Bonus: Interview mit Michael Roth (SPD)

Shownotes

In Frankreich konnte ein Wahlsieg der rechtsnationalen Partei Rassemblement National abgewendet werden: Das linke Bündnis Nouveau Front Populaire gewann am 7. Juli die meisten Sitze im Parlament, gefolgt vom Bündnis um Präsident Macron. Jetzt muss Frankreich eine Regierung bilden - und das ist gar nicht so einfach. Denn das linke Bündnis besteht aus ganz unterschiedlichen Parteien - von Sozialdemokratinnen bis Putin-Verstehern. Wie sollen sie zusammen regieren? Wie viel Kompromiss verträgt eine Demokratie?

Über Kompromissfähigkeit und Haltung spricht Anne Will in dieser Folge mit Michael Roth (SPD), Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag. Roth hat für nächstes Jahr seinen Rücktritt aus der Politik angekündigt und hadert mit der Stimmung in der Politik. Für ihn ist das Ergebnis der französischen Parlamentswahl ein Erfolg mit einem sehr hohen Preis. Denn hier sieht man, laut Michael Roth, wie immer absurdere Bündnisse geschmiedet werden, um Rechtsextreme und Rechtspopulisten von der Macht fernzuhalten. Dadurch würden auch politische Kompromisse immer schwammiger und diffuser - gerade in einer Zeit, in der sich viele Wählerinnen und Wähler Klarheit und einfache Antworten wünschten. Das spüren wir auch in Deutschland, wo die Ampelkoalition ständig auf der Suche nach funktionierenden Kompromissen ist.

Warum Michael Roth trotzdem für den Kompromiss ist, was die Bundesregierung an der Stelle besser machen könnte und warum sich Roth im kommenden Jahr aus der Politik zurückziehen will, das erfahrt ihr in dieser Folge.

Das Interview wurde am Mittwoch, dem 10. Juli 2024, um 10 Uhr aufgezeichnet.

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WICHTIGE QUELLEN:

SPIEGEL: Deutsche Ausschussvorsitzende auf dem Weg in die Ukraine, 12.04.2022

Stern: SPD-Politiker Michael Roth macht Schluss: "Ich spüre eine innere Distanz zum Betrieb", 27.03.2024

Zeit: Wie Frankreich gewählt hat, 09.07.2024

FAZ: Der Sieger geht leer aus, 08.07.2024

ntv: Frankreichs Wahlsieger ist aggressiv antideutsch und antisemitisch, 09.07.2024

Süddeutsche Zeitung: Beide Wahlen bleiben Ausdruck des anhaltenden Rechtsrucks, 08.07.24

Zeit: Der falsche Fetisch, Kommentar von Lenz Jacobsen, 08.07.2024

Zeit: Unzufriedenheit mit Ampelregierung erreicht Höchstwert, 13.06.2024

Deutschlandfunk: Ampelkoalition einigt sich auf Haushaltsentwurf - das sind die Eckpunkte, 05.07.2024

Impressum: Redaktion: Gina Enslin, Marie Steffens Executive Producerin: Marie Schiller Audio Producer: Maximilian Frisch, Lukas Hambach, Patrick Zahn Sounddesign: Hannes Husten Vermarktung: Mit Vergnügen GmbH Eine Produktion der Will Media GmbH

Transkript anzeigen

00:00:00: Politik mit Annel Will

00:00:10: Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Folge unseres Politik-Podcasts.

00:00:25: Wir haben das Interview in voller Länge zu dem Thema, das uns diese Woche beschäftigt hat.

00:00:31: Uns hat der Ausgang der Parlamentswahlen in Frankreich interessiert.

00:00:36: Da haben Partei und Ideologie übergreifende Wahlbündnisse einen durchschlagenden Erfolg der Rechtsnationalen Partei von Marine Le Pen verhindert.

00:00:45: Wir wollen wissen, ob das nun das Vorbild für alle noch anstehenden Wahlen sein kann, in denen rechts-nationale oder rechtspopulistische, rechtsextreme Parteien Erfolgsaussichten haben

00:00:57: und welche Tücken dieser Plan sich mit taktischen Wahlbündnissen dagegenzustellen hat.

00:01:03: Unsere Titelfrage heißt deshalb "Wie viel Kompromiss verträgt die Demokratie?"

00:01:08: Darüber will ich mit einem Mann sprechen, der sich nicht nur rasend gut in der Außenpolitik auskennt, sondern der sich selbst oft auch kompromisslos gezeigt hat,

00:01:19: der damit bei den eigenen Leuten durchaus angeeckt ist, der auf der Strecke viel Kraft gelassen hat und bei der nächsten Bundestagswahl jetzt nicht mehr antreten will.

00:01:30: Ich spreche mit dem Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag mit Michael Roth von der SPD. Hallo Herr Roth.

00:01:37: Hallo Frau Will.

00:01:39: Freue mich, dass Sie da sind und dass Sie sich die Zeit nehmen, finde ich ganz toll und will noch sagen, wir zeichnen am Mittwochmorgen,

00:01:46: dem 10. Juli 2024 auf, um klar zu machen, was wissen wir zum jetzigen Zeitpunkt.

00:01:53: Sind Sie im Prinzip ein Kompromissbereiter, um nicht zu sagen ein kompromissliebender Typ?

00:01:59: Ja, selbstverständlich. Das ist das Lebenselixier der Demokratie. Zumal in Demokratien wie in Deutschland, wo es keine absoluten Mehrheiten, keine absoluten Gewissheiten gibt.

00:02:11: Wir sind es ja gewöhnt, Koalitionen zu schmieden, im Übrigen nicht nur in der Politik, sondern auch in der Familie, in den Freundschaften.

00:02:21: Und ohne die funktioniert es nicht. Aber die Kompromisse stehen am Ende. Am Anfang sollte eine klare Haltung stehen und dann muss man eine Brücke bauen.

00:02:32: Und das wird zunehmend schwieriger, weil Kompromisse diskreditiert werden, weil die Menschen sich in einer immer komplizierter werdenden Welt nach Klarheit sehnen.

00:02:45: Und deswegen haben es Menschen, die für Kompromisse einstehen und die trotzdem klare Haltung zeigen, nicht gerade ganz leicht.

00:02:54: Sie sind seit 1998 im Bundestag. Das ist eine richtig lange Zeit, das sind mal schlappe 26 Jahre. Das muss man erstmal durchhalten.

00:03:03: Und man muss kompromissfähig sein. Sie haben es beschrieben, klar, das ist konstitutiv für unser System, dass man in der Lage ist, ein Kompromiss einzugehen.

00:03:14: Man muss aber vorher die eigene Haltung definiert haben, haben sie jetzt gesagt. Ist es schwieriger geworden, im Laufe dieser zurückliegenden 26 Jahre für die eigene Haltung einzutreten?

00:03:28: Das hängt sehr vom Thema ab und es hängt sehr davon ab, wer sie sind und was sie sind. Wenn sie jemand sind, der Lust hat, in jeden Boxring zu steigen und sich dem Fall zu stellen und nach dem Motto Politik betreibt,

00:03:49: mehr Feind, mehr Ehr. Der wird sich wohlfühlen. Der wird sich wohlfühlen in der Politik, wenn er voll auf Pravall geht.

00:04:01: Ich finde, nicht wenige zählen ja nicht ihre Siege in Anführungszeichen, sondern sie zählen die Feids. Durch die Feids wird man wahrgenommen, durch die Feids bekommt man Aufmerksamkeit.

