Nord- und Süd-Italien, ich glaube Italien hat sich 1861 sozusagen geformt als Staat.
00:11:40: Metzo Giorno war schon immer ein Thema, dass der Süden eine andere Mentalität hat, eine andere ökonomische Struktur.
00:11:47: Dass das ein Abwanderungsregion ist und der Norden ja mehr Prosperität hat, dass es den Leuten da besser geht.
00:11:53: In England ist das dasselbe.
00:11:55: In USA. Da sieht man jetzt noch die Teilung in Nord- und Südstaaten.
00:11:58: Wer da durchfährt, der merkt das ganz genau, wo er eigentlich ist.
00:12:02: Und das wäre schon verwunderlich, wenn in Ostdeutschland oder in Deutschland sozusagen diese auch stark historisch eingeprägten und eingewurzelten Unterschiede jetzt mehr oder weniger in so einem kurzen Zeitraum verschwinden würden.
00:12:16: Ich habe Sie ja gefragt, ist das die These des Buches?
00:12:19: Bleibt also der Osten jetzt immer anders, ist da gar nichts mehr dran zu verrücken?
00:12:23: Ich habe gesagt, Sie schrecken zurück, Junge Junge.
00:12:25: In der Tat schreiben Sie an irgendeiner Stelle in Ihrem Buch, dass die Intervention so nicht gemeint gewesen sei.
00:12:32: Allerdings kommt dieser Satz erst auf Seite 127 von 100, was habe ich ja aufgeschrieben, 145, also ziemlich spät.
00:12:41: Ich sehe es mal in die Stelle vor, da heißt es gewiss.
00:12:43: In manchen Bereichen werden sich die Unterschiede normalisieren und wir werden uns daran gewöhnen, die Besonderheiten Ostdeutschlands als regionale Eigenarten, Siehe Bayern, neben anderen anzuerkennen, von denen man auch keinen Verschwinden erwartet oder erhofft.
00:12:58: Kulturelle Prägungen lassen sich eben nicht einfach abschütteln.
00:13:02: In anderen Bereichen, ob ungleiche Vermögen oder Elitenrepräsentanz, ist es hingegen dringend geboten, das Gleichheitsziel vehementer dann bislang zu verfolgen.
00:13:12: Auch aus den uneingelösten Versprechen der Angleichung ergeben sich viele Enttäuschungen, die von Populisten politisiert werden können.
00:13:20: Also beides kommt vor.
00:13:22: Dinge sind abgeschlossen, andere noch nicht, andere geben auch eine echte Aufgabe auf, wie Sie es hier beschreiben, weil sie verhetzbar sind, weil sie von Populisten instrumentalisierbar und ausnutzbar sind.
00:13:34: Ja, ich bin ganz froh, dass Sie mich noch mal mehr ausdifferenzieren, als ich das selber gemacht habe.
00:13:40: Ich habe das Buch vor.
00:13:41: Ja, ja, wir haben das gut gelesen.
00:13:43: Das ist genau die Unterscheidung, die man machen muss.
00:13:45: Es gibt einige völlig unproblematische Ungleichheiten, also ob das jetzt in den Mentalitäten ist oder bestimmten Alltagspraktiken oder Lebensweisen.
00:13:55: Und es gibt auch einige Bereiche, wo wir sagen, da ist der Osten durchaus Vorreiter.
00:13:59: Also Abdeckung mit Kita-Plätzen, der Gender-Pay-Gab ist im Osten im Prinzip gar nicht existent.
00:14:06: Da würden wir jetzt nicht sagen, da soll sich der Osten in Richtung Westen bewegen und wir wollen mehr Lohnungleichheiten zwischen Männern und Frauen.
00:14:12: Und dann haben wir einige Bereiche, die sind problematisch, wo ich auch denke, da ist sozusagen dieses Ziel, das ja bei uns ein Verfassungsrang hat,
00:14:21: der Gleichwertigkeit der Lebensbedingungen im Prinzip nicht erfüllt.
00:14:25: Und das ist nach wie vor bei der Lohnlücke, die es gibt.
00:14:30: Das ist auch bei den Vermögensungleichheiten.
00:14:32: Das ist vielleicht auch bei Fragen des sozialen Aufstiegs der Fall.
00:14:35: Und wir haben sicherlich noch ein Bereich, der uns Sorgen machen muss.
00:14:38: Und das ist die Demokratie in Ostdeutschland oder Demokratieentwicklung.
00:14:42: Und da sag ich, da haben wir eine Situation, wo man zumindest als Beobachter den Eindruck gewinnen muss, da kippt was.
00:14:50: Also da geht es wirklich an die Substanz unserer demokratischen Institutionen.
00:14:54: Das würde ich gerne unterscheiden, weil das jeweils einzeln zu bewertende Phänomene sind.
00:14:59: Ich will noch mal mit Ihnen hingucken, was Sie meinen mit regionalen Besonderheiten.
00:15:05: Die Bayern und Rheinländerinnen, Sächsinnen und Mecklenburger unterscheiden.
00:15:10: Das wäre ja leicht.
00:15:12: Da würde man sagen, ich als Kölnerin würde sagen, ich bin wahrscheinlich anders drauf,
00:15:16: als der gemeine Mecklenburger oder die gemeine Mecklenburgerin.
00:15:20: Zumindest erlebe ich das so, wenn ich die kennenlerne oder treffe.
00:15:24: So, das ist aber ja nicht gemeint, wovon Sie hier schreiben.
00:15:27: Von Strukturen, Persönlichkeiten, Identitätsanteilen, die sich auch verfestigt hätten.
00:15:34: Es geht ja historisch und auch so zylogisch, das ist ja Ihr Fach, deutlich tiefer.
00:15:39: So dass wir tatsächlich, dass es Ihre These von dauerhaften Unterschieden ausgehen müssten?
00:15:45: Ja, ich mache mal zwei Beispiele.
00:15:47: Und zwar das erste Beispiel ist die Entwicklung der Demografie.
00:15:50: Die ist im Prinzip schon nach dem ersten Weltkrieg in Ost- und Westdeutschland unterschiedlich gewesen.
00:15:59: Und dann während der DDR natürlich noch viel stärker vor dem Mauerbau sind unglaublich viele Menschen weggegangen.
00:16:06: Dann auch während der deutschen Teilung und während des Bestandes der innerdeutschen Grenze sind auch viele Leute weggegangen.
00:16:15: Und dann sind nach 1989 noch mal 1,8 Millionen Menschen weggegangen.
00:16:19: Also man hat einen total Abstrom der Leute über diese gesamte Zeit.
00:16:23: Wenn man jetzt sozusagen die Historie schon 100 Jahre anguckt, ist Ostdeutschland so um 30% geschrumpft.
00:16:30: Der Westen um 60% in der Bevölkerung gestiegen.
00:16:33: Dazu kommt noch sozusagen die Migrationsbewegung.
00:16:38: Ostdeutschland ist nach wie vor ein sehr homogener Gesellschaftsteil, also mit relativ wenig Zuwanderung.
00:16:45: In der Bundesrepublik hat das 1955 angefangen mit der Fachkräfteanwerbung.
00:16:50: Das heißt, da ist eine ganz andere Gesellschaft entstanden.
00:16:53: Und Schrumpfgesellschaften sind häufig Gesellschaften auch der Angst, der Defensivität.
00:16:59: Weil man das Gefühl hat, ja wir werden jetzt immer weniger zahlenmäßig, wir dezimieren uns quantitativ.
00:17:06: Und wenn jetzt noch Zuwanderung kommt, dann wird das ja noch schwieriger, uns irgendwie aufrecht zu erhalten.
00:17:12: Das ist auch demografisch relativ gut erforscht.
00:17:15: Das zweite, was glaube ich ganz wichtig ist, um Ostdeutschland zu verstehen ist.
00:17:19: Der zweite Zeitpunkt der Wiedervereinigung war die Bundesrepublik West.
00:17:22: Ich bin jetzt vielleicht ein bisschen wortungetüm, aber sozusagen eine diverse, schon migrantisch geprägte Mittelschichtesgesellschaft.
00:17:31: Ja, das ist ein langes Wort.
00:17:33: Ja, Sie können sich ja mal was darunter vorstellen.
00:17:35: Man hatte sehr viele, auch unterschiedliche Milieus.
00:17:38: Es gab schon auch einen sozialen Aufstieg.
00:17:40: Die DDR-Gesellschaft war eine nach unten gedrückte Sozialstruktur.
00:17:43: Wir sprechen immer wie von einem nivellierten Gesamt.
00:17:46: Es gab keine wenig herausgehobenen Positionen, die allermeisten Leute, fast 80 Prozent der Bevölkerung, haben gesagt, was ist eigentlich ihre berufliche Position?
00:17:54: Dann haben die gesagt, Arbeiter.
00:17:56: Das haben sie gesagt, obwohl sie manchmal auch einen Hochschulstudium oder einen Fachschulstudium absolviert haben, das war sozusagen in dieser Mentalität.
00:18:02: Es gab keine starke Differenzierung der Wohnformen.
00:18:05: Es gab sozusagen keinen Bildungsbürgertum.
00:18:08: Es gab keine freien Berufe.
00:18:10: Es gab sozusagen auch keine besitzende Klasse in dem Sinne.
00:18:13: Aber es gab doch viele Menschen, die sehr viel gelesen haben, intellektuelle Künstlerinnen und Künstler.
00:18:19: Die haben sich doch nicht alle als Arbeiter geführt.
00:18:22: Ja, aber die haben in ihrer Lebensweise doch häufig, Heiner Müller hat im Plattenbau gewohnt,
00:18:27: also die haben in ihrer Lebensweise häufig sehr nah bei den arbeitenden Schichten gelebt.
00:18:34: Und die Leute hatten natürlich auch wenig Vermögen aufgebaut.
00:18:37: Es gab auch überhaupt nicht die Vorstellung, der Verabereing von Statuspositionen,
00:18:41: wie das in der Bundesrepublik üblich ist, dass man immer sofort denkt,
00:18:45: ja, wenn ich jetzt Vermögen bilde, dann kommt das meinen Kindern zu Gute und die müssen jetzt unbedingt aufs Gymnasium gehen.
00:18:50: Und wenn das nicht klappt, muss ich ihnen Nachhilfe geben.
00:18:52: Das spielt in der DDR keine Rolle.
00:18:54: Interessanterweise auch nicht auf dem Partnerschaftsmarkt.
00:18:57: Also in der Bundesrepublik hat man eben immer gut darauf geachtet,
00:19:01: dass man sozusagen für Frauenstatusaufwärts heirate zum Beispiel.
00:19:06: Also die Versorger eher.
00:19:08: Das gab es in der DDR nicht.
00:19:10: Es gab viel mehr Frauen in der DDR, die auch Männer mit geringerem Bildungsgrad
00:19:16: oder mit einer niedrigeren beruflichen Position geheiratet haben.
00:19:20: Weil das war, ja, das ökonomische spielte keine so große Rolle.
00:19:24: Find ich aber sogar ganz romantisch.
00:19:26: Ja, ja, das war das nicht romantisch dabei.
00:19:30: Das Fantastisch in der DDR haben auch viel mehr Frauen durch die ökonomische Eigenständigkeit die Scheidung beantragt als Männer.
00:19:36: Das gab von Ulrich Beck, berühmten Soziologie-Kollegen, immer den Spruch,
00:19:41: "Jede Frau ist eine Scheidung von der Armut entfernt" in der Bundesrepublik West.
00:19:46: Weil Scheidung ja ein Armutsrisiko gewesen ist.
00:19:49: Lange Zeit haben sich die sogenannten Zahnarztgattinnen, glaube ich, ganz gut gestanden.
00:19:53: Im alten Scheidungsrecht ist es aber längst verändert, wenn ich es richtig heiße.
00:19:57: Da gab es doch die unterhaltspflichten, die nacherlichen unterhaltspflichten.
00:20:02: Aber sozusagen die Ostdeutschland ist im Prinzip eine Gesellschaft der kleinen Leute geblieben.
00:20:08: Das sieht man oft nicht, wenn man Ost und West vergleicht.
00:20:11: Aber 20 Prozent der Menschen, die heute sozusagen in den fünf neuen Bundesländern leben, kommen eigentlich aus dem Westen.
00:20:17: Wenn man die jetzt in statistischen Analysen mal rausnimmt, dann sind das meistens Leute in gehobenen sozialen Positionen.
00:20:22: Management, Universitätsprofessoren, Sparkassendirektoren und so weiter.
00:20:28: Und die viele Ostdeutsche haben sozusagen kleine Einkommen, niedrigere berufliche Positionen.
00:20:34: Das heißt, wir haben eine Gesellschaft der kleinen Leute und da haben wir nach wie vor so eine Mittelstands- oder Mittelschichtgesellschaft.