00:04:16: Wenn man aber dann so ein schmiegsamer Harmonie bolzen ist, wie ich, ist es nicht immer ganz leicht, weil jeder Fight kostet ja auch Kraft.

00:04:29: Und ich habe beispielsweise lernen müssen, nicht mehr in jeden Boxring zu steigen, sondern mich immer zu fragen, lohnt sich das?

00:04:38: Aber es gibt Momente im Leben und ich will jetzt nicht zu pathetisch klingen, da blenden sie das alles aus.

00:04:45: Da haben sie, ich sage das immer so schön, eine Mission. Und meine Mission, die kam relativ spät.

00:04:52: Für mich als Linker aber mal klar, die Internationale, die erkämpft das Menschenrecht.

00:04:57: Und ich war immer sehr sostiert, ein demokratisches Land wurde angegriffen, den Menschen nimmt man ihre Würde, dem Land will man die Existenz rauben, wir müssen helfen und 5000 Helme reichen nicht.

00:05:15: Und da war mir klar, jetzt musst du über den Jordern, jetzt musst du über den breiten Fluss.

00:05:20: Bei mir zu Hause würde man sagen, über die Werra, da bin ich groß geworden, springen.

00:05:24: Und das habe ich versucht, ich bin manchmal auch nass geworden, aber da war mir für mich völlig egal, wie sehen das die anderen, sondern ich habe da meine Aufgabe drin gesehen, meine Mission.

00:05:33: Das kann man aber auch durchaus anders sehen.

00:05:36: Über die Werra gegangen zu sein hieß in ihrem Fall auch, sie sind über die Grenze gegangen, nämlich mit Marie Agner-Strakzimmermann von der FDP und mit Anton Hofreiter sind sie als Erster in die Ukraine gereist im April 2022.

00:05:52: Das ist also kurz nach dem Russland den vollumfänglichen Krieg gegen die Ukraine beginnt.

00:05:59: War das der Moment, wo klar war, okay, jetzt gibt es für ihre, wie Sie es nennen, Mission kein Zurück mehr?

00:06:08: Ich habe mir selbstverständlich die Erlebnisse dort vor Ort in der Ukraine nicht mehr losgelassen und ich wusste, dass es wichtig ist, dass man das tut.

00:06:18: Wenn man in einem Krankenhaus ist, wo man 20-Jährigen begegnet, die ihre Beine, ihre Amme verloren haben, wo die Mütter, wenn man da so reinkommt, gar nicht mehr weinen können, weil sie keine Trennen mehr haben.

00:06:34: Wenn man mit international ausgebildeten, hochklugen Kolleginnen des dortigen Parlaments spricht, die mit einem nicht über die Fairness der internationalen Politik reden, sondern auf einmal Waffensysteme runterrattern,

00:06:52: bestimmt nicht, weil sie die so sexy finden, sondern weil sie Angst um ihr Leben, Angst um das Leben ihrer Kinder, Angst um das Leben ihrer Männer, Angst um das Überleben ihres Landes haben, dann prägt ein das.

00:07:05: Ich will mit Ihnen darüber nachdenken, wie man das nun feinausteriert bekommt, dass eine Demokratie nach Kompromissen verlangt.

00:07:16: Ich will wissen, wie viel Kompromiss verträgt aber diese Demokratie und will auch wissen, wie viel Kompromiss verträgt man selbst als Demokrat ohne die eigenen Überzeugungen, die eigene Mission zu verraten.

00:07:31: Denn in den zurückliegenden zweieinhalb Jahren, seit Russland den vollumänglichen Angriffskrieg gegen die Ukraine begonnen hat, haben Sie sicher, muss man sagen, beschreiben Sie auch gerade durchaus Kompromiss losgezeigt,

00:07:44: sind zum Beispiel ja auch immer wieder in den Konflikt mit Ihrer eigenen Fraktion, Reif Stiegner ist also jemand, der dann verlässlich sofort antwortet, wenn Sie was sagen, sind Sie in diesen Konflikt gegangen,

00:07:57: weil Sie jeweils für mehr militärische Unterstützung für die Ukraine geworben haben als Ihre SPD oder als große Teile der SPD und auch als Bekanzler.

00:08:10: Haben Sie, finden Sie das und sagen es auch für sich selbst gut gemacht?

00:08:17: So gut habe ich es ja nicht gemacht, sonst hätte ich ja nicht auch Schaden erlitten an meiner Seele, an meinem selbst und wäre nicht so müde und erschöpft.

00:08:30: Ich habe es vielleicht auch nicht so gut gemacht, weil einige, die mich durchaus mochten und mit denen ich ein sehr enges vertrauensvolles Verhältnis hatten, schon auch in Distanz gegangen sind.

00:08:42: Also es gibt, um mal diesen fruchtbaren Begriff zu nutzen, Kolliteralschäden. Die habe ich sicherlich auch nicht immer so eingepreist, aber dessen muss man sich bewusst sein.

00:08:54: Ich bin aber überhaupt nicht nachtragend, weil ich ja weiß, dass dieser Krieg uns alle nicht kalt gelassen hat und jeder von uns musste Gewissheiten infrage stellen und musste sich überprüfen.

00:09:09: Jeder geht damit anders um. Ich bin so damit umgegangen, andere wiederum versuchen auch, dass was sie geprägt hat und was sie gerade groß werden lassen, in diese neue Zeit zu übertragen.

00:09:22: Also dann doch Frieden schaffen ohne Waffen, lieber über Diplomatie reden und nicht über militärische Unterstützung gehen.

00:09:29: Ich kann das alles sehr, sehr gut verstehen, aber ich teile es eben nicht.

00:09:33: Oder ich muss es anders sagen, ich teile es nicht mehr.

00:09:36: Sie haben Ende März im Magazin Stern beschrieben, welche Stimmung Ihnen da im vergangenen Jahr in Fraktionssitzungen gelegentlich entgegengeschlagen ist.

00:09:46: Da sagen Sie nochmal, um klarzumachen, woher Sie kommen und wo Sie stehen. Ich bin leidenschaftlicher Sozialdemokrat, wollte ja auch mal Vorsitzender der SPD werden.

00:09:55: Aber im letzten Jahr habe ich gemerkt, dass ich mit unseren Sitzungen immer mehr fremdele, dass mich die Gremien stören, die Stimmung darin.

00:10:04: Wenn die Tür zum Fraktionssaal aufging, hatte ich zuletzt den Eindruck, ich steige in einen Kühlschrank.

00:10:10: Warum schlug Ihnen diese eisige Stimmung entgegen?

00:10:15: Dafür gibt es im Wesentlichen zwei Gründe.

00:10:19: Also der erste Grund liegt sicherlich darin, dass auch diejenigen, die für die Ukraine Unterstützung eintreten, sich dachten, oh mein Gott, der übertreibt es aber jetzt ein bisschen

00:10:31: und macht es vielleicht nicht auch, um Öffentlichkeitswirksam zu verkaufen.

00:10:39: Also gibt es nicht eine Hittenmessage, also gibt es nicht etwas, was gar nicht mit der Sache zu tun hat, sondern vielleicht mit ihm selber.

00:10:51: Ist ja eigentlich nur ein Eitler, Politiker, der jetzt einfach es nochmal genießt, auch in der Kontroverse so wahrgenommen zu werden.

00:11:00: Das war das eine.