00:20:40: Und das sind unterschiedliche Mentalitäten, die sich da ausprägen und auch verfestigen.
00:20:45: Und die bleiben so Ihrer Meinung nach.
00:20:47: Denn was Sie an einer Stelle ja auch schreiben, was natürlich passieren kann, Sie sprechen von der Schrumpfgesellschaft, wie haben Sie es gesagt.
00:20:54: Also Menschen gehen weg, manch einer kommt aber ja auch zurück.
00:20:58: Studierende gehen, was weiß ich, nach Westdeutschland ins Ausland, kehren zurück.
00:21:05: Kommen ja anders zurück.
00:21:07: Ja, das ist auch eine Chance.
00:21:09: Also ich finde diese Rückkehrbewegung finde ich eigentlich ganz fantastisch.
00:21:12: Ich weiß nicht, wie die Zahlen jetzt sind, aber zeitlang sind immer mehr Männer zurückgekommen als Frauen.
00:21:18: Auch das hat was mit den Geschlechterverhältnissen zu tun.
00:21:21: Das ist ja auch ganz interessant, weil erst mal waren es zwei Drittel ostdeutsche Frauen, die in den 90er Jahren gegangen sind.
00:21:28: Also die Männer waren weniger.
00:21:30: Und die ostdeutschen Frauen haben häufig im Prinzip zwei Märkte.
00:21:35: Entschuldigen Sie, wenn ich das jetzt so ökonomisch sage, also den Arbeitsmarkt.
00:21:39: Und durch die starke Erwerbsneigung und die guten beruflichen Qualifikationen sind sie da leicht reinkommen und den Partnerschaftsmarkt.
00:21:46: Das heißt, wir hatten in den 19er Jahren, jetzt ist es im Prinzip immer noch so,
00:21:51: einen viel viel größeren Anteil in diesen Ost-West-Kombinationen, Westmann und Ostfrau.
00:21:58: Warum?
00:21:59: Weil Frauen in der Regel Status gleich oder Status aufwärts heiraten, also bei heterosexuellen Paaren.
00:22:05: Und das führt dann dazu, dass eigentlich in der deutsch-deutschen Wiedervereinigung der Osten den weiblichen Paar hatte.
00:22:12: Also etwas sehr ärmer war.
00:22:15: Und der Westen den männlichen Paar übernommen hat.
00:22:18: Und dadurch gibt es jetzt immer noch, ich glaube, sind es jetzt über 60 Prozent noch, das ist genau diese Kombination.
00:22:26: In den 90er Jahren waren es sogar 80 Prozent.
00:22:28: Und das führt dann eben zum Teil eben dazu, dass es in Ostdeutschen auch so was gibt wie so ein Männerüberschuss.
00:22:33: Weil die Frauen abwandern, die Männer zurückbleiben.
00:22:37: Und die ostdeutschen Männer, die da in Westen gehen, die gehen in die undesten Positionen der betrieblichen Hierarchien hinein.
00:22:45: Und wenn man da unten ist, hat man auch keine sehr guten Möglichkeiten auf dem Partnerschaftsmarkt.
00:22:50: Die Leute, die am häufigsten sozusagen bei heterosexuellen Paaren Single sind, das sind die Männer ganz unten und die Frauen ganz oben.
00:22:57: Weil die entsprechenden Matches dann finden.
00:23:01: Das also sagen Sie, hat sich über die Jahrzehnte, der Mauerfall jährlich sicher zum 35. Mal in diesem Jahr, verfestigt,
00:23:11: verknöchert, ist geblieben, lässt sich nicht mehr auflösen.
00:23:15: Doch da ist schon Bewegung drin.
00:23:17: Also es gibt auch Veränderungen sozusagen des Arbeitsmarktes und der beruflichen Struktur in Ostdeutschland.
00:23:21: Da würde ich jetzt nicht sagen, dass es völlig ständig ausgehärtet.
00:23:24: Und da sieht man auch in den jüngeren Generationen, dass da ein bisschen Aufwärtsbewegung ist.
00:23:28: Zumindest so bis in mittlere gesellschaftliche Position.
00:23:31: Aber die Ostdeutschen kommen nicht in den Eliten an.
00:23:34: Es gibt ja auch viele Studien dazu, ob das jetzt die Justiz ist, die Wissenschaft, das Militär.
00:23:39: Nur in der Politik sind die Eliten die Ostdeutschen angemessen vertreten, was an der federalen Struktur und Repräsentationsform liegt.
00:23:49: Aber in allen anderen Bereichen, wo wirklich so laufbaren Karrieren notwendig sind, kommen sie eigentlich nicht oben an.
00:23:55: Das ist ein bisschen anders in der Kunst und Kultur, weil man da nicht sozusagen so stark strukturierte Karrieren hat.
00:24:01: Und weil häufig dann auch so ein Stück weit Abweichung und Originalität belohnt wird.
00:24:06: Und da gibt es Theater, Film und so weiter, gibt es doch schon Ostdeutsche.
00:24:11: Aber in vielen anderen Bereichen schaffen sie es eben nicht bis in die Eliten.
00:24:15: Und gut, da gibt es ganz viel Forschung zur Elitenrekrutierung, wo man eben weiß, man braucht die Netzwerke,
00:24:21: man braucht sozusagen den familiären Hintergrund.
00:24:24: Man braucht irgendwie eine Art von kultureller Passung.
00:24:26: Und das ist in Ostdeutschland eben weniger der Fall.
00:24:29: Aber es ist genauso unwahrscheinlich, aus Ostdeutschland aufzusteigen, wie es aus Gelsenkirchen vielleicht unwahrscheinlich ist, zum Dachsvorstand zu werden.
00:24:37: Es gibt sicher Leute, die das schaffen, aber die Wahrscheinlichkeit ist nicht groß.
00:24:42: Was muss also dringend geändert werden, dass sich Dinge verändern, zum Guten verändern?
00:24:50: Weil sich, Sie hatten es angesprochen, wir beide schon, weil sich die daraus resultierenden Enttäuschungen politisch so sehr instrumentalisieren lassen, wie wir es ja auch da und dort sehen.
00:25:01: Also ich glaube nicht, dass man jetzt noch so ein Schalter umlegen kann und sagen kann, jetzt gibt es irgendwie Förderprogramme für Ostdeutsche oder eine Quotenregelung für Ostdeutsche.
00:25:09: Und dann lässt sich dieser ganze Geist, den Klammern jetzt AfD etc. wieder in die Flasche zurückbringen.
00:25:17: Das wäre, glaube ich, eine naive Erwartung, dass man jetzt irgendwie wieder zurück auf losgehen könne.
00:25:22: Ich glaube, es ist wichtig zu sagen, dass es auch so was geben sollte, wie Vermögensbildung in Ostdeutschland, dass man gucken kann, dass man für auch eine Unternehmerklasse dort hat,
00:25:31: dass man sehen muss, dass man irgendwie auch lokale Eliten fördert und stützt im Bemühen um die Demokratie.
00:25:38: Das sind alles Dinge, die haltig auch für wichtig.
00:25:40: Aber dass die jetzt sozusagen eine Generalmedizin sind für alle Probleme, die sich über 30, 35 Jahre angesammelt haben, die glaube ich nicht.
00:25:52: Es ist ganz interessant. Ich habe hin und wieder mal so Delegationen aus Südkorea bei mir, die haben ja auch so ein Vereinigungsministerium, die sich dafür interessieren.
00:26:02: Und die fragen mich immer, ja, was kann man eigentlich lernen aus der deutsch-deutschen Wiedervereinigung?
00:26:06: Und sie sagen, bloß nicht.
00:26:08: Und dann sage ich immer, oh mein Gott, Nordkorea leben hier viel mehr Menschen als in Südkorea.
00:26:13: Die haben ja sozusagen von den Fällen eine ganz andere Transformationsaufgabe vor sich.
00:26:18: Und dann sage ich immer, es ist viel, viel wichtiger in Köpfe zu investieren und die Mentalitäten abzuholen als in Infrastruktur und in den Sanierung von Häusern.
00:26:28: Gut, was war das jetzt für ein Satz? Die in Köpfe zu investieren und Mentalitäten abzuholen, da kam es nicht mit.
00:26:34: Ja, also dass man wirklich guckt, wie ticken die Leute. Also das ist ja häufig so.
00:26:39: Und dass man sie auch an so Transformationsprojekten beteiligt. Das ist glaube ich ein großes Problem in Ostdeutschland gewesen.
00:26:45: Beispiel?
00:26:47: Das ist auch ein sehr enttäuschungsanfälliger Prozess. Also wenn man jetzt sagt, die DDR war sozusagen Obrigkeitsstaat.
00:26:53: Die Leute haben sich irgendwann befreit. Nicht alle waren dafür, aber viele haben das dann irgendwie auch mitgetragen.
00:26:59: Dann kommt man relativ schnell in die Einheit und da ist die Hausordnung schon geschrieben.
00:27:03: Da muss man sich wieder neu unterordnen. Natürlich eine Demokratie und die Ostdeutschen haben auch wiederholt für die CDU und die verantwortliche Politik gewählt.
00:27:13: Aber es ist trotzdem so ein Gefühl der Verohrmächtigung.
00:27:16: Und dann hat man im Prinzip die, was wir so Transfereliten nennen, also viele Westdeutsche, mehrere Zehntausend, die in den Osten kommen und die gehobenen Positionen einnehmen.
00:27:25: Im 90er-Jahre konnte man sagen, die Daumenregel je höher und je einflussreicher eine Position, desto wahrscheinlicher ist sie mit einem Westdeutschen vor allen Dingen Männern besetzt.
00:27:34: Und wenn die Dinge jetzt nicht klappen, also die Investitionen kommen nicht, es gibt jetzt Massenarbeitslosigkeit, dann ist es natürlich sehr einfach, die Schuld sozusagen auf eine bestimmte Gruppe zu schieben und zu sagen, ihr habt uns was anderes versprochen und jetzt kommt es so.
00:27:51: Und das meine ich mit enttäuschungsanfälliger Prozess. Wenn man es selber macht, dann kann man sozusagen diese Verantwortung nicht delegieren, aber die Ostdeutschen haben es oft nicht selber gemacht.
00:28:01: Wir sprechen über das Thema "bleibt der Osten immer anders". Und dazu habe ich heute Mittag auch ein Interview geführt mit Petra Köpping.
00:28:09: Und ich habe damit angefangen, dass ich sie mit ihrer These zunächst mal konfrontiert habe, denn Köpping ist ja nicht nur Spitzenkandidat in der SPD in Sachsen, eingefleischt und begeisterte Sächsien, wie wohl in Thüringen geboren, aber ganz schnell nach Sachsen gezogen und dann bei ihren Großeltern aufgewachsen, sondern sie ist auch Staatsministerin für Gesellschaftlichen Zusammenhalt.
00:28:30: Das gibt es nur einmal und sie ist das eben im Kabinett von Michael Kretschmar in Sachsen, wo auch vor dem Hintergrund sprechen wir Anfang September ja gewählt werden wird, Landtagswahlen stehen an und die Angst ist groß, dass die AfD die stärkste Kraft werden könnte.
00:28:48: Sie, Petra Köpping, nämlich hat in ihrer Funktion als Spitzenkandidat, aber noch mal mehr in der als Staatsministerin, einen Auftrag auch dieses Bundesland und gerne da alles darüber hinaus zusammenzuhalten, das wie wir wissen, durchaus extrem wählt.
00:29:05: Und wir können uns mal einen Ausschnitt aus diesem Interview anhören.
00:29:08: Der Soziologen Steffen Mao geht nicht mehr davon aus, dass sich Ost und West noch angleichen würden, erschreibt, Zitat, ökonomisch, politisch, aber auch, was Mentalität und Identität betrifft, wird der Osten anders bleiben. Hat er Recht?
00:29:27: Also ich kenne Steffen Mao auch persönlich. Ich durfte sein Buch Triggerpunkte, was ich übrigens als eines der Bücher des Jahres bezeichnen würde aus meiner Sicht, durfte ich eine Laudatio halten bei der Auszeichnung der Friedrich-Ebert-Stiftung.
00:29:42: Habt ihr doch persönlich mit ihm gesprochen und finde, dass in dem Buch Triggerpunkte, wo er ganz viel erwähnt hat, dass die Menschen sich ehrlich gesagt gar nicht gespalten haben, sondern dass sie das Ziel, zu dem man gelangen will, sehr unterschiedlich bewerten.
00:29:56: Und da würde ich dabei bleiben wollen. Deswegen widerspreche ich ihm zwar ungern, weil es toll ist, was er da geschrieben hat, aber an dieser Stelle habe ich eine andere Meinung.
00:30:05: Ich glaube, dass der Osten wirklich drei Generationen braucht. Das sagen auch Soziologen, die sich mit dem Thema auseinander gesetzt haben, dass man eine Ära an gesellschaftlichen Umbrüchen verarbeitet hat.
00:30:16: Aber ich glaube, dass es eine Ernährung, eine Angleichung geben wird.
00:30:20: Sie erwarten das dann also für wann, für in 10, 20 Jahren, dass der Einigungsprozess anders ausgeht als Steffen Mausich, das jetzt denkt, dass der Osten doch nicht anders bleibt?
00:30:35: Ich weiß es nicht. Ein genaues Datum kann ich ihn nicht nennen. Aber ich weiß, dass die Ernährung erfolgt.
00:30:40: Ich glaube, dass viele Ungleichheiten, die es nach wie vor gibt, beseitigt sein müssen, fangen bei den Löhnen an, die nach wie vor ein Lohnerterschied von 700 Euro im Monat im Durchschnitt da sind.
00:30:50: Das ist einfach für Menschen neben Osten arbeiten, nicht nachvollziehbar, dass für die gleiche Arbeit so viel weniger Lohn gezahlt wird, wie eben im besten.
00:30:57: Also das ist so ein Punkt, der ganz wichtig ist. Die Rentenangleichung haben wir mittlerweile erreicht.
00:31:02: Also es gibt Punkte, wo wirklich schon Ernährung erreicht sind, es gibt Punkte, wo sie nicht erreicht sind.
00:31:06: Es dauert auch eine Zeit, bevor auch im Osten Ertschaften und Vermögen aufgebaut werden kann.
00:31:13: Also auch das wird sich angleichen und das wird dauern. Da kann ich jetzt keine Jahreszeiter für nennen.
00:31:18: Ich bin ganz sicher, dass die nächsten Generationen das eben schaffen werden und dann genauso angeglichen sind.
00:31:23: Und bis hin letztendlich natürlich auf die Sozialisierung der Menschen.
00:31:26: Also das ist ganz klar, dass die Menschen, die in der ehemaligen DDR sozialisiert worden sind, natürlich immer älter werden
00:31:33: und damit auch ihre Erfahrungen anders wieder geben, als das vielleicht eine persönliche Erfahrung ist.
00:31:38: Also das heißt, es gibt ganz viele Punkte, wo ich eine Angleichung sehe.
00:31:42: Und das betritt genauso die Wirtschaft, wenn ich das noch ergänzen darf.
00:31:45: Wir haben ja immer gesagt, im Osten gibt es ehrlich gesagt keine Konzerne und keine DAX-Unternehmen, die angesiedelt sind.
00:31:51: Aber wenn man sich jetzt die Ansiedlungen anschaut, die im Osten passieren, dann sind es genau die großen Ansiedlungen,
00:31:57: die zukunftsrechtlichen Ansiedlungen, die in den Osten gehen.
00:32:00: Auf der einen Seite sicher, weil sie gefördert werden, weil sie unterstützt werden,
00:32:03: aber andererseits, weil sie auch Bedingungen im Osten profinden, die sie vielleicht so in Westen nicht vorfinden.
00:32:08: Und diese Ansiedlung von großen Unternehmen, die eben auch zur Lohnangleichung zu guten Löhnen oder Arbeit führen,
00:32:14: da glaube ich, dass es durchaus eine Angleichung geben wird.
00:32:17: Interessant fand ich, dass Steffen Mau in dem Buch "ungleich vereint", so heißt das auch, schreibt, es gäbe besonders bei jungen Menschen,
00:32:25: die also Jahre nach dem Mauerfall geboren sind und die DDR gar nicht mehr erlebt haben, dieses klare Bewusstsein von Unterschiedlichkeit.
00:32:34: Da geht er ja von aus.
00:32:36: Junge Menschen im Westen, schreibt er, der auch Denken ist nicht und Zitat, fragt man die Bevölkerung, begreift nicht der Westen den Osten als anders,
00:32:45: sondern der Osten sich selbst.
00:32:48: Sie haben drei Kinder, Frau Köpping und sechs Enkelkinder.
00:32:52: Fühlen die sich auch dezidiert Ostdeutsch?
00:32:57: Nee, gar nicht.
00:32:58: Die haben dieses Thema Ostdeutsch an Westdeutsch, an die überhaupt nicht auf der Agenda.
00:33:02: Nein?
00:33:03: Nein, keiner.
00:33:05: Meine Tochter lebt in Hamburg, ein meiner Söhne, der lebt in Bielefeld und mein Dritter Sohn, der lebt in Leipzig.
00:33:10: Also auch sehr unterschiedlich.
00:33:12: Das Thema Ost-West spielt für sie keine Rolle.
00:33:14: Wir sind beruflich sehr gut aufgestellt.
00:33:16: Ich will gar nicht darüber reden, sondern mehr darüber reden, was junge Leute betrifft.
00:33:20: Natürlich werden sie durch ihre Eltern beeinflusst, dass sie sagen, es wird euch nicht besser gehen als uns.
00:33:26: Und jetzt sind wir wieder bei den Unterschieden, die ich vorhin alle hervorgehoben habe.
00:33:29: Und da bin ich eben überzeugt, dass sich das ändern wird.
00:33:32: Das ist immer so bei Politikern, das ist eigentlich auch eine Tragik, dass man ja für fünf Jahre bei uns in Sachsen in den Landtag gewählt wird.
00:33:39: Und oft in dieser Zeit, ja, das Konn gesehen wird.
00:33:42: Das heißt, die Äntel dessen, was wir jetzt an Ansiedlungen, das sind immerhin in den letzten zwei Jahren über 30 Milliarden allein für Sachsen gewesen,
00:33:50: dass das eben erst in Jahren wirklich geäntet werden kann.
00:33:54: Das heißt, die Folge davon kommen kann.
00:33:56: Und das ist so ein Punkt, wo ich glaube, dass die jungen Leute, dass es ihnen doch besser gehen wird.
00:34:00: Weil sie Möglichkeiten eben auch in Ostseutern finden, die sie bisher so in dieser Form nicht gefunden haben.
00:34:05: Das ist für mich ein ganz wichtiges Zeichen.
00:34:07: Auch wenn die ostdeutschen Jugendlichen im Moment wirklich auch in Sachsen eine große AfD-Affinität gezeigt haben, dass sie auch Umfragen gezeigt haben,
00:34:17: denke ich, dass das die Erfahrungen ihrer Eltern sind.
00:34:20: Die Erfahrungen, dass sie sagen, wir haben schon mal eine Umwandlung, eine Transformation, die man jetzt immer sagt, erlebt.
00:34:25: Und wir wissen, wie schwer die ist.
00:34:27: Das ist nicht nur die Erfahrung, dass man das schaffen kann, sondern man weiß auch, wie schwer das ist.
00:34:31: Und das schafft man einmal im Leben. Das sehen wir ja noch 34 Jahre,
00:34:35: dass die Leute sich so ein bisschen ihren Wohlstand aufgebaut haben.
00:34:39: Und eine neue Transformation, die versorgt einfach Ängste, dass man sagt, Leute, das schaffe ich kein zweites Mal.
00:34:46: Und das, was ich mir jetzt aufgebaut habe, das haben die Menschen eben auch erlebt,
00:34:49: dass nach der Wiedervereinigung erstmal alles auf Nudel gestellt war.
00:34:53: Und das können sie kein zweites Mal.
00:34:55: Deswegen ist auch die Skepsis und die Sorge von neuen Transformationen, die man als sehr positiv sehen kann,
00:35:01: aber für den einzelnen Betroffenen wirklich sehr groß.
00:35:04: Und das transportieren sie natürlich auch auf ihre Kinder.
00:35:07: Ja, feststeht aber jedenfalls der Osten-Welt ganz anders als der Westen.
00:35:13: Und zwar immer deutlicher anders.
00:35:16: Wir haben ja alle die Grafik nach der Europawahl gesehen,
00:35:19: die abbildet, welche Partei wo stärkste Kraft geworden ist und da erscheint Deutschland neu geteilt.
00:35:25: Na zu der gesamte Westen ist CDU/CSU schwarz.
00:35:28: Der Osten fast komplett AfD-blau und ihre SPD taucht nicht mehr auf, die im Übrigen,
00:35:35: aber weil sie das eben gesagt haben, ja nicht erst seit fünf Jahren da mit in der Regierung sitzt, sondern schon länger.
00:35:41: Was ist passiert, dass sie, dass sie als Person und die SPD als Partei, die Wählerinnen und Wähler,
00:35:47: speziell die Wählerinnen und Wähler im Osten nicht mehr erreichen?
00:35:52: Na ja, in Sachsen haben wir immer schon eine besondere Situation gehabt.
00:35:55: Das wissen Sie, seit der Wiedervereinigung regiert bei uns die CDU.
00:35:59: Kann man sich aber ja nicht mit abfinden als Sozialdemokratin.
00:36:02: Nein, nicht gar nicht, aber das ist einfach, dass die CDU in Sachsen auch der gute Bedingung vorgefunden hat.
00:36:07: Das heißt, dass wirtschaftliche Entwicklungen, die in Sachsen vorangegangen sind,
00:36:10: in dem Industrieland, in dem Ingenieurland vorangegangen sind,
00:36:13: wir hatten es etwas leichter als vielleicht Sachsen-Anhalt oder Türing, um das mal deutlich zu sagen.
00:36:18: Und insofern hat die CDU in relativ kurzer Zeit damals mit Kurt Biedenkopf große Erfolge erzählt in Sachsen.
00:36:25: Und das finden die Menschen, das haben Sie natürlich auch gesehen,
00:36:28: dass es bei uns ein Stück weit schneller gegangen ist als zum Beispiel in Sachsen-Anhalt.
00:36:31: Und deswegen hat sie die SPD in Sachsen schon immer ein Stück weit schwerer gehabt.
00:36:35: Das kann man über die Jahre auch an den Wahlergebnissen sehen.
00:36:37: Aber darauf können Sie sich ja nicht ausruhen.
00:36:39: Nein, nicht gar nicht. Sie will nur noch mal die Analyse in den Vordergrund stellen.
00:36:43: Das ist einfach eine andere Situation, als wir sie in Brandenburg hatten oder in Mecklenburg vorpommern.
00:36:47: Das muss man zur Wahrheit dazusagen.
00:36:50: Zufrieden gehen wir es damit gar nicht.
00:36:52: Und es ist für mich auch ein Auftrag, das muss man ganz deutlich sagen,
00:36:55: dass eine starke Wirtschaft eben auch eine starke Sozialpolitik zur Feuerwehr hat.
00:36:59: Und Sachsen hat eine starke Wirtschaft mittlerweile.
00:37:02: Eine stabile Perspektive durch diese Ansiedlung, die ich vorhin erwähnt habe,
00:37:05: 30 Milliarden für die nächsten Jahre, die Schippindustrie, in die Forschung,
00:37:09: in die Bundeswehrstandort, der neu kommen wird nach Sachsen.
00:37:13: Das sind alles Entwicklungstendenzen, die natürlich in der Zeit passiert sind.
00:37:17: Als wir jetzt gerade eine SPD-Bundesregierung haben, das verkennt man immer oft.
00:37:20: Deswegen ist es meine Aufgabe, den Leuten zu sagen, dass die Perspektive für Sachsen
00:37:24: außerordentlich positiv ist.
00:37:26: Und das, was ich zur Zeit erlede, ist, dass wir das Land und das Arabisch massiv,
00:37:31: das sage ich auch so deutlich, massiv schlecht geredet wird.
00:37:34: Und wir haben nicht nur eine AfD in Sachsen.
00:37:36: Wir haben in Sachsen die Freien Wähler, die massiv rechtsradikal sind.
00:37:41: Wir haben in Sachsen die Freien Wähler, die auch sehr auf Opposition und auf alles
00:37:45: es schlecht aussieht.
00:37:47: Wir haben auch einen Ministerpräsidenten, der sehr stark sagt, was alles nicht funktioniert.
00:37:51: Und das macht den Menschen den Eindruck, dass in Sachsen überhaupt nichts funktioniert.
00:37:55: Und dem ist nicht so.
00:37:57: Wir sind nach Bayern das zweit geringst verschuldete Bundesland in Danz, Deutschland.
00:38:00: Darüber wird nicht gesprochen, aber wir reden darüber,
00:38:03: dass wir keinen Euro Schulden aufnehmen dürfen.
00:38:05: Und für mich ist klar, starke Wirtschaftspolitik und die haben wir in Sachsen,
00:38:09: macht es eben möglich, dass wir eine gute Sozialpolitik machen können.
00:38:12: Und diesen Zusammenhang herzustellen, dass ohne uns in einem Landtag diese Sozialpolitik
00:38:18: wirklich hinten runterfallen würde, das ist meine Aufgabe jetzt als Spitzenkandidatin.
00:38:22: Das Interview in voller Länge stellen wir Samstag früh wie immer.