00:11:02: Und das andere, was sicherlich auch zu dieser Kühle geführt hat, war, dass ich mir keinen Anorak, keinen Wintermantel angezogen habe

00:11:16: und offensiv auf die eher skeptisch dreinblickenden Kolleginnen und Kollegen zugegangen bin

00:11:22: und gesagt habe, komm, ich weiß, ich spüre das, ihr findet das nicht gut, lasst uns einfach mal reden.

00:11:29: Das haben Sie schon gemacht.

00:11:30: Das habe ich nicht gemacht.

00:11:31: Nicht?

00:11:32: Ich habe den Wintermantel nicht angezogen, ich habe den Anorak nicht angezogen, deswegen war mir auch so kalt, um in dem Bild zu bleiben.

00:11:40: Und der Grund dafür war, es fehlte mir die Kraft.

00:11:46: Ich habe eigentlich nur noch funktioniert und ich habe mich sehr darauf konzentriert, denen das zu sagen, was mir wichtig ist, denen Argumente zu liefern,

00:12:00: die in dem Moment wichtiger waren als die eigene Fraktion.

00:12:04: Das war nämlich unsere Bevölkerung.

00:12:06: Machen wir uns doch nichts vor.

00:12:08: Das, was in der SPD gedacht wird, was dort streitig gestellt wird, das ist die Realität in dieser Gesellschaft.

00:12:15: Deshalb sind ja nicht alle in Jubelstürmer ausgebrochen.

00:12:17: Diese Gesellschaft sehnt sich nach Frieden, die ist eher pazifistisch geprägt, steht militärisch einsetzend, sehr skeptisch gegenüber.

00:12:24: Und ich bin dann zum ersten Mal in meinem Leben, meinem politischen Leben durch diese Talkshows getingelt.

00:12:30: Ich habe angefangen, viele Interviews zu geben.

00:12:33: Ich bin von einer Veranstaltung zur nächsten.

00:12:37: Ich habe mich fast jeder Diskussion gestellt, weil ich sagte, wenn jemand so wie ich jahrelang sagt, Frieden schaffen ohne Waffen.

00:12:44: Und dann erzählt Frieden schaffen mit Waffen.

00:12:47: Dann stehe ich in der Pflicht, das zu erklären.

00:12:50: Aber ich bin dann nicht mehr in die Gremien gegangen oder ich bin nicht mehr so oft in die Gremien gegangen.

00:12:54: Oder ich habe mich dann auch diesen Diskussionen nicht mehr gestellt.

00:12:57: Das kann man mir legitimerweise zum Vorwurf machen,

00:13:00: weil eine Demokratie, eine parlamentarische Demokratie, eine Parteiendemokratie ohne Gremien und ohne Hinterzimmer nicht funktioniert.

00:13:08: Darf man sich dann eine abweichende Haltung oder nennen wir es, um im Thema dieser Folge zu bleiben,

00:13:14: eine Art von Kompromisslosigkeit in der SPD-Fraktion leisten?

00:13:18: Oder darf man das nicht?

00:13:20: Wenn nicht in der SPD, wo sonst?

00:13:25: Die SPD ist als linke Partei, als emanzipatorische Partei, ja eine streitbare Partei.

00:13:32: Geht aber auch zum Teil wüst mit ihren Leuten?

00:13:35: Ja, und dann sagen mir ja auch viele nun ältere Kollegen, die ich sehr schätze, die nicht mehr den Bundestag anhören,

00:13:41: die höchste Ämter in unserer Republik innehaben, haben mir immer gesagt, Michelin, nun stell dich doch nicht so an.

00:13:47: Das weißt du doch, wie das funktioniert.

00:13:49: Das ist doch so.

00:13:51: Nimm das nicht persönlich, es geht nicht um dich, es geht um die Sache, du triggerst die halt.

00:13:55: Das habe ich ja ganz oft gehört.

00:13:58: Aber es hat mich dann doch getriggert, es hat mich dann doch in irgendeiner Weise verletzt.

00:14:05: Weil ich mir dachte, wir streiten doch immer als Sozialdemokratie.

00:14:09: Und warum ist gerade der Streit um Krieg und Frieden, wo niemand eine Blaupause hat?

00:14:13: Niemand einen Masterplan aus der Schublade hervorziehen kann, herausziehen kann.

00:14:18: Warum sind wir da so unerbittlich?

00:14:21: Und ich kann es mir nur so erklären, weil halt dieses, dieses, dieses, diese Friedensfrase, ich sage es mal sehr hart,

00:14:29: diese Friedensfrase ohne zu fragen, was ist denn eigentlich Frieden?

00:14:32: Und was ist denn zum Beispiel für mich ein gerechter Frieden?

00:14:35: Diese Friedensfrase, die ist dann so wie ein Popanz für einem hergetragen worden.

00:14:39: Und wenn es ums Gewinnen und Verlieren geht, muss ich mich gar nicht rechtfertigen.

00:14:44: Mal ganz offen gesagt stehe ich am Ende von zwei harten Jahren den Entscheidungen des Kanzlers, den Entscheidungen der Bundesregierung,

00:14:52: viel näher, weil es ist mit Ausnahme des Tauros eigentlich alles geliefert worden, was ich vorgeschlagen, angeregt, ja auch gefordert habe.

00:15:02: Und diejenigen müssen sich eigentlich mal fragen, die immer Nein gesagt haben und immer vor der Eskalation gewarnt haben

00:15:07: und immer vor ein Putin gewarnt haben und immer den Kanzler unterstützt haben.

00:15:10: Die müssen eigentlich mal erklären, warum sie auf einem falschen Boot sitzen.

00:15:14: Denn sie haben ja offenkundig den Kanzler falsch eingeschätzt.

00:15:18: Er hat es ja dann doch gemacht.

00:15:20: Ich such noch nach dem Maß an Kompromissbereitschaft und Kompromisslosigkeit,

00:15:26: dass man die, man als Demokrat haben kann, ohne einen, ich nehme Ihr Wort, auf Kollateralschaden zu erleiden.

00:15:35: Kann man das benennen, beziffern, irgendwie einordnen.

00:15:40: Und hat es sich verändert?

00:15:41: Das hatte ich ja am Anfang schon mal gefragt, weil sie ja nun tatsächlich auf viele, viele Jahre zurückblicken können.

00:15:47: Ja, es hat sich insofern verändert, weil sich unsere Gesellschaft dramatisch verändert hat.

00:15:54: Wir leben nicht mehr in der Analogen, wir leben in der digitalen Welt.

00:16:00: Politikerinnen und Politiker sind mehr oder weniger gezwungen oder fühlen sich gezwungen oder fühlen sich verpflichtet.

00:16:07: 24/7 ihren Senf abzugeben, da kann auch schon mal was schiefgehen.

00:16:12: Und es gibt in unserem Land eher die Kultur des Rechthaben-Wollens und nicht des Rechtbekommens.

00:16:19: Es gibt keine Bereitschaft mehr, den Argumenten der anderen zu lauschen.

00:16:24: Und es gibt die Kultur des Verzeihens und der Nachsicht nicht mehr.

00:16:28: Nicht mehr?

00:16:29: Nein. Also ich finde, wie sich einige Menschen in den sozialen Medien,

00:16:35: oder man müsste in diesen Falle sagen, in den asozialen Medien äußern, das zieht mir die Schuhe aus.

00:16:42: Und ich bin nun wirklich nicht in bürgerlich kultivierten Verhältnissen groß geworden.

00:16:48: Ich kenne die Straße.