00:38:27: Online sechs Uhr früh kann man das hören.
00:38:29: Sie kennen sich, also Herr Mao.
00:38:31: Frau Köpping hat ihr Buch Triggerpunkte, das sie mit Thomas Lux und Linus Westhäuser
00:38:36: geschrieben haben, vorgestellt, als sie den Preis der Ebert-Stiftung dafür bekommen haben
00:38:41: und sie schätzt sie auch dafür, widerspricht ihnen aber und glaubt,
00:38:45: dass der Osten noch Zeit braucht, verbreitet auch mit dem, was sie alles gesagt hat
00:38:51: über Industrieansiedlungen, wirtschaftliche Fortschritte gerade in Sachsen,
00:38:56: glaubt, dass es da ja anders für Zuversicht gibt,
00:39:00: sprüht von drei Generationen, die es vielleicht noch bräuchte,
00:39:04: machen sie also zu frühen Haken an die Entwicklung?
00:39:07: Ja, ich schätze, Petra Köpping auch, muss ich dazu sagen.
00:39:10: Und es ist ein bisschen eine Frage der Perspektive, wie man das genau beurteilen will.
00:39:16: Sie sagt vielleicht, das Glas ist halb voll, ich sage, das ist halb leer.
00:39:19: Und ich glaube auch diese Industrieansiedlung, das ist schon verdammt wichtig,
00:39:23: was wir Magdeburg haben und in Dresden und so weiter.
00:39:27: Es gibt ja viele Orte, wo sich jetzt auch viel tut.
00:39:30: Und das Verblüffende ist ja gerade das, was sie auch beschreibt,
00:39:33: dass wir eine verbesserte wirtschaftliche Entwicklung haben, große Industrieansiedlungen.
00:39:37: Und trotzdem nicht, dass jetzt alle Leute sozusagen mit fliegenden Fahnen
00:39:42: und mit großer Begeisterung sagen, ja, jetzt ist es wunderbar und wir sind alle zufrieden,
00:39:47: sondern wir haben ja eine Unbrutzkultur, auch viel grundsätzliche Systemkritik,
00:39:52: auch eine enorme Stärke, rechter, rechtsextremer Kräfte in Ostdeutschland,
00:39:56: obwohl sich die wirtschaftliche Lage eigentlich erholt.
00:39:59: Und ich finde, das ist eher eine Bestätigung für meine These, zu sagen,
00:40:03: da verfestigt sich irgendwie etwas in den Mentalitäten.
00:40:06: Da gibt es auch sozusagen ein Eigenleben, möglicherweise von Kultur und Identität,
00:40:11: ganz unabhängig von diesen objektiven Indikatoren, die man da heranziehen könnte.
00:40:15: Und was ist das? Man will sein Problem behalten.
00:40:18: Also geh mal weg mit der Lösung, ich will meine schlechte Laune behalten.
00:40:22: Ja, das hat auch wieder strukturelle Ursachen.
00:40:24: Also ich glaube auch nicht so sehr ich, dass jetzt der SPD in Sachsen wünschen würde.
00:40:29: Ich glaube auch nicht, dass sich das jetzt ohne weiteres durch wirtschaftliche Wirtschaftspolitik alles verändert,
00:40:35: sondern es ist ein strukturelles Einwurzeln, vor allen Dingen jetzt der AfD.
00:40:42: Aber wir haben eine Situation, das muss man sich immer wieder vergegenwärtigen,
00:40:46: dass das sozusagen eine ganz lange auch Geschichte schon hat.
00:40:49: In den 90er Jahren ist der vorpolitische Raum in Ostdeutschland eigentlich leer gewesen.
00:40:54: Vorher hatten die Betriebe, der DDR, die VEBs und die Massenorganisationen der DDR und die Partei
00:41:00: haben diesen vorpolitischen Raum besetzt.
00:41:02: Es gab keine Zivilgesellschaft. Das ist alles auseinandergeflogen.
00:41:06: Und dann war im Prinzip dort ein Vakuum.
00:41:08: Und das sind auch viele rechte Akteure aus dem Westen hineingegangen, die da Dinge machen konnten,
00:41:14: für die sie woanders in Schleswig-Holstein, auf dem Land oder in Hannover einen auf den Deckel gekriegt hätten.
00:41:19: Also da gab es relativ wenig Widerstand.
00:41:22: Dann gab es eine sehr verunsicherte, auch sozial-wulnerable Bevölkerung,
00:41:27: die an die das dann auch so ein Stück weit angedockt hat.
00:41:31: Und da haben sich Strukturen entwickelt, auf die heute sozusagen auch diese Erfolge der AfD ein Stück weit aufbauen.
00:41:39: Und wenn man jetzt mal guckt, ja, die CDU hat riesige Erfolge gehabt.
00:41:44: In Thüringen und Sachsen haben den Ministerpräsidenten gestellt über viele Jahre.
00:41:47: Auch die SPD in Brandenburg und auch in Mecklenburg-Vorpommern.
00:41:52: Aber eigentlich sind die Parteien niemals zu der Blüte aufgestiegen, die sie in Westdeutschland haben.
00:41:58: Also Volksparteien im engeren Sinn haben sich nicht entwickelt.
00:42:01: Es haben sich erfolgreiche Parteien entwickelt, die Wahlerfolge feiern können, aber die darunter liegenden Strukturen.
00:42:08: Also wenn man sich die Mitgliedschaft anguckt in den großen Parteien, SPD, FDP auch und CDU,
00:42:15: dann ist die viel, viel dünner, viel, viel schwächer als im Westen.
00:42:19: Aber könnte das so eine parallel laufende Entwicklung sein, denn auch in den westdeutschen Bundesländern
00:42:24: geht ja der Organisationsgrad der Parteien, auch der großen Parteien, zurück, sprich die verlieren auch an Mitgliedern.
00:42:31: Ja, das ist im Prinzip eine Entwicklung, die geht in dieselbe Richtung, aber kommt von einem hohen Sockel
00:42:36: und zerrt im Prinzip noch sozusagen von der alten Stärke der Volksparteien, aber auch die SPD und die CDU haben 50 Prozent ihrer Mitglieder verloren,
00:42:44: seit Anfang der 90er Jahre. Das ist eine dramatische Entwicklung. In Ostdeutschland sind sie niemals aufgestiegen.
00:42:50: Das heißt, die sind eigentlich Mitgliedschaftlich-Bonsai-Organisationen, eine ganz kleine Organisation.
00:42:55: In Brandenburg höre ich immer wieder, hat die SPD so viele Ämter zu vergeben, wie sie Mitglied hat.
00:43:01: Für die lokale politische Kultur.
00:43:03: Das war für unsere neue Kontrolle.
00:43:05: Wenn man eine Amtsträger werden möchte, ist das wunderbar.
00:43:08: Für die lokale politische Kultur spielen sie häufig eine sehr geringe Rolle.
00:43:13: Und daraus entwickelt sich eben ein spezifisches Problem.
00:43:17: Es gibt auch nicht die tragenden Milieus.
00:43:19: Wenn man sagt, okay, jetzt irgendwie so gewerkschaftsnahe Arbeitnehmer in Norddeutschland, in Bremen,
00:43:24: da ist irgendwie klar, die wählen immer SPD.
00:43:27: Das ist eigentlich wie eine Familienmitgliedschaft.
00:43:29: Oder das ländliche katholische Milieu, das wählt immer die CDU.
00:43:33: Was gibt es in Ostdeutschland nicht?
00:43:35: Das heißt, man hat eine riesige Bewegung der Wählerschaften,
00:43:38: die viel viel stärker auch ansprechbar sind durch Stimmung, durch Emotionalisierung, auch durch bestimmte Personen.
00:43:47: Und dadurch ist die Struktur nicht so gesetzt und auch nicht so ausgeformt wie im Westen.
00:43:53: Im Westen wird das auch beweglicher, das muss man immer dazusagen.
00:43:56: Und im Osten hat die AfD stattdessen es geschafft, sich lokal festzusetzen und einzurzeln
00:44:04: und auch die politische Kultur vor Ort an manchen, ja in manchen Orten eben zu dominieren.
00:44:11: Und ich glaube, das ist schon ein substanzieller Unterschied.
00:44:13: Und deswegen geht das jetzt auch nicht so schnell wieder weg,
00:44:16: wenn man nur erfolgreiche Wirtschaftspolitik betreibt,
00:44:19: sondern das ist etwas, was ich glaube, was vielleicht nicht ewig,
00:44:24: aber doch erst mal von relativ erdauer ist.
00:44:26: Und das ist ein großes Problem.
00:44:28: Ich habe ja angesprochen, diese Grafik, die, glaube ich, jeder gesehen hat,
00:44:33: nach der Europawahl, wo man gedacht hat, okay, Deutschland ist neu geteilt,
00:44:37: es bildet ab, sehr grob zu geben, normalerweise, wenn man das feindifferenzierte anguckt,
00:44:41: dann ist es nicht mehr ganz so schlimm, aber es bildet ab,
00:44:44: wer wo stärkste Kraft geworden ist, der ganze Westen, fast der ganze Westen, erscheint schwarz,
00:44:50: CDU/CSU wird da stärkste Kraft.
00:44:53: Der ganze Osten, fast der ganze Osten ist blau.
00:44:58: Ich habe ja den Zusammenhang gebaut, auch in dem Interviewausschnitt,
00:45:02: den wir gehört haben mit Petra Köpping von der Verfasstheit,
00:45:06: von der Mentalität und Identität ostdeutscher Menschen zu ihrem Wahlverhalten.
00:45:12: Jetzt sagen Sie mir, aber den kann man sogar bauen, den Zusammenhang.
00:45:15: Ja, so ein Stück weit kann man den bauen.
00:45:18: Und ich finde das wirklich verblüffend, wenn man jetzt auf diese Europawahl schaut
00:45:21: und wahrscheinlich auch bei den Landtagswahlen dann im Herbst in Sachsen, Thüringen und Brandenburg,
00:45:28: dass sich doch da viel mehr auseinanderentwickelt als in den letzten 30 Jahren.
00:45:33: Wir hatten in den...
00:45:34: Und wie kommt die Rasant jetzt zustande? Was ist da passiert?
00:45:37: Ja, sozusagen der Druck auf dem Kessel, also die Stresssituation für eine Gesellschaft erhöht sich.
00:45:42: Die Veränderungserschöpfung?
00:45:44: Ja, es gibt eine Veränderungs...
00:45:45: Das ist Ihr Wort aus den Trägerpunkten?
00:45:47: Genau, es gibt eine Veränderungserschöpfung.
00:45:50: Und große Teile der ostdeutschen Bevölkerung, das ist genau wie Petra Köpping,
00:45:55: das sagt, die sagen irgendwie, jetzt schon wieder sich verändern,
00:45:58: jetzt kommt wieder Migration, dann kommt die Digitalisierung, dann kommt irgendwie geopolitische Krisen,
00:46:02: dann kommt irgendwie eine Energiekrise.
00:46:04: Und die Klimakrise haben wir sowieso?
00:46:06: Wir können nicht mehr, sondern entwickeln sich so festhalte Mentalitäten,
00:46:10: also veränderungsaversive oder ablehnende Mentalitäten.
00:46:14: Und das sieht man in Ostdeutschland sehr, sehr häufig.
00:46:16: Lasst mich doch in Ruhe und die da oben kommen jetzt schon wieder mit etwas.
00:46:21: Und die Populisten, ja, die sagen eben den Leuten, ihr müsst euch nicht verändern,
00:46:25: alles kann so bleiben wie es ist.
00:46:27: Und in der Veränderungserschöpfung Gesellschaft oder zumindest teilweise erschöpften Gesellschaft trifft das eben sehr auf fruchtbaren Boden.
00:46:34: Und das macht eben einen Unterschied.
00:46:36: Ich will nochmal zurück auf im Prinzip die Parteienstruktur.
00:46:39: Also in den 90er Jahren haben wir gesagt, okay, da gibt es jetzt die PDS, die Nachfolgepartei der SED.
00:46:45: Und dann gab es irgendwie in den 2000er Jahren hat sich dann die Linke gesamtdeutsch formiert
00:46:49: und ist auch in einige westdeutsche Landtage hineingekommen.
00:46:53: Und da hat man gedacht, ja, es gibt gar keine Unterschiede mehr in den Parteiensystemen.
00:46:57: Vielleicht noch eine Nord-Süd-Gefälle, im Norden ein bisschen mehr SPD
00:47:01: und im Süden dann eher die Christdemokraten oder die CSU.
00:47:04: Und jetzt kann man sagen, meine Güte, wenn sich dieses Wahlergebnis bestätigt,
00:47:09: dann wandern wir in völlig unterschiedliche Parteisysteme an der alten Grenze entlang.
00:47:15: Und man muss sich mal fragen, was hat denn die Familie Lafontaine-Wagenknecht mit unserem Land und unserem Parteinsystem gemacht?
00:47:22: Also da könnte man ja sagen, die CDU ist eine gesamtdeutsche Partei und wird es auch wahrscheinlich bleiben.
00:47:27: Die SPD jetzt in Sachsen in Umfragen dann zum Teil bei 7 Prozent, auch in Thüringen einstellig.
00:47:34: Das ist natürlich der absoluter Hammer.
00:47:38: Friedrich Merz gibt die Empfehlung für Sachsen und Thüringen nicht mehr die SPD und die Grünen und die FDP zu wählen,
00:47:49: was sich für eine falsche Empfehlung halte, weil selbst wenn die zusammen 15 Prozent bekommen und in die Landtage einziehen,
00:47:59: sind die auch nach wie vor eine wichtige Größe.
00:48:02: Und er will ja nicht alleine mit der AfD und dem Bündnis Sarah Wagenknecht in den Landtagen sitzen,
00:48:08: aber die Grünen und die FDP spielen im Osten eine sehr, sehr geringe Rolle.
00:48:13: Das wären tendenziell eher Westparteien.
00:48:15: Ich weiß auch, dass das viele dieser Parteien nicht gerne hören, wenn ich das sage.
00:48:19: Das BSH, Bündnis Sarah Wagenknecht, haben wir in Ostdeutschland jetzt bei der Europawahl überall zweistellige Ergebnisse gehabt.
00:48:28: 13,8 Prozent für alle fünf Länder.
00:48:32: Und ich glaube, für die alten Bundesländer war das knapp unter fünf Prozent.
00:48:36: Da würden sie es wahrscheinlich nicht in den Landtag schaffen.
00:48:39: Genau, bundesweit kommen sie dann zusammengerechnet auf 6,2 Prozent, aber ja aus dem Stand.
00:48:44: Aber sozusagen, wir hätten überall völlig unterschiedliche Strukturen.
00:48:48: Und das ist ja so, dass wenn man einmal im Parlament ist, wenn man einmal schafft, dann auch die Mandate zu bekommen und damit natürlich auch bestimmte Finanzflüsse,
00:48:58: auch so ein angestelltes Personal, das bestimmte Dinge machen kann, dann gibt es natürlich die Wahrscheinlichkeit, dass sich das verstetigt.
00:49:05: Und das würde im Prinzip meine These nochmal doppelt bestätigen, zu sagen, ja, wir bleiben nicht nur unterschiedlich,
00:49:12: sondern es gibt durchaus Dynamiken, die uns noch unterschiedlicher machen.
00:49:16: Und wenn das so kommen sollte, dann denke ich, also jetzt Sarah Wagenknecht,
00:49:21: in manchen Umfragen schon über 20 Prozent in Thüringen.
00:49:26: Ja, genau, der Thüringentrend, den Infratestimab für Thüringen erhebt oder für den MDR und dann auf Thüringen guckt,
00:49:33: der sagt 21 Prozent beim BSH und jetzt aktuell der Sachsentrend im Juni, also Infratestimab hat geguckt,
00:49:40: wie ticken die Menschen in Sachsen, da ist das BSH bei 15 Prozent, das ist ja enorm.
00:49:48: Und ich frag mich, um anzuknüpfen an Ihren Gedankenkern, was zeigt das jetzt?
00:49:53: Ist das dann der Nachweis, dass die AfD doch schlagbar ist?
00:49:57: Man hat aber eigentlich gesehen, das ist nicht eigentlich, erklärt sich im Wege der Wählerwanderung,
00:50:04: das ist nicht als Misserfolg der AfD, sondern das BSH kriegt Stimmen von überall her,
00:50:09: von der SPD und auch den Grünen zum Beispiel in großer Zahl.
00:50:13: Wofür steht denn diese Truppe jetzt? Was legt es offen, dass die, wie gesagt, aus dem Stand diesen Erfolg haben?
00:50:22: Ja, zum Teil ist das eben eine mediale Projektion, die...
00:50:26: Ach, die sind schon...
00:50:28: Okay, dann versuche ich ganz schnell was anderes.
00:50:33: Sarah Warcklid ist als Person sehr populär und sie bedient natürlich auch mit diesen einfachen Formeln.
00:50:40: Wenn man jetzt diesen Europawahlkampf angeguckt hat, Krieg oder Frieden, Gier oder Gerechtigkeit,
00:50:47: was ich, Wahrheit oder Lüge oder so was, also das sind natürlich unglaublich Platte Formeln,
00:50:54: die mich fast intellektuell provozieren, aber Leute haben manchmal auch solche Sehnsüchte nach solchen einfachen Fragen.
00:51:01: Und sie bedient natürlich sozusagen einen Ort im Parteienspektrum, der bislang nicht ausgefüllt ist.
00:51:08: Also dieses Kulturkonservativ, migrationsskeptische, dann kommt jetzt die Frage der Waffenlieferung,
00:51:14: das Verhältnis ist zu Russland und Putin dazu.
00:51:18: Und in dieser Melange gibt es erstmal jetzt kein Angebot auf dem Parteienmarkt,
00:51:25: also gleichzeitig sozusagen pro sozialstaatlich und sozialpartnerschaftlich,
00:51:31: seit letztendlich ist so etwas, was mein Kollege Oliver Nachtweib, BRD NOA genannt hat, also auch so ein sehr nostalgisches Vorstellung.
00:51:40: So zu einer starken Industrie, starker Gewerkschaften, guter Löhne, Leistung muss sich lohnen und so weiter.
00:51:46: Was wahrscheinlich in den 70er Jahren gut funktioniert.
00:51:50: Genau, das ist so die alte soziale Marktwirtschaft der alten Bundesrepublik.
00:51:54: Ja, genau. Ohne Migration oder nur mit der Migration, die direkt in den Arbeitsmarkt hineingeht
00:51:59: und wo die Leute dann vielleicht auch wieder zurückwandern, wenn sie nicht mehr gebraucht werden.
00:52:03: Erklärt sich der Erfolg des BSH, also auch ein bisschen, dass das ein Mehrangebot insofern vom Gleichen ist,
00:52:12: als das BSH sich eben auch in der Russlandfrage, die ja eine bedeutsame ist in Ostdeutschland, radikaler positioniert als alle anderen?
00:52:21: Ja, ich glaube auch sozusagen der Misserfolg in Anführungszeichen ist natürlich immer noch Erfolg.
00:52:25: Im Westen hat auch was mit dieser Russlandposition zu tun.
00:52:29: Da ist das eben nicht so erfolgreich und findet das nicht so viele Anknüpfungspunkte.
00:52:33: Aber in Ostdeutschland hat man eben gesehen, dass mit diesem Angriffskrieg Putins auf die Ukraine
00:52:39: und der Frage der Waffenlieferung auch wieder so eine Ost-West-Differenz auftritt,
00:52:43: die vorher erst mal gar nicht so zu sehen war, dass die Leute eher einen Kuschelkurs mit Russland und mit Putin haben wollen,
00:52:51: dass sie diese Frage der NATO-Osterweiterung ein Stück weit anders sehen.
00:52:56: Muss man das eigentlich verstehen, frage ich mich.
00:52:59: Also eine Bevölkerung, die, wenn sie es denn erlebt hat, eine echte Diktatur erlebt hat, zeigt sich Affin,
00:53:11: also ist ansprechbar für einen Angriffskrieg den ein Diktator, den er nicht jetzt mal so führt.
00:53:19: Wie passt das denn?
00:53:21: Ich kann es auch immer nicht so gut aufdröseln.
00:53:23: Ich glaube, das sind ganz verschiedene, ganz viele Faktoren.
00:53:26: Also erstmal gibt es natürlich auch so etwas wie so eine anti-West-Liche Grundstimmung.
00:53:31: Das bezieht sich jetzt nicht nur auf die alte Bundesrepublik und den Wiedervereinigungsprozess,
00:53:36: sondern insgesamt auf die Frage des Anti-Americanismus, die geringere Westbindung etc.
00:53:43: Man darf nicht vergessen, dass im Prinzip sowohl die Mitgliedschaft in der Europäischen Union
00:53:47: wie auch die in der NATO im Paket mit der Deutschen Wiedervereinigung gekommen ist.
00:53:51: Darüber gab es nie eine große öffentliche Debatte.
00:53:54: Das hat man im Prinzip sozusagen im Beipack-Zettel mitgekauft, aber das war nie so zentral.
00:54:00: Und dann kommt der Abzug der sowjetischen Truppen aus Ostdeutschland.
00:54:06: Da haben viele gedacht, ja, das sind ja irgendwie ganz friedliche Leute, da mehrere 100.000 Soldaten werden abgezogen
00:54:11: und die machen das ja freiwillig, von denen kann keine Bedrohung ausgehen.
00:54:15: Und ich glaube, anders als die baltischen Staaten oder Polen auch,
00:54:20: ist diese Frage der staatlichen Existenz und auch der Angst vor einer neuerlichen Bedrohung von Russland,
00:54:29: die in den baltischen Staaten ja omnipräsent ist, mit dieser Wiedervereinigung verschwunden,
00:54:36: wenn die DDR einzelstaatlich geblieben wäre und sich irgendwie ein kapitalistisches, freiheitliches System transformiert hätte.
00:54:43: Ich glaube, dann würden die Ostdeutschen das ein Stück weit anders sehen.
00:54:46: Aber im Schutz des großen Bruders stellt sich diese Frage, also im Wiedervereich in Deutschland stellt sich diese Frage gar nicht.
00:54:55: Ja, sondern da würde man sich schon überlegen, was passiert eigentlich, wenn nach der Ukraine die Republik Moldau dran ist
00:55:04: und dann vielleicht die baltischen Staaten und dann Polen, da müsste man sich tatsächlich damit auseinandersetzen,
00:55:09: aber dadurch, dass man jetzt irgendwie sagt, wann ist jetzt irgendwie gesamtdeutsch und wir sind auch ein großer und potenter Staat,
00:55:16: hat man vielleicht nicht diese Ängste auch Souveränität wieder zu verlieren oder Opfer von solchen Angriffen oder Versuchen der Destabilisierung zu sein.
00:55:28: Und das glaube ich, ist aus Ostdeutschen eine andere Perspektive, aber ich gebe Ihnen völlig recht.
00:55:32: Man könnte ja eigentlich genau das Umgedrehte annehmen, zu sagen, man war einmal sowjetischer Satellit.
00:55:38: Es gab Besatzungssoldaten aus der Sowjetunion, die sind abgezogen.
00:55:43: Das waren natürlich auch ukrainische, muss man mir dazu sagen, sind abgezogen.
00:55:48: Und deswegen weiß man ganz genau, mit wem man es da irgendwie zu tun hat, aber das scheint offensichtlich nicht so zu sein.
00:55:56: Sie haben in Ihrem Buch daraus gearbeitet, dass es in den ostdeutschen Ländern oder im Osten, wie Sie immer sagen, ich tue mich schwer damit,
00:56:06: dass es im Osten eine Parteienpolitik Verdrossenheit gibt.
00:56:11: Langes Wort möchte man bei Scrabble haben, aber bezeichnet ja ganz präzise was gemeint ist.
00:56:18: Also ein Verdruss an den Parteien, an der Parteienpolitik, die offensichtlich auch oder die wahrscheinlich auch oft selbst näherend ist,
00:56:28: wo Parteien umeinanderkreisen und gar nicht so sehr um die Menschen.
00:56:33: Sie schreiben das, eine Stelle will ich noch mal vorlesen, im Buch auf Seite 93/94 habe ich mir markiert und dachte, oh weh, also da heißt es, wo ist das?
00:56:49: Aus meiner Sicht greift die Rede von der demokratieverdrossenden oder gar demokratieverachtenden ostdeutschen Zukunfts.
00:56:58: Anziser wäre es von einem nur schwachen Einwurzeln der Parteiendemokratie oder von einer Parteienpolitik Verdrossenheit zu sprechen.
00:57:06: In Umfragen zeigt sich etwa eine anhaltend hohe Zustimmung zur Demokratie allgemein, aber eine große Kritik an der real existierenden Demokratie,
00:57:16: die mit dem Wirken der Parteien begründet wird und die oft grundsätzlicher ausfällt als im Westen, der noch immer von der Tradition etablierter Volksparteien seht,
00:57:25: haben wir eben drüber gesprochen. So geht weiter.
00:57:27: Während die Bejahrung der Demokratie als Idee im Osten recht stark ist, über 90%,
00:57:33: rauschen die Werte in den Keller, wenn man fragt, ob die Demokratie in der Bundesrepublik gegenwärtig gut funktioniert, nur noch knapp über 40% Zustimmung.
00:57:43: Viele haben ein ganz eigenes Politikverständnis ausgebildet, bei den Vorstellungen des ursprünglichen und direkten Volkswillens im Zentrum stehen.