00:16:50: Und ich kenne das Proletariat aus dem Kommrich nämlich.

00:16:53: Und ich bin auch deutliche Worte gewohnt und ich bin auch Schläge gewohnt.

00:16:57: Aber was da verbal ausgeteilt wird, das macht mich ehrlich gesagt fassungslos.

00:17:04: Bis hin, dass man Leuten jegliche Legitimation abspricht, jegliche Wurde abspricht

00:17:09: und dass man auch vor verbaler Gewalt nicht zurückschreckt.

00:17:13: Bis dahin, dass man immer wieder ankündigt, man würde an der nächsten Baumfahl

00:17:18: oder nicht an dem nächsten Laternenmast aufgehängt.

00:17:22: Oder man müsste aufpassen, demnächst hätte man irgendwie die Waffen gegen sich gerichtet,

00:17:27: die man ständig für die Ukraine fordert.

00:17:29: Das ist der neue Ton.

00:17:31: Und es gibt nicht mehr einfach die Kultur zu sagen, ja, man hat im Überschwang mal was gesagt

00:17:36: oder lass uns doch mal runterkommen, runterkommen, cool bleiben, respektvoll bleiben.

00:17:42: Scheint immer mehr zu einer Ausnahme zu werden.

00:17:44: Wie viel Kompromiss verträgt die Demokratie?

00:17:47: Darüber will ich mit Ihnen in dieser Folge nachdenken.

00:17:49: Und anders dafür war uns nicht zuletzt auch die Parlamentswahl in Frankreich insgesamt.

00:17:55: Natürlich die Frage, wie sehr stehen Demokratien im Moment unter Beschuss durch die Feinde der Demokratie,

00:18:02: die es auch und inzwischen in großer Zahl gerne mal auch als stärkste Kraft in Parlamente schaffen.

00:18:09: Ist ja jetzt ein paar Tage her, dass es die Stichwahl in Frankreich gab.

00:18:15: Das war der zweite Durchgang der vorgezogenen Parlamentswahl,

00:18:18: stand zu befürchten, dass der rechtsnationale Rasson-Blemont National, die Partei von Marine Le Pen,

00:18:25: wieder wie schon bei der Europawahl und beim ersten Durchgang der Parlamentswahl stärkste Kraft werden würde,

00:18:30: vielleicht sogar die absolute Mehrheit holen könnte.

00:18:33: Das war also die Ausgangslage.

00:18:35: Das haben aber taktische Wahlbündnisse nun verhindert.

00:18:40: Die sogenannte und eigens dafür geschmiedete neue Volksfront.

00:18:44: Es ist ein Bündnis aus Linkspopulisten, Sozialisten, Grünen und Kommunisten.

00:18:49: Die ist auf Platz 1 gelandet.

00:18:52: Das Mittebündnis rund um Macrons Partei Renaissance auf dem zweiten Platz

00:18:57: und Le Pen's Partei kommt nur auf Platz 3.

00:19:02: Große Erleichterung aller Orten, das Ganze sei ein großer Erfolg.

00:19:06: Ist es einer?

00:19:08: Der vermeintliche Erfolg hat einen sehr hohen Preis.

00:19:14: Und das erleben wir ja auch in Deutschland, nicht nur in Ostdeutschland.

00:19:20: Sie müssen immer breitere, ich könnte auch sagen absurdere Bündnisse schmieden,

00:19:28: um die Rechtsnationalisten, die Populisten, die Rechtsextremen von der Macht abzuhalten und sie abzuwehren.

00:19:37: Und da müssen auf einmal Menschen zusammenarbeiten, wo man sich fragt, wie soll das bitte schön funktionieren.

00:19:46: Weil wir ja heute über Kompromisse reden, diesen Widerspruch würde ich gerne nochmal aufzeigen wollen.

00:19:52: Also in dieser komplizierter gewordenen Welt, ich will das jetzt mal ganz vergröbert sagen,

00:19:57: gibt es bei vielen den Wunsch nach einfachen Antworten.

00:20:02: Und diese einfachen Antworten liefern ja gerade die Nationalisten und die Populisten.

00:20:07: Sei es bei Migration, sei es beim Klimawandel, sei es in Sachen Europa, sei es bei der Beendigung dieses Kriegs gegen die Ukraine.

00:20:15: Die haben immer einfache Antworten parat, die sehr kompromisslos daherkommen.

00:20:22: Und eigentlich müssten jetzt die Demokratinnen und Demokraten versuchen, vielleicht nicht zu vereinfachen, aber ihre Botschaften verständlicher zu machen.

00:20:32: Und dann kommt der Zwang dazu, noch Kompromisse bereiter zu werden.

00:20:37: Also der Verdruss am Kompromiss führt dazu, dass die Kompromisse noch schwammiger, noch diffuser, noch neboliöser werden.

00:20:49: Wir stecken im Prinzip in so einem Art Teufelskreislauf. Es wird immer schlimmer.

00:20:55: Und das ist der Punkt, den wir jetzt auch in Frankreich zu beklagen haben.

00:21:01: Ich war etwas überrascht, als ich diese Euphorie spürte.

00:21:07: Am Sonntagabend, die Rechtsextremen wurden von der Macht ferngehalten und die Linken haben obsiegt.

00:21:15: Und ich dachte, naja, erst mal muss man sich die Relativen zahlen.

00:21:19: 36 Prozent für die Rechtsextremisten.

00:21:23: 36 Prozent. Sie liegen mit weitem Abstand relativ gesehen vorne.

00:21:29: Aber es gibt dort ein Mehrheitswahlrecht und es gibt diese Bündnisse.

00:21:32: Und jetzt bin ich bei meiner eigenen Familie, nämlich bei den Linken.

00:21:36: Und die Sozialisten und die Grünen, die ich da auch sehr schätze, sind ein Bündnis mit dem Teufel eingegangen.

00:21:44: Nämlich mit einem Nationalpopulisten, der sich links schimpft, aber mit meinem Verständnis von links sein.

00:21:51: Emazipation, Freiheit, nichts zu tun hat.

00:21:54: Er ist aus meiner Sicht ein Terrorverharmloser. Er ist ein Antisemit.

00:21:58: Er ist ein Kuschler mit den chinesischen und russischen autoritären Regimen.

00:22:06: Er will der Ukraine nicht helfen, weil das nicht in seinen Kram passt.

00:22:10: Wir kennen eigentlich alles von den Wagenknechten und Wagenknechten.

00:22:14: Und wir kennen es von der AfD in Deutschland, aber es ist eben links, weil er sozialpolitisch natürlich vermeintlich links ist.

00:22:21: Also höhere Steuern für die Reichen, mehr Rente, höherer Mindestlohn.

00:22:26: Dagegen will ich mich gar nicht aussprechen, aber um überhaupt zu überleben als Linker.

00:22:31: Sind die vernünftigen Linken, die emanzipatorischen Linken, die proeuropäischen Linken, die es ja erfreulicherweise gibt, mit diesem Teufel ein Bündnis eingegangen?

00:22:40: Jean-Luc Mélenchon heißt der Mann.

00:22:42: Genau, so heißt er.

00:22:44: Da muss man sagen genau hingeschaut. Ich habe mich am Sonntagabend übrigens auch gewundert.

00:22:50: Ich habe bei Ex mitgelesen gedacht, ui, wer freut sich jetzt hier alles aus vollem Hals.

00:22:55: Und war nicht sicher, ob ich irgendwas übersehe.