00:57:53: Dieser, nur imaginierte Gesamtwille, soll die Politik bestimmen, nicht das Parteienkarussell samt dem ihm eigenen Formen der Personalauswahl,
00:58:03: der innerparteilichen Austarierung von Interessen und der strategischen Positionierung.
00:58:08: Jetzt kommt es. Politiker und Politikerinnen sollen das tun, was die Bevölkerung verlangt.
00:58:14: Mit der Einbeziehung anderer Aspekte, etwa verfassungsrechtlicher Selbstbindungen oder organisierter Interessen, werde der Wille des Volkes verfälscht.
00:58:23: Dachte ich, ne, Leute, so kann es nicht gehen. Das Politikenselbstbedienungsladen fürs eigene Anspruchsdenken wird, so geht es ja nicht.
00:58:31: Ja, das ist so eine Art Einforderungsdemokratie. Also man könnte jetzt sagen, wenn man einen stark verfahrensorientierten Blick auf die Demokratie hat,
00:58:40: dann würde man sagen, es gibt bestimmte Regeln, Wahlverfahren, Parlamentarismus und dann kommen bestimmte Entscheidungszustände und die akzeptiert man,
00:58:49: weil die Art der Entscheidungsfindung sozusagen verbindlich und vor allem gleich ist.
00:58:55: Eine andere Perspektive auf die Demokratie ist und das ist das, was ich jetzt vor Ostdeutschland erstmal diagnostiziere,
00:59:02: ist, wir beurteilen das eigentlich nach den Ergebnissen der Politik.
00:59:06: Hab ich bekommen, was ich wollte.
00:59:08: Und in der Politikwissenschaft redet man manchmal von Input-Legitimität. Also das bezieht sich sozusagen darauf, wie eigentlich eine Entscheidung zustande gekommen ist.
00:59:17: Und Output-Legitimität, das ist sozusagen, ob ich Nutznieser bin und ob mir das gefällt oder nicht.
00:59:22: Und Ostdeutschland ist, man kann das jetzt, sind jetzt Idealtypen, Ostdeutschland ist ein bisschen stärker auf dieser Seite.
00:59:30: Der Output-Legitimität gibt es im Westen natürlich auch, also dass es so eine Einforderungsdemokratie gibt.
00:59:36: Aber mit diesem politischen Verständnis läuft man natürlich gegen Wände, das ist klar.
00:59:42: Ja, und dann kann man das fast lassen, was Peter Köpping da alles versucht.
00:59:46: Dann kommt einem das richtig lieb vor, so okay, die ist so recht schaffen, noch dabei was zu machen.
00:59:51: Und wie viele andere Politikerinnen und Politiker arbeitet die richtig viel dafür.
00:59:57: Also weiß ich nicht von Frau Köpping speziell, unterstelle ich jetzt mal, aber ich weiß und habe davor Respekt,
01:00:03: wie viele Menschen sich auch ehrenamtlich engagieren, da kann man dann nicht einfach dann immer sagen, ach komm, ich hab nichts davon.
01:00:11: Aber man muss mal sehen, ich hatte ja gesagt, dass sozusagen diese Unterstrukturen der Partei nicht vorhanden sind.
01:00:15: Also wenn man sagt, es gibt jetzt Ortsvereine, was ist eigentlich deren Funktion?
01:00:20: Die stellen ja nicht nur Wimpel auf oder irgendwie verteilen, irgendwie Wahlzettel davor der Wahl, sondern die treffen sich im wöchentlichen Rhythmus.
01:00:30: Das ist eine ganze Bandbreite von Leuten mit unterschiedlichen Berufen in unterschiedlichen Lebensphasen und die diskutieren kleine und große Politik.
01:00:38: Was hat der Landesvorstand beschlossen, was sagt Olaf Scholz oder was sagt Friedrich Merz und so weiter.
01:00:44: Und also Politik hat eine Adresse und in jedem dieser Ortsvereine von der CDU oder von der SPD saßen auch immer Leute, die wir heute als typische AfD-Wähler erkennen würden.
01:00:56: Aber was war mit denen? Die wurden dort eingehegt. Die sind über andere Themen an dieser Partei dran geblieben,
01:01:02: vielleicht weil sie eben das sozialdemokratische schätzen. Die hatten trotzdem bestimmte Meinungen zu Migrantinnen und Migranten.
01:01:08: Die haben sich auch mal sexistisch geäußert. Aber die konnten sozusagen diese Arten von Orientierung oder Weltinterpretation nicht eins zu eins ungefiltert in den politischen Raum bringen,
01:01:20: sondern die wurden eingehegt und pacifiziert in gewisser Weise und waren Teil einer Gemeinschaft und haben dann auch Loyalitäten ausgeübt,
01:01:29: weil sie gedacht haben, das sind irgendwie meine Leute und dieser Prozess der Willensbildung von den Ortsvereinen bis hin dann irgendwie über die ganzen verbandlichen Strukturen bis zu den Spitzen einer Partei,
01:01:40: der führt eben dazu, dass nicht alles eins zu eins durchgesteuert wird, sondern es verändert sich.
01:01:47: Da gibt es irgendwie eine Transmission und diese Art von Organisiertheit von Politik, die geht uns im Moment verloren.
01:01:54: Im Westen natürlich auch, aber im Osten noch viel, viel mehr. Das heißt, was machen Leute eigentlich, wenn sie nicht Teil einer solchen politischen Gemeinschaft sind?
01:02:02: Sie haben Frust, Dinge verändern sich, sie verstehen Sachen nicht und das wird sehr unmittelbar rausgelassen.
01:02:09: Man geht auf die Straße, man sieht man ja auch bei diesen vielen Protesten, ich habe mir das hier nur wieder auch mal angeguckt,
01:02:16: wenn man sieht, was da für unterschiedliche Forderungen dann da sind.
01:02:19: Da geht es dann irgendwie um ein Thema, Pegida und so, aber da läuft natürlich jeder mit, der dagegen die GIZ ist und so weiter.
01:02:27: Das heißt, das werden eigentlich Sammelbecken für bestimmte Protestformen und die Straße spielt eine viel größere Rolle als jetzt sozusagen der Ortsverein.
01:02:35: Das ist eine Verlagerung der Politik weg von den Formalstrukturen, die dafür da sind, wo wir sagen können, die Parteien sollen die zentralen Akteure der Organisation und von Willensbildung sein.
01:02:48: Und diese Funktion können Sie immer weniger ausfüllen und zugleich werden Sie unglaublich schwach im Hinblick auf die Absorption von gesellschaftlichen Konfliktblagen.
01:02:58: Also, dass Sie die irgendwie zusammenbringen und wenn Parteien das nicht mehr leisten können, dann haben wir natürlich ein großes Risiko,
01:03:05: dass sich die Dinge immer relativ schnell auch hochheizen. Dann hat man so eine Eskalationsdynamik und das glaube ich ist im Moment so ein Problem,
01:03:13: vor dem wir stehen und das sich in Ostdeutschland eben stärker zeigt als im Westen.
01:03:17: Historisch wahrscheinlich auch begründet und erklärbar dadurch, dass es ein Parteienstaat war, die SED, daneben gab es die Blockparteien, die aber in Wahrheit so etwas wie eine Steigbügelhalterfunktion hatten.
01:03:30: Und die positive Erfahrung ist ja die Erfahrung der Straße. Die friedliche Revolution wird auf der Straße, auf den Plätzen ausgetragen und führt zu was ganz dollem, nämlich ein Zusammenbruch eines ganzen Systems.
01:03:43: Ja, der Herbst 080 war für viele natürlich auch eine Rauschhafte Erfahrung. Also die Urdemokratisierung der Ostdeutschen, wo sie sich zum ersten Mal auch als politische Subjekte verstanden haben und verstehen konnten, war die Straße.
01:03:58: Man ist auf die Straße gegangen und hat von den Oberen Zugestätten in das eingefordert. Das ist sozusagen die Urerfahrung des politischen und man könnte in gewisser Weise sagen,
01:04:07: das hat sich bis heute ein Stück weit fortgesetzt. Selbst wenn das jetzt vielleicht ein kritisches Licht auf die friedliche Revolution lenkt, das ist damit nicht beabsichtigt.
01:04:18: Aber sozusagen das ist eine Art von politischer Erfahrung, die sich natürlich auch fortsetzt und wenn man jetzt wieder Motachsdemonstration hat, wenn man irgendwie bestimmte auch rhetorische Formeln hat,
01:04:29: dass da Redner auftreten, zum Teil auch Leute, die 089 schon dabei waren, dass die sich jetzt sozusagen dann auch wieder vorne hinstellen und sich unmittelbar in diese Kontinuität hineinstellen bei Pegida und anderen Demonstrationen hat man das ja gesehen.
01:04:42: Das ist so ein bisschen so ein Zeichen, dass diese anderen Formen des politischen, die wir eben auch brauchen, wir leben in einer Parteiendemokratie, wir leben in einem parlamentarischen System.
01:04:52: Das ist unsere Form der Demokratie, dass die sich nicht so ausgeprägt haben, wie sie hätten sich ausbringen sollen.
01:04:59: Oder hat die Parteiendemokratie ihre beste Zeit hinter sich?
01:05:03: Ja, das wäre das, was einem am meisten Sorgen machen müsste. Ich bediere ja auch in dem Buch nochmal für so eine Reformperspektive und sage, ja, wenn sich die Gesellschaft so dramatisch ändert,
01:05:16: wenn sich die Formen des politischen, die Art der politischen Partizipation sich so stark verändern, dann ist natürlich irgendwann die etablierte Form, wie wir das die Politik organisieren, auch ein Stück weit ein Korsett.
01:05:30: Wenn irgendwann niemand mehr in der Partei ist, dann kann man sagen, ja, sind die Parteien wirklich noch die zentralen Akteure der Willensbildung?
01:05:38: Ja, die sind noch nie, das sind sie gar nicht mehr. Dann sind sie letztendlich in sehr kleinen Gruppen oder vielleicht auch Kartelle, die irgendwie das Politische organisieren, aber natürlich immer an den Leuten vorbei.
01:05:48: Da hat man vielleicht eine andere Form von Partei, das wäre eher so Typ-BSW, also eine Wahlplattform oder eine Wahlplattform.
01:05:55: Was es ja im Kommunalen ganz oft geht schon, ne?
01:05:59: Ja, ja, ja. Und das versammelt sich dann und wenn man dann irgendwie medial erfolgreich ist und vielleicht auch Sponsoren findet, dann kann man sich vielleicht auch in Wahlen dann durchsetzen.
01:06:07: Aber das wäre eine andere Art von Politik und auch eine andere Art von Demokratie, als die, die wir bisher haben.
01:06:13: Und deswegen sage ich, wir müssen gucken, Selbstwirksamkeit ist das A und O, also die Leute müssen beglückende Erfahrungen auch der Demokratie machen.
01:06:21: Auf der Straße kann man das vielleicht machen, machen ja auch manche Leute, aber das kann nicht unser Ort der Politik sein, sondern wir müssen den Leuten irgendwie Möglichkeiten geben, mitzumachen,
01:06:32: ohne auch ohne, dass sie in Parteien hineingehen, wenn sie das nicht wollen.
01:06:36: Es sind nur noch ein paar Wochen bis zu den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen, dann am Ende des September in Brandenburg und überall hat die AfD die chancestärkste Kraft zu werden.
01:06:47: Bei den Nachwahlanalysen nach der Europawahl kam raus, dass zum Beispiel das BSE zuallererst und zum größten Teil vom Thema Friedenssicherung profitiert hat, also das, was die unter Friedenssicherung verstehen.
01:07:01: Nun ist es so, dass in West und Ostes Menschen gibt, die eine weitere und sogar noch größere militärische Unterstützung der Ukraine ablehnen, im Osten sind es aber mehr.
01:07:13: Somit liegt irgendwie nahe und damit sind wir jetzt wieder bei der Organisation von politischer Willensbildung durch die Parteien.
01:07:21: Es liegt nahe, dass ich auch die, wie Sie es im Buch nennen, ich finde ein gutes Wort, die Bonner Parteien Gedanken über ihren weiteren Kurs in Sachen Ukraine Unterstützung machen.
01:07:31: Und wie das die SPD jetzt hält, auch dazu habe ich Petra Köpping befragt.
01:07:36: Ist die militärische Unterstützung der Ukraine im Angriffskrieg den Putin gegen die Ukraine führt inzwischen ein Problem für Sie als Spitzenkandidatin der SPD?
01:07:49: Denn laut einer Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen aus dem Juni wünschen sich in Ostdeutschland 45 Prozent der Befragten inzwischen weniger Militärhilfe für die Ukraine.
01:08:00: Ich will mal vorwegstellen, dass wir auch sehr viel humanitäre Hilfe leisten.
01:08:04: Klar.
01:08:05: Sie sind gerade wieder aus Sachsen, Hilfstransporte in die Ukraine unterwegs.
01:08:09: Es machen viele Minister übrigens auch im Einzelnen, dass sie Hilfstransporte organisieren, mit hinfahren, das durchführen.
01:08:15: Martin Doolich ist in den nächsten Tagen wieder unterwegs als Privatperson im Übrigen.
01:08:20: Das sind alles Maßnahmen, die wir tun.
01:08:22: Unser Gesundheitssystem in Sachsen hat verbundete ukrainische Soldaten aufgenommen.
01:08:27: Ich durfte jüngst, welche am Flughafen Leitzig, Schgoyditz begrüßen.
01:08:31: Also das will ich auch nach vor sechs sagen.
01:08:34: Das sind Menschen auch wichtig, dass wir wirklich sagen, dass wir neben der militärischen Hilfe eben auch humanitäre Hilfe leisten.
01:08:40: Der eine Punkt, der andere ist, das ist immer wieder bei dieser Neidiskussion, bei allen natürlich wissen, wie viel Geld das auch kostet, wenn wir die Ukraine unterstützen.
01:08:49: Und wir müssen die Ukraine unterstützen.
01:08:51: Also es ist wieder dieser Punkt.
01:08:52: Für uns reicht es nicht.
01:08:53: Aber für andere Dinge können wir Gelder hier nehmen.
01:08:56: Jetzt nochmal zu der Soziale Session der Menschen.
01:08:59: Nein, ich wollte eigentlich wissen, was macht die SPD jetzt daraus?
01:09:04: Denn sie haben ja in Wochen den Landtagswahlkampf und werden auch damit andauend immer fortkonfrontiert.
01:09:11: Ja, ich bin viel mit Boris Pistorius unterwegs.
01:09:14: Wir führen die Diskussion sehr genau, weil ich glaube, dass man auch wichtig darüber diskutieren muss, wie notwendig das ist, dass wir die Ukraine unterstützen.
01:09:23: Und da ist Boris Pistorius, glaube ich, eine sehr geeignete Person als gerade der Verteidigungsminister,
01:09:28: dass den Menschen auch zu erklären, wir hatten erste große Veranstaltung in Dresden, wo es schon noch sehr, sehr kritische Fragen gegeben hat,
01:09:35: was man eben aber anerkennt, das ist eine Haltung, dass er ganz klar sagt, ja, wir brauchen diese Unterstützung.
01:09:41: Und ja, das tut uns auch weh, das kostet Geld, dass man diese Wahrheit und diese Ehrlichkeit eben auch zum Ausdruck bringt.
01:09:47: Die zweite Seite, und da bin ich sehr froh, dass es diese Schweizer Konferenz gegeben hat, dass man auch sieht,
01:09:52: dass eben die Friedenskonferenz genau, dass man eben auch sieht, dass Verhandlungen geführt werden, dass man versucht, viele Länder zu vereinen,
01:10:00: um eben auch Einfluss zu nehmen auf Russland, weil es eben Deutschland alleine nicht kann.
01:10:05: Sie wissen, dass der Kanzler in Russland gewesen ist. Er hat mit Putin gesprochen.
01:10:08: Also die Möglichkeiten der Kontaktaufnahme, der Verhandlung, die sind natürlich den Menschen auch sehr wichtig, denn die ukrainischen Geflüchteten, die zu uns kommen,
01:10:17: ich mache es mal an einem Beispiel, weil mir das so nahe gegangen ist, wir hatten in Gürnitz für eine junge Frau mit zwei kleinen Kindern,
01:10:23: deren Mann als Soldat in der Ukraine gekämpft.
01:10:26: Eine Wohnung ausgebaut, das haben wir die ehrenamtlichen Kräfte gemacht, die haben zusammengesammelt, haben eine niedliche kleine Wohnung für sie und für ihre beiden Mädchen eingerichtet,
01:10:35: und ich durfte dabei sein, als sie die Wohnung betreten hat. Und just in dem Moment hat sie den Anruf bekommen, dass ihr Mann gefallen war.
01:10:42: Also das macht einfach so zum Verständnis, dass dieses so grausam ist, das merken auch die Menschen in Ostwestern, sie wollen nicht, dass Menschen sterben.
01:10:50: Und insofern ist dieser Druck, dass man versuchen muss, zu verhandeln, der ist wichtig.
01:10:55: Und das müssen wir auch nach außen zeigen und ganz deutlich sorgen.
01:10:58: Und deswegen bin ich sehr froh, dass es diese Schweizer Friedenskonferenz als großen Auftakt, so betrachte ich das, wie geben hat, an dem man das unbedingt ansetzen muss.
01:11:06: Aber diese Diskussion, das kostet uns viel Geld, wo wir überall sagen, wir haben eine Prise.
01:11:13: Das ist natürlich ein Punkt, der an Ostwestern, und die Probleme habe ich vorhin genannt.
01:11:17: Wir haben bereits die Transformation hinter uns, die hat viel Kraft und Geld gekostet.
01:11:21: Die hat den Menschen aber auch sehr viel abverlangt, dass die einfach die Sorge haben, dass sie das als zweites Mal nicht einsetzen können.
01:11:27: Deswegen auch die Diskussion in den Familien mit den Kindern und Jugendlichen, die sagen euch, was nicht besser gehen als uns.
01:11:33: Das schaffe ich nicht nach Mais nehmen, wie man das bisschen, was das BST wird, uns aufgeborten.
01:11:37: Das ist das Narrativ, um das es geht.
01:11:39: Und das ist so leicht.
01:11:40: Als populistische Partei, das hat übrigens Steffen auch in seinem Buch geschrieben, Triggerpunkte,
01:11:45: dass es demokratische Parteien ein Stück weit schwerer haben als populisten und gerade rechtsradikale Parteien,
01:11:51: in dem System eben erklären zu müssen und nicht einfach zu sagen, morgen ist der Krieg zu Ende.
01:11:56: Das kann die AfD nämlich auch nicht.
01:11:58: Ich frage auch deshalb danach, ob die SPD für Sie, um Sie zu unterstützen bei ihrem Landtagswahlkampf in Sachsen,
01:12:07: was verändern müsste, weil ich beobachte, dass die Union im Moment die beiden Themen Unterstützung der Ukraine
01:12:16: und das Thema Flucht und Migration versucht neu zu bespielen meiner Wahrnehmung nach.
01:12:23: Friedrich Merz hat im Sommerinterview mit dem ZDF so getan, als habe er nur am Anfang, so sagt er da,
01:12:30: also vor zweieinhalb Jahren auf mehr militärische Unterstützung für die Ukraine gedrungen und nicht,
01:12:36: wie sich aber ja ganz leicht belegen lässt, auch im März dieses Jahres noch, als es um die Taurus-Marschflugkörper ging.
01:12:42: Und jetzt sagt er, wir schauen nach vorn, wir müssen sehen, dass wir Möglichkeiten eröffnen,
01:12:48: wie dieser Konflikt auch irgendwann mal beendet wird.
01:12:52: Klar, sage ich jetzt dazu, das wollen alle, das wollen auch Sie, das wollen auch nicht zuletzt die Ukraine und Ukraine.
01:13:00: Aber das, Friedrich Merz das jetzt sagt und so herausstellt, ist neu.
01:13:05: Außerdem stellt die Union das Bürgergeld für die hier lebenden Ukraine-Innen in Frage
01:13:10: und der Landesgruppenchef der CSU im Bundestag Alexander Dobrindt droht sogar damit,
01:13:17: dass die Ukraine-Innerinnen und Ukraine die bislang nicht arbeiten, in Zitat "sichere Gebiete der West-Ukraine" abzuschieben.
01:13:25: Können Sie von der neuen Ukraine-Politik der Union für Ihren Wahlkampf noch schnell was lernen?
01:13:32: Also was ich nicht tun werde, ist auf dem Weg, auf dem schwierigen Weg, wo wir sind,
01:13:39: dass wir unsere Menschlichkeit verlieren an dieser Stelle.
01:13:42: Und mit solchen populistischen Plattitüten, wo ich plötzlich etwas bediene,
01:13:47: wo ich denke, dass es in Osterstadt, in Thüringen, Sachsen und natürlich auch Brandenburg wollen beeinflussen.
01:13:53: Was anderes ist das nämlich nicht, was da erzählt wird, sie hat es ja gesagt,
01:13:56: gerade CDU-Politiker und CSU-Politiker sind ganz weit vorne dran, Olaf Scholz ständig zu drängen,
01:14:01: noch schneller zu sein, noch mehr zu nie vor noch größere Maßnahmen zu ergreifen.
01:14:05: Und dann spaltet sich so ein Teil ab, dazu gehört natürlich auch Michael Kretschmatter,
01:14:09: der die ganze Zeit hier schon gemacht hat und sagt, "Nenny, man braucht ja nochmal vorhandeln,
01:14:12: und dann geht das alles noch, wir sind uns doch alle einig."
01:14:15: Irgendwann wird es Verhandlungen geben und irgendwann wird der Krieg beendig sein,
01:14:18: da gibt es doch gar keinen Wenn und Aber, aber dieses wirklich doppelzüngige, so nenne ich das.
01:14:24: Das ist ehrlich gesagt ein richtiger "Sorry, wenn ich jetzt das so sagen würde, war eine Wehle vor Arsch".
01:14:29: Und insofern glaube ich, dass das wirklich kein guter politischer Stil ist.
01:14:33: Und das ist genau das, was die Menschen eben zurzeit sehen,
01:14:35: dass wir ehrlich gesagt in Sachsen eine massive opportunistische Äußerung haben,
01:14:41: gegen die da eine grüne Partei, wir als SPD, eine linke Partei, schwere Karten haben,
01:14:46: weil wir einfach den Menschen eher nicht gegenübertreten wollen.
01:14:49: Und nicht mit populistischen Äußerungen, das für mich eine populistische Äußerung.
01:14:52: Deswegen mein Petitum "Fried durch Merz muss jeden Abend dankbar sein,
01:14:56: dass er sich gerade regieren muss, weil er das so nicht umsetzen könnte."
01:14:59: Und das weiß er.
01:15:02: Reagiert hier Frau Köpping nur empört oder ist es durchsichtig von der Union jetzt noch schnell den Kurs zu ändern?
01:15:10: Und, weil das zu unserem Thema passt, glauben Sie, dass sowas im Osten verfängt?
01:15:15: Ja, ich bin immer ein bisschen vorsichtig mit der direkten Beurteilung von Politikern oder von Politik,
01:15:21: weil das auch meine Rolle als Soziologin ein bisschen verändern würde.
01:15:24: Also, klar, ich bin ein politischer Mensch und ein Bürger, da könnte ich mich äußern,
01:15:28: aber wenn ich jetzt sage, ich habe wissenschaftliche Expertise, ob das verfängt, weiß ich nicht.
01:15:33: Die Tonalität hat sich verändert.
01:15:35: Ich beobachte das ganz genauso, wie Sie das beschrieben haben,
01:15:38: dass jetzt irgendwie versucht wird, im Osten zumindest jetzt keine Druckstellen zu erzeugen,
01:15:44: auf die die Wählerschaften reagieren könnten.
01:15:48: Und dass der Begriff "Verhandlung" wird ja so zur Schifre, zum geflügelten Wort,
01:15:53: dass man irgendwie zu der einen Seite gehört, die jetzt irgendwie den Krieg beenden will
01:15:57: und dann gibt es die anderen, die den unbedingt fortsetzen wollen.
01:16:00: Aber das ist natürlich auch eine Vereinfachung, da hat Petra Köpping auch recht in ihrer Analyse,
01:16:05: wenn das so eine Wähleranbieterei ist und das letztendlich nicht gedeckt ist,
01:16:11: durch auch eine programmatische Orientierung in der Partei, dann überzeugt mich das eben auch nicht.
01:16:17: Aber es ist so, dass es im Osten eine extrem heikle und auch spaltende Frage ist,
01:16:23: dass das viel diskutiert wird.
01:16:24: Ich bin ja auch viel unterwegs und kenne viele Leute.
01:16:27: Und da gibt es viele Besorgnisse, aber unterschiedlichster Art.
01:16:33: Also das sind jetzt nicht alles Leute, die mit Putin irgendwie dickfreund sein wollen,
01:16:38: sondern das sind Leute, ich treffe auch viele ältere Leute, die sagen, du oder sie hast den Krieg nicht erlebt.
01:16:45: Wir wissen, wie das ist, auf der Flucht zu sein.
01:16:47: Und dann sage ich, ja wenn ihr das wisst, dann müsstet ihr auch um so größeres Verständnis haben,
01:16:52: aber es wird einfach anders interpretiert in Mecklenburg-Vorpommern, hör ich, andauern.