00:22:59: Aber jetzt können wir mal genauer hinschauen.

00:23:02: Die meisten Sitz in diesem linken Bündnis kriegen die besagten Linkspopulisten, die Linksausenparteiler France en Soumise, Umgen, Luc Mélenchon.

00:23:11: Das ist, Sie haben es gesagt, ein hochproblematischer Typ, der durch antisemitische, anti-israelische, anti-deutsche Haltungen echt unangenehm auffällt.

00:23:22: Der sich dann auch gleich am Wahlabend zum kommenden Premierminister ausruft, dann aber vom Chef der Sozialisten Raphael Glücksmann.

00:23:30: Das ist, glaube ich, die Entsprechung zu den Sozialdemokraten kann man ungefähr so suchen.

00:23:34: Gleich mal zurückgefiffen wird. Sprich, nicht mal darauf kann sich dieses Bündnis noch einigen.

00:23:40: Aber nochmal genauer hingeschaut. Dieses Bündnis ja gewinnt den ersten Platz.

00:23:47: Alle anderen Parteien, also diese ganz unterschiedlichen linken Parteien, die Parteien der Mitte, zu denen auch Macron's Leute gehören,

00:23:55: schaffen das aber nur, indem sie diese taktischen Wahlbündnisse bilden.

00:24:00: Der Rassemblement national aber tritt alleine an gegen den ganzen Rest und überzeugt so viele Wähler*innen wie keine der anderen Parteien, wenn man genau hinschaut.

00:24:11: Der R&N kommt in der Stichwahl am Sonntag auf 1,7 Millionen Stimmen mehr als das Linksbündnis.

00:24:18: So, was ist das denn jetzt eigentlich? Kann man sagen retten taktische Bündnisse,

00:24:23: fußend auf wachhaltsigen Zusammenschlüssen und Kompromissen, wirklich die Demokratie vor ihren rechtsextremen Feinen?

00:24:31: Oder ist der von ihnen beschriebene Preis zu hoch?

00:24:35: Der Preis ist nicht zu hoch, aber er ist sehr, sehr hoch und es kann auch schief gehen.

00:24:40: Und ich gebe Ihnen auch erstmal recht, man hat die Rechtsnationalisten, auch die Demokratieverechter erst einmal nur gestoppt, aber das ist kein dauerhafter Stopp.

00:24:51: Und wir erleben ja in Frankreich eine doppelte Krise. Also wir haben einmal, und das ist keine Französisch, das ist eine europäische, eine globale Krise,

00:24:59: die sogenannte Mitte wird schwächer und die Ränder werden immer stärker und das hat in Frankreich maßgeblich Macron selber zu verantworten,

00:25:08: der ja mal mit dem Anspruch angetreten ist, das machen ja viele, die finden das auch ganz schick.

00:25:13: Wir überwinden links und rechts, wir machen nur noch Mitte.

00:25:17: Ja, von der Mitte, die er stärken wollte, ist ja nicht mehr viel übrig geblieben.

00:25:21: Und das, was wir jetzt erleben, ist der Versuch und das ist die zweite Krise, nämlich die Krise der Verfassung der 5. Republik, diese Verfassung zu retten.

00:25:28: Denn diese Verfassung ist eigentlich gemacht worden, um immer auf Nummer sicherzugeben. Stets stabile Mehrheiten, Mehrheitswahrricht.

00:25:35: Also am Ende, the winner takes it all.

00:25:37: Und weil das Parteiensystem mal zu zerklüftet ist und weil es diese Stabilität nicht mehr gibt, hat man diese Zweckbündnisse schaffen müssen.

00:25:46: Teilweise mit den Absurdenzusammenschlüssen, von denen ich hoffe, dass sie keinen Bestand haben werden.

00:25:52: Naja, das ist jetzt das Ding. Also keine dieser Bündnisse hat die absolute Mehrheit.

00:25:57: Die bräuchte man aber, um jetzt mit einiger Berechtigung hinzugehen, zu sagen, wir stellen den Premierminister, der Präsident ist dann laut Verfassung verpflichtet, den zu benennen, zu berufen,

00:26:09: ist aber gehalten, denjenigen auf den Schild zu heben, der eben nun mal die stärkste Kraft oder die Mehrheit hinter sich hat.

00:26:17: Macron spielt jetzt im Moment, glaube ich, ein bisschen auf Zeit.

00:26:20: Denn da keines der Parteienbündnisse eine absolute Mehrheit hat, und ich habe schon angetippt, auch das Linksbündnis noch nicht sicher ist, wen sie da jetzt eigentlich nach vorne schicken, hat er am Wahlabend mitgeteilt, er wolle abwarten.

00:26:34: Wie sich das neue Parlament strukturiert? Also wie lange kann man denn so was abwarten, ohne dass man sagt, okay, hier ist ein riesiges Land wie Frankreich sehr bedeutend, nicht zuletzt auch in der Europäischen Union.

00:26:49: Leistet sich Instabilität.

00:26:52: Haben wir uns das nicht auch geleistet? Die Wahlen finden also 2013, als die nächste, als Sigmar Gabriel die nächste große Koalition schmiedete.

00:27:03: Ende September waren die Wahlen kurz vor Weihnachten, Monate später hatten wir eine Regierung, ich weiß es deshalb, weil ich damals zum Staatsminister anhand wurde.

00:27:12: Am 17. Dezember, kurz vor Heiligabend, waren wir dann endlich fertig, nur weil die SPD darauf bestand, einen Mitgliederentscheid oder einen Mitgliederbegehren herbeizuführen.

00:27:27: Also man hat die Mitglieder gefragt, das dauerte Wochen. Die ganze Republik musste warten, Europa musste warten, weil wir eine Koalition schmieden wollten, die niemand richtig gut fand.

00:27:37: Die Ampel hat auch ziemlich lange gedauert. Und was man nochmal unseren, ja, dem deutschen System anhängigen Hörerinnen und Hörern vielleicht nochmal erklären muss, das französische System kett keine Koalition.

00:27:52: Das müssen die jetzt lernen. Und da sind wir auch nicht gerade Rollmodel. Wenn ich mir überlege, wie wir derzeit streiten, das sind drei Parteien.

00:28:00: Und ich bin ein totaler Fan der Ampel gewesen und ich habe das immer als Zukunftsmodell angesehen. Jetzt sehe ich, es funktioniert auch nicht richtig.

00:28:09: Und da müssen jetzt ganz viele Parteien zusammenarbeiten, die sich nicht grün sind. Am Ende hoffe ich aber, deswegen bin ich für die Überwindung dieses Volksfrontbündnisses, dass sich die proeuropäischen Kräfte zusammen schließen.

00:28:20: Was heißt Überwindung? Dass die sich auflösen, dass die sich Klüger zusammenschließen?

00:28:24: Es ist ja nun Wahlbündnis gewesen. Und jetzt im Parlament sitzen sie als Sozialisten, als Kommunisten, als Linkspopulisten, als Kommunisten, als Grüne.

00:28:37: Und da sitzen sie dann auch als Liberale und als Rechtsliberale, als Dingsliberale, als Rechtskonservative. Also die Klabüster sind sicher wieder auseinander.

00:28:49: Und meine Hoffnung, sie mag naiv sein, ist, dass sich die Kräfte zusammenschließen, die proeuropäisch-demokratisch sind.

00:28:58: Aber ich habe es mal ausgerechnet, es wäre möglich ohne diese Mélenchon-Truppe. Aber dann müssten sich wirklich alle zusammenschlüssen.