01:16:56: Ja, unser ganzer Hafen, das wird jetzt alles auf Schiffe, Militärschiffe umgebaut,
01:17:02: der Flughafenlage, da fliegen sie jetzt andauern, irgendwie mit Jagdflugzeugen, das kann doch nicht sein.
01:17:08: Wir fühlen uns schon wie im Krieg, weil das hier so unglaublich laut ist.
01:17:11: Und das sind Besorgnisse, die muss man natürlich als Politiker irgendwie auch ernst nehmen,
01:17:15: über die kann man nicht rübergehen.
01:17:17: Aber ich finde jetzt gerade auch Boris Pristorius hat eine gute Art, seine Punkte zu machen.
01:17:24: Und selbst, kann ich mir gut vorstellen, selbst wenn jetzt Leute mit ihm nicht übereinstimmen sollten,
01:17:30: glaube ich, bringt er das argumentativ doch ganz gut rüber zu sagen, wir brauchen diese Unterstützung.
01:17:35: Wir sind in einer Situation, wo die Demokratie zu verteidigen ist, wo auch der Westen ganz fundamental herausgefordert wird.
01:17:42: Und wenn wir diese Herausforderung nicht annehmen, dann werden wir langfristig sehr viel verlieren.
01:17:48: Nicht zuletzt wird sozusagen eine Nichtreaktion der Weltgemeinschaft auch vieler dazu führen, dass es viele Nachahmer gibt.
01:17:55: Also Taiwan, China und so, es gibt ja verschiedene Beispiele, auf die man da gucken kann.
01:17:59: Und ich glaube, das muss man den Leuten bewusst machen, dass niemand will den Krieg.
01:18:03: Und es ist immer schön zu sagen, ja, morgen sollte doch Frieden sein, aber so einfach funktioniert die Welt eben nicht.
01:18:10: Ich will mit Ihnen zum Schluss der Folge drauf gucken, wie könnte man es besser machen.
01:18:16: Wir haben eben gesprochen über die Parteienpolitikverdrossenheit.
01:18:21: Sie haben gerade Boris Pristorius angesprochen, wäre jemand wie er, über den wir auch in der zurückliegenden Folge gesprochen haben,
01:18:30: Georg Isma war hier von der Süddeutschen Zeitung und der sagt, das ist auch verrückt,
01:18:34: dass Boris Pristorius, der klar positioniert ist, der sagt, er möchte das Deutschland kriegstüchtig wird.
01:18:40: Auch von den Menschen, die Sie jetzt beschrieben haben, die er auch gesprochen hat, die Angst vor Krieg haben, dennoch geschätzt wird,
01:18:47: weil er offensichtlich klarer spricht als manche andere das tun.
01:18:52: Ist das eine der Lösungen, dass es besser gehen könnte? Muss man nur die richtigen Leute wieder haben, die dann Menschen begeistern können?
01:19:00: Wer ist das? Wer ist so einfach?
01:19:02: Da muss ich mich wieder ein bisschen zurückziehen, weil ich einfach, das ist immer leicht,
01:19:06: jetzt in Politikerbashing hineinzugehen und zu sagen, das muss jetzt so andere Leute...
01:19:10: Geht mir auch mehr um den Typus, um eine konkrete Persönlichkeit.
01:19:14: Ja, vielleicht sozusagen diese klare Ansprache und die Kommunikation, das kann auch immer mal funktionieren,
01:19:19: aber wir haben genau dasselbe Problem, das könnte auch eine Projektionsfläche sein,
01:19:23: dass dann in anderen Ämtern und so weiter sich dann auch Leute, ich denke jetzt,
01:19:29: ich will nicht vergleichen, aber Gutenberg und so weiter war ja auch so eine Projektionsfläche,
01:19:33: von dem ich mir gedacht habe, der ist jetzt die Lösung für alles.
01:19:36: Stimmt, läuft über Wasser?
01:19:38: Läuft über Wasser und jetzt haben wir keine Wehrpflicht mehr und so weiter
01:19:42: und Jahre später stellt man fest, dass das möglicherweise gar nicht so eine richtige Entscheidung gewesen ist.
01:19:47: Also ich bin da ein bisschen vorsichtiger und sage natürlich, Personen spielen eine große Rolle in der Politik.
01:19:53: Sie können auch Leute mitnehmen, Ansprache ist wichtig, auch Authentizität, auch dass Leute irgendwie das Gefühl geben.
01:20:00: Sie haben irgendwie ein Ohr am Volk und sie reden trotzdem nicht nach dem Mund des Volkes, das ist wirklich ein Unterschied.
01:20:09: Und diese Vermittlungsarbeit, die muss politisch auch geleistet werden, das ist nicht einfach,
01:20:14: der Druck ist eben wahnsinnig hoch und auch, dass Leute schon so ein grundsätzliches Misstrauen in die Politik entwickelt haben,
01:20:20: das führt eben dazu, dass man die auch nicht einfach wie Schäfchen jetzt zurückführen kann.
01:20:24: Aber ich glaube, wir brauchen mehr öffentliche Kommunikation.
01:20:27: Die zweite Überlegung, wie könnte man es besser machen, haben Sie eben schon angetippt, mehr Partizipation,
01:20:35: mehr Bürgerbeteiligung, mehr Bürgerräte, davon sprechen Sie, der Kanzler hat gerade im Sommerinterview mit der ARD gesagt,
01:20:42: er könnte sich auch vorstellen, dass die Folgen der Corona-Pandemie in einem Bürgerrat aufgearbeitet werden können.
01:20:48: Ist das eine Lösung oder ist es nur dann eine Lösung, wenn diese Bürgerräte eben auf keinen Fall reine Showveranstaltungen sind,
01:20:56: sondern auf eine Art dann wieder im System institutionalisiert werden, damit aus dem, was ein Bürgerrat beschließt, auch garantiert irgendwas folgt?
01:21:06: Ja, also es müsste ein Verbittlichkeitscharakter haben und man müsste das dann auch gesetzlich oder dann in den Landesverfassung irgendwie festinstallieren,
01:21:15: welche Rolle die spielen. Diese Idee der Bürgerräte ist, dass da Leute per Losverfahren reingewählt werden
01:21:21: und die sollen jetzt nicht im Parlament ersetzen, die sollen auch nicht die Parteien ersetzen,
01:21:25: sondern die sind eigentlich so was wie so eine Veranda, wie ein Anbau am Haus der Demokratie, wo vielleicht Leute durchlaufen
01:21:31: und dann vielleicht auch später auch später zu den Parteien kommen.
01:21:34: Da kommen Leute per Losverfahren, vielleicht 30 Leute oder 40 Leute und die zu einem konkreten Problem in ihrer Gemeinde, in ihrem Landkreis
01:21:43: versuchen sie eine Entscheidung herbeizuführen, unter sozusagen Diskussionen der unterschiedlichsten Argumente, Gesichtspunkte
01:21:50: und dazu Hilfenahme vielleicht auch von Experten und kommen dann mit einem Vorschlag, der dann von der Politik aufgegriffen wird.
01:21:57: Das kann man auch auf der Landesebene oder auch auf der Bundesebene sogar machen.
01:22:00: Wir hatten ja schon einen Bürgerrat für Ernährungspolitik, wo meiner Ansicht nach sehr sinnvolle Vorschläge rausgekommen sind.
01:22:06: Was man aus den Bürgerräten weiß, auch aus der Forschung dazu ist, dass extreme Positionen, polarisierende Positionen ganz häufig abgeschliffen werden,
01:22:15: dass sich da eher diese leise Mitte stärker durchsetzt.
01:22:19: So wie Sie es von den Parteien eben beschrieben haben, dass das da auch gelingt.
01:22:23: Ja, und das ist auch ein Lernraum, wo man überhaupt in so einen Austausch von Argumenten hineingeht.
01:22:27: Das verlernen wir häufig, wenn man sich nur auf den Marktplatz schreit und stellt, was man gerne haben möchte.
01:22:32: Ja, da entsteht eben noch keine Demokratie, sondern Demokratie ist letzten Endes.
01:22:36: Irgendwie sich miteinander auseinandersetzen und dann zu einem Kompromiss kommen.
01:22:40: Und diese Bürgerräte, ich glaube, das ist auch eine große Stärke.
01:22:43: Sie sind völlig immun gegenüber so üblicher Elitenkritik, die da oben oder die Systemparteien.
01:22:49: Sondern es sind Leute aus der Mitte der Gesellschaft, die sich da zusammensetzen.
01:22:53: Ich will nicht im konstruktiven Teil dieses Podcast sofort wieder Wasser in den Wein gießen,
01:22:58: aber auch das setzt natürlich Engagement voraus.
01:23:01: Da muss man sich einsetzen, da muss man lesen, da muss man irgendwie zuhören wollen,
01:23:06: sich mit der Argumentation der anderen auseinandersetzen wollen.
01:23:09: Schon für die klassische Kommunalpolitik finden sich aber ja immer weniger Menschen.
01:23:14: Wie kriegt man das dann hin?
01:23:16: Gut, wenn wir beide jetzt ein Brief mit einer Aufforderung bekämen,
01:23:20: bei einem Bürgerrat teilzunehmen, der sich vielleicht mit der Frage Sterbehilfe beschäftigt
01:23:25: oder freiwilliges soziales Jahr und wir sollen Vorschlag machen.
01:23:29: Und dann müsste man die Leute ja auch ein bisschen vergüten, weil die ihre Zeit da reingeben.
01:23:35: Vielleicht würden wir mitmachen, weil wir neugierig sind auf Politik.
01:23:38: Ich glaube nicht, dass alle Leute a-politisch oder anti-politisch sind.
01:23:41: Auch im Osten nicht?
01:23:43: Auch im Osten nicht, aber sie sind eben nicht so zum Parteipolitisch.
01:23:47: Sie haben eine andere politische Begrifflichkeit, anderes politisches Verständnis.
01:23:52: Und Demokratie, das darf man nicht vergessen, kann auch eine unglaublich beglückende Erfahrung sein.
01:23:58: Zusammen, sich weiterentwickeln, was zu lernen, von anderen Leuten zu lernen.
01:24:05: Also ich setze da so ein bisschen drauf.
01:24:07: Und wenn wir beide sagen, nee, wir haben jetzt gar keine Zeit, weil wir irgendwie super beschäftigte Leute sind
01:24:11: und lieber nach Sylt fahren und dort segeln.
01:24:15: Nein, wir fahren nicht nach Sylt.
01:24:17: Da werden eine schlimme Singe-Lieder gesungen.
01:24:20: Dann haben wir aber hinterher auch keine Legitimation mehr zu sagen, wenn es andere gemacht haben
01:24:25: und wir das abgelehnt haben zu sagen, wir sind jetzt nicht einverstanden.
01:24:29: Man hat uns ja gar nicht gefragt.
01:24:31: Also wer dann seine Chance vergibt, seine Einladungskarte an jemanden anders weitergibt,
01:24:37: der kann sich auch nicht beschweren, dass er bei der Veranstaltung nicht dabei war.
01:24:41: Ich habe gerne das Wort von "Beglückung" gehört, nehme das als Schluss der Folge will,
01:24:46: die aber nicht rauslassen, ohne die Frage, wo sind wir in der Frage, die wir aufgeworfen haben,
01:24:51: nämlich bleibt der Osten immer anders in einem Jahr?
01:24:57: Ja, da haben wir natürlich die Landtagswahlen im Herbst, das ist glaube ich ganz entscheidend.
01:25:02: Ich glaube mit neuen Formen der Regierungsbildung, überhaupt mit neuen Formen des Regierens,
01:25:06: die wir erst ausprobieren müssen, die zu unserer politischen Kultur erstmal nicht passen,
01:25:10: die es in anderen Ländern auch schon gibt.
01:25:12: Und ich glaube, da müssen wir eine ganze Menge dazu lernen.
01:25:15: Steffen Mauer hier, herzlichen Dank, toll, dass Sie da waren.
01:25:18: Ich will sagen, wer alles mitgemacht hat, bei dieser Folge der Redaktionsschluss war am Mittwoch,
01:25:24: den 26. Juni, so 18.30, mitgemacht haben Jana Merkel und Olga Paddlern in der Redaktion,
01:25:31: Executive Producerin Marie Schiller, Audio Producer Lukas Hambacher und Maximilian Frisch,
01:25:37: Sounddesign Hannes Husten, Vermarktung macht für uns die Mitvergnügen
01:25:41: und das Ganze ist eine Produktion der Webmedia.
01:25:44: Und wenn ihr mögt, was wir hier machen, dann lasst uns auch gerne ein Abo da, würde uns sehr freuen.
01:25:49: Danke, tschüss.
01:25:52: [Musik]
01:25:57: [Musik]
01:26:01: [Musik]
01:26:04: Copyright WDR 2021
01:26:06: SWR 2021