00:29:09: Die ganze Makron-Truppe, die Sozialisten, die Grünen und die gemäßigten Konservativen, dann könnte man auf die absolute Mehrheit kommen.

00:29:19: Richtig. Ob das am Ende hält, das weiß ich nicht.

00:29:23: Was kommt es zu einem weiteren Problem? Wir Deutsche kennen das. Auflösung vom Parlament

00:29:28: ist nicht so eine einfache Sache und jetzt geht es auch nicht mehr in Frankreich. Ein

00:29:32: Jahr müssen die durchhalten, weil jetzt ein Jahr lang darf es keine Neuwahlen geben. Da

00:29:37: kann ein Präsident Macron tuten und blasen, was er will. Er muss jetzt ein Jahr lang mit

00:29:42: diesen Parlaments zusammenarbeiten.

00:29:44: Ich habe nach der Instabilität gefragt. Eventuell ist es ja auch ein Fetisch. Darüber hat Lenz

00:29:50: Jacobsen in der Zeit einen interessanten Essay geschrieben, an dem man zu Unrecht festhält.

00:29:56: Vielleicht ist es ja auch egal. Man sollte sich einfach die Zeit nehmen, um ein solches

00:30:00: Bündnis eventuell zu bilden. Es muss ja dann, wie Sie gerade ausgeführt haben, dieses eine

00:30:06: Jahr lang halten. Es wird aber ehrlich gesagt für unwahrscheinlich gehalten, dass es gelingen

00:30:10: kann, oder?

00:30:11: Zeit ist das Richtige und wir nehmen uns ja keine Zeit mehr. Also wir wollen ja, dass

00:30:16: es ganz, ganz schnell geht. Aber in Deutschland geht ja die Gründlichkeit auch vor Schnelligkeit.

00:30:22: Und diese Zeit müssen wir jetzt diesen System, was keine Erfahrung hat mit Koalitionen geben.

00:30:28: Und wo ich ganz bei Lenz bin, das sehe ich nämlich ähnlich, ist es wir in den vergangenen

00:30:36: Jahren, vor allem auch in Deutschland, dem stabilitätsobsessiven Deutschland keine Wagnisse

00:30:43: und keine Experimente eingegangen sind. Also andere Länder gehen ja mit den schwankenden

00:30:49: Verhältnissen und mit der immer stärkeren Polarisierung und dem Abschmelzen der Mitte

00:30:54: etwas entspannter um, indem sie zum Beispiel sowas wie Minderheitenregierung haben. Also

00:30:59: das funktioniert ja in Dänemark, in den nordischen Ländern seit Jahrzehnten. In Deutschland

00:31:05: war das immer ein No-Go, weil wir gesagt haben, ein so wichtiges Land muss stabil regiert sein,

00:31:10: es muss immer eine breite Mehrheit geben. Aber ja, die Wählerinnen und Wähler wählen

00:31:14: aber nicht mehr so, dass das alles so einfach ist. Und am Ende muss man vielleicht auch

00:31:18: mal den Mut mitbringen, etwas Neues zu wagen. Und wir werden das ja jetzt im Herbst auch

00:31:23: in Ostdeutschland erleben, wenn die Wahlen anstehen. Dann wird es vermutlich Konstellationen

00:31:29: geben, wo sich einige Parteien, vor allem die CDU/CSU, fragen müssen, wie kriegen wir

00:31:35: das eigentlich mit unseren Beschlüssen zusammen und wie kriegen wir das mit unseren, mit unserer

00:31:40: Tradition und mit unserer eigenen Haltung zusammen. Und dann kann es sein, dass wir einzelnen

00:31:48: Parteien zu viel zu muten und sie befürchten, ihre Identität zu verlieren.

00:31:52: Sie haben Mut gesagt, es gehörte Mut dazu. Man kann es ja auch leichtsinn nennen. Wenn

00:31:59: man sich anschaut, was Herr Macron gemacht hat, weiß nicht, wie sie es finden. Der geht

00:32:03: am Amt der Europawahl hin und sagt, komm, vorgezogene Neuwahlen, wilde oder vorgezogene

00:32:10: Parlamentswahlen. Er selbst stellt sich ja nicht zur Wahl. Er will damit Klarheit erreichen

00:32:16: und hat jetzt das glatte Gegenteil. War das mutig oder war das leichtsinnig?

00:32:23: Das war sicherlich verantwortungslos und auch ein bisschen billig, weil das haben sie ja

00:32:28: gesagt, Frau Will. Er hat ja selber erst mal keinen Preis gezahlt. Den wird er noch zahlen

00:32:33: mit einer faktischen Entmachtung. Aber er selber bleibt ja Präsident. Aber er hat, ich

00:32:39: sage es mir, sehr hart. Und das ist ein Grundproblem. Ich glaube, er hat auch auf seine eigenen

00:32:43: Leute geschissen. Weil er ist ein charismatischer Typ der Posterboy von ganz, ganz vielen überzeugten

00:32:52: Europäern und Europäern. Und ich habe mich manchmal auch dabei erwischt, dass ich so

00:32:56: ein bisschen mit ihm geflortet habe und dachte, wo ein Hetz da auch gerne. Also es ist ja nicht

00:33:01: so, dass er nicht auch Bewunderung bei mir und bei vielen anderen hervorgerufen hat.

00:33:05: Aber er genügt sich selbst. Er hat nie eine richtige stabile Partei gegründet. Er hat

00:33:12: es einfach die anderen machen lassen und er war sich selbst genug. Und das recht sich

00:33:16: jetzt. Und deswegen stürzt er auch so tief. Aber wir haben es ja auch mal so gemacht.

00:33:23: Schröder hat damals mit Müntefering, als wir die Wahl in Nordrhein-Westfalen verloren

00:33:28: haben, einfach gesagt, jetzt gibt es Neuwahlen. Ich gehörte zu den wenigen damals in der

00:33:35: DVD-Fraktion, die sich der Anregung des eigenen Kanzlers verweigerten, ihm das Misstrauen

00:33:41: aus taktischen Gründen auszusprechen. Ich habe ihm damals das Vertrauen ausgesprochen,

00:33:46: weil ich es für verantwortungslos hielt. Ja, das war ein krasser Moment. Also haben wir

00:33:53: ja auch schon mal so gemacht. Und das in Deutschland. Da wurde er auch abgefeiert.

00:33:58: Natürlich wurde er auch von denen abgefeiert. Die sagen, endlich verschwindet der Typ. Wir

00:34:01: wollen jemand anderen haben. Aber ich fand es nicht gut. Ja, war ein wilder Move, der

00:34:08: letztlich auch nicht gut gegangen ist. Ganz knapp hat dann Frau Merkel gewonnen und wurde

00:34:13: Kanzlerin in Folge. Auch wenn Gerhard Schröder das am Wahlabend noch nicht wahr haben wollte.

00:34:20: Daran erinnern wir uns alles. Jetzt auf die deutschen Verhältnisse geguckt. Nach der

00:34:24: Europawahl hat ihr Kanzler, der auch unser Kanzler ist. Wir sind aber nicht Mitglieder.

00:34:28: Wahrscheinlich nicht alle. Ich zumindest nicht. Hat Olaf Scholz genau gar nichts gemacht.

00:34:34: Am Abend der Europawahl. Wie wohl auch die für ihn oder für die SPD ein desaströses

00:34:41: Ergebnis ergab. Das konnte und musste verstanden werden, als dass er überhaupt nicht versteht,

00:34:49: was die Wählerinnen und Wähler und auch die ehemaligen Anhängerinnen und Anhänger der

00:34:54: SPD ihm und seiner Politik haben sagen wollen oder nicht? Kann man machen, so wie er und

00:35:01: wie das die SPD ja entschieden hat. Also ihn auf alle Plakate zu setzen. In überall drauf

00:35:08: zu setzen. Gleichwohl es ja eine Europawahl war, wo wir eine, finde ich, nicht so richtig

00:35:15: gewürdigte Spitzenkandidatin hatten, die aber überhaupt nichts wirken konnte, weil es ging

00:35:20: nur noch um den Kanzler. Und dann bin ich ganz bei ihm, wenn man so eine Strategie fährt und die

00:35:25: scheitert grandios oder kläglich. Das ist eine schmerzhafte, furchtbare Niederlage gewesen für

00:35:32: die SPD. Historisch, dramatisch. Dann kann man nicht einfach im kolischen Sinne erklären,

00:35:38: die Karawane zieht weiter. Also ich hätte mir da auch etwas mehr Selbstreflexion, etwas mehr

00:35:48: innehalten gewünscht. Aber dann bin ich dann auch wieder bei der Stabilitätsobsession in Deutschland

00:35:56: bloß nichts verändern. Also jetzt einfach mal so weitermachen. Aber ich befürchte, dass die

00:36:04: Bürgerinnen und Bürger sich in ihren Vorurteilen bestätigt fühlen nach dem Motto, wir können

00:36:09: wählen, was wir wollen, die hören uns einfach nicht zu. Insofern hätte ich mir auch so einen Moment

00:36:16: nicht um falsch verstanden werden. Ich hätte nicht erwartet und das wäre auch ein Fehler gewesen,

00:36:23: wenn jetzt Scholz vor die Presse tritt und sagt, ich will auch Neuwahlen. Darum geht es nicht. Aber

00:36:29: so einen Moment zu sagen, wir sind in der Scheißsituation, da lief vieles nicht gut und das

00:36:36: muss jetzt besser werden. Ich will jetzt gar nicht sagen, irgendwie ein Reshufflement, also ein

00:36:41: bisschen was in der Regierung verändern. Aber es fehlte dieses Momentum. Dass Bürgerinnen und

00:36:48: Bürger sagen, ja, die haben jetzt irgendwie verstanden, es muss anders und es muss besser

00:36:52: werden. Ganz genau. Also denn diese Regierung sieht sich ja mit schrecklichen vertrauenswerten

00:37:01: konfrontiert. Im Juni hat das Politbarometer herausgefunden, dass glaube 71 Prozent der

00:37:08: Befragten sagen, sie seien mit der Arbeit der Bundesregierung unzufrieden. Das ist ein neuer

00:37:13: Höchststand. Demokratien leben aber ja vom Vertrauen, dass ihre Bevölkerung in sie setzt und eben auch

00:37:22: in ihre Regierungen setzt. Eine Demokratie ist voraussetzungsvoll, sonst funktioniert sie nicht.

00:37:27: Scholz regiert auch in einem Bündnis, um darauf zurückzukommen, dass komisch ist. Es überspringt

00:37:34: Grenzen, die man zwar in Landesparlamenten schon mal gesehen hat. Schleswig-Holstein,

00:37:40: Rheinland-Pfalz haben das als Beispiel schon gekannt. Im Bund kannten wir es nicht. Das stärkt ja jetzt

00:37:49: ausweislich der Umfragen und der Ergebnisse auch der Europawahl und für die Landtagswahlen in

00:37:55: Ostdeutschland lässt sich nichts Gutes erwarten, die Ränder. Die AfD ist bei der Europawahl zweitstärkste

00:38:01: Kraft geworden. Das Bündnis Sarawagenknecht kommt aus dem Stand auf mehr als 6 Prozent. Also

00:38:07: nochmal gefragt, schaden solche Bündnisse und Zweckgemeinschaften, wie ist die Ampel im Bund,

00:38:12: ist langfristig unserem System? Das wäre ja schlimm, wenn sie uns schadeten. Es wird einfach

00:38:18: nicht gut gemacht. Rheinland-Pfalz ist angesprochen worden. Die haben das ja gut hinbekommen. Und

00:38:25: ich bin ja ein überzeugter Ampelianer, weil ich mir, weil ich erhoffte, dass das durchaus in Teilen

00:38:33: nicht immer eine ganz einfache Form der Zusammenarbeit ist, aber das kann funktionieren. Und

00:38:39: wir sind ja auch selber ein bisschen dran schulden. Jetzt bin ich wieder bei unserem Eingangstil.

00:38:43: Was sind selber ein bisschen? Sie stellen ja den Kanzler. Wir sind selber ein bisschen daran

00:38:47: schuld, damit meine ich die gesamte Koalition, weil es uns nicht gelungen ist, die Kompromisse als

00:38:54: etwas Starkes darzustellen. Wir haben das Spiel betrieben und das ist erst mal auch legitim,

00:39:00: dass am Anfang alle drei Parteien sagen, wie sie es gerne hätten. Und dann kam das Gequäle,

00:39:05: was aber einer Demokratie zu eigen ist. Man musste sich zusammensetzen und teilweise nicht nur

00:39:11: tagelang, sondern auch nächtelang. Das hatte ich schon ganz schweren Fehler. Und dann hat man

00:39:16: einen Kompromiss geschmiedet. Kaum bei der Kompromiss geschmiedet worden, ist er wieder in Frage

00:39:20: gestellt worden. Mal von den Grünen, mal von der SPD, mal von der FDP. So machen wir ja die

00:39:25: Kompromisse selber kaputt. Also eine Regierung, die derart auf Kompromissfähigkeit und Bereitschaft

00:39:32: angewiesen ist, muss auch den Arsch in der Hose haben, die Kompromisse zu vertreten. Ich glaube,

00:39:38: das ist etwas, was wir uns alle in der Koalition vorzuwerfen haben. Und auch dieses Bild hat erst

00:39:44: einen eigentlich gar nicht mal so schwachen Kanzler, schwach aussehen lassen. Denn der Kanzler

00:39:50: hat Dinge getan in seinen kurzen Jahren, die Frau Merkel nie gemacht hat. Also Frau Merkel hat in

00:39:55: 16 Jahren nie einen Minister angeschrieben und ihm sozusagen die Flinte auf die Brust gesetzt und

00:40:01: erklärt also, hier, ich weise dich an etwas zu tun, weil ich die Richtlinienkompetenz habe. Frau

00:40:07: Merkel hat die Richtlinienkompetenz in 16 Jahren nie angewendet. Scholz in zweieinhalb Jahren hingegen.

00:40:12: Okay, aber wollen Sie uns damit jetzt sagen, dass Olaf Scholz die Regierung gut führt?

00:40:18: Wenn er sie gut führen würde, dann stünden wir ja nicht bei 14-15 Prozent. Das ist ja leider so.

00:40:32: Also ich kann ja jetzt nichts sagen, er macht das super. Nur die Leute sind so doof, es zu verstehen.

00:40:37: Ich finde, manchmal geht man mit ihm unfair um, weil diese Vorstellung, das geht mir echt auf

00:40:43: den Zeiger. Also ich kenne ja noch die Zeiten, da wurde man angeschrien und da wollte man in den

00:40:47: Senkel gestellt. Sogar der eher etwas bollerkopfige Struck als Fraktionsvorsitzende hat damals ganz

00:40:53: offen gesagt, Leute, ich kann doch die Fraktion der SPD nicht mehr so führen wie Herbert Wehner,

00:40:59: der die Leute dann zu sich gerufen und angeschrien und in den Senkel gestellt hat. Die Zeiten,

00:41:04: das kann auch ein Scholz nicht mehr. Also ich finde, wir machen uns manchmal ein bisschen einfach,

00:41:08: aber ich kann mich jetzt nicht hierhin stellen und kann sagen, alles ist gut. Aber, aber, aber,

00:41:14: aber, aber. Ich weiß natürlich, dass alle sagen, Ampel ist kacke. Aber jetzt überlegen wir uns mal.

00:41:19: Die Ampel hat miserable oder die Ampel hat miserable Werte, die drei Ampelparteien haben

00:41:26: miserable Werte. Aber jetzt bin ich bei dem Aber. Auch die stärkste, etablierteste, erfahrenste,

00:41:34: größte Oppositionspartei kommt ja nur auf Schlappe 30 Prozent.

00:41:39: Die hätten sie gerne, aber es ist eventuell natürlich nicht genug, um daraus eine eigene

00:41:46: Regierung zu tun. Ja, das macht es ja so dramatisch. Also es ist ja jetzt auch nicht so, dass alle,

00:41:51: die mit der Ampel unzufrieden sind, zur Mitte-Rechts-Partei, zur konservativ hochgeschätzten

00:41:58: CDU/CSU gehen, sondern die sagen, nö, machen wir auch nicht. Also das wollen wir auch nicht,

00:42:03: sondern wir machen dann irgendwie doch AfD oder BSW oder wie sie alle heißen mögen. Und das ist

00:42:08: das eigentlich dramatische. Denn in Europa ist die Zeit vorbei und leider vermutlich auch in den

00:42:13: USA, wo es um einen Kampf geht zwischen Mitte-Links und Mitte-Rechts, sondern es geht in der Regel nur

00:42:19: noch um einen Kampf zwischen der Mitte, entweder Mitte-Links oder Mitte-Rechts und den Nationalisten

00:42:24: und Populisten. Und das ist die dramatische Zeitenwende, auf die wir noch keine Antwort gefunden haben.

00:42:29: Danach suche ich ja mit Ihnen, wie gibt man da eine kluge Antwort? Wie viel Kompromisse kann man eingehen?

00:42:36: Wie viel Bündnisse kann man bilden? Wie sehr kann man sich in diese reine Abwehrhaltung begeben

00:42:43: gegen rechts, gegen links, extreme Parteien? Wie macht man das denn klug? Oder gibt es da keinen Weg?

00:42:51: Alle daddeln irgendwie hin, probieren irgendwas aus, gucken sich das in Nachbarstaaten ab,

00:42:56: verwerfen, was sich nicht übertragen lässt aufs eigene System. Wie geht's?

00:43:00: Wir probieren ja zu wenig aus. Also ich sehe die deutsche Demokratie nur noch begrenzt als ein Labor,

00:43:07: wo man ausprobiert. Das hat es ja immer gegeben.

00:43:11: Aber sind die anstehenden Landtagswahlen nicht eine Art von Labor, wo man jetzt sagt, okay,

00:43:16: lass mal überlegen, CDU könnte aber mit dem Bündnis Sarah Wagenknecht zusammengehen,

00:43:20: wie wohl denklogisch das nicht passt zu deren Unvereinbarkeitsbeschluss gegenüber der

00:43:26: Linkspartei und gegenüber der AfD. Aber nehmen wir mal die Linkspartei, da war Frau Wagenknecht

00:43:31: bis eben noch drin. Wenn sie mit dem BSW antritt, dann hat man keinen Unvereinbarkeitsbeschluss mehr.

00:43:36: Da wird ja was probiert.

00:43:38: Ja, es wird gar nichts probiert. Also ich komme ja nun aus einem Land, wo ein Ministerpräsident

00:43:45: damals Birner, der immer gesagt hat, ich will ja noch morgen sehen, Spiegel schauen, eine Koalition

00:43:50: mit den Grünen gehe ich nie ein, er hat es dann doch gemacht. Ich gehöre zu denjenigen, die

00:43:55: Andrea Y-Lantige raten haben, eine rot-grüne Minderheitsregierung zu machen. Sie hat dafür

00:43:59: einen persönlichen Rundpreis gezahlt und wir sind immer noch, wir sind jetzt erst wieder geschwächt

00:44:05: in einer sogenannten großen Koalition. Wir haben jetzt eine Situation, wo ein, ich würde mal sagen,

00:44:12: rechtssozialdemokratischer Ministerpräsident in Thüringen für die CDU nicht wählbar ist und

00:44:19: die möglicherweise eher mit den Wagenknechten ins Bett steigen, weil der der Linken angehört.

00:44:25: Also er gehört formal der Linken an, der könnte genauso gut in der SPD sein, aber dann wäre

00:44:29: wahrscheinlich bei den Seeheimern, also bei den eher etwas konservativen Sozialdemokratinnen und

00:44:33: Sozialdemokraten. Also ich sehe nicht, dass wir irgendetwas ausprobieren. Ich glaube, es ist noch

00:44:38: Luft nach oben, aber wir haben uns immer von einem Gedanken leiten lassen, hm, keine Experimente,

00:44:44: deswegen haben wir ja auch die vielen großen Koalitionen richtig immer kleiner worden und am

00:44:49: Ende waren es keine großen Koalitionen mehr, sondern es war der Versuch, die Mitte irgendwie zu

00:44:55: zu retten. Also ich wünsche mir schon mehr, mehr Wagemut im Wissen darum, es kann auch schief gehen,

00:45:04: also das weiß ich, ich befürchte das auch. Zweitens, Kompromisse auch mal offensiv verkaufen und

00:45:11: sie nicht ständig selber kaputt machen und was in Europa ganz wichtig ist und das haben wir in

00:45:17: Deutschland so wenig getan, auch schauen aufgrund unserer Größe und unserer Bedeutung, wie kommen

00:45:23: denn eigentlich Diskussionen und Entscheidungen bei uns, bei unseren Partnern an und dann sage ich

00:45:28: etwas, was vielleicht auch wieder einige nicht gerne hören. Wir hätten Macron das Leben einfacher

00:45:36: machen können, wenn wir ihm vielleicht auch in der einen oder anderen Frage mal entgegen

00:45:40: gekommen werden, denn dass er so mit nacktem Hemd da steht oder nackt ohne Hemd da steht oder

00:45:45: mit so kurzem Hemd da steht, hat ja auch etwas damit zu tun, dass Europa politisch als Tiger

00:45:51: gestartet, aber als Bettvorleger geendet ist. Was hätten Sie denn gewollt? Also er hat diese erste

00:45:56: Rede gehalten in der Sorbonne, da war, wenn ich mich richtig erinnere, Angela Merkel noch im

00:46:00: Ammen, die antwortet nicht, weil so Wochen, da hört man nichts, was hätte da passieren können.

00:46:07: Ich bin ja... Da waren Sie ja noch in der Regierung Staatsminister im Auswärtigen Ammen, wenn ich

00:46:11: mich richtig erinnere. Frau Will, ich bin nun kein Merkel-Jahner, aber einmal habe ich den Hut vor

00:46:16: ihr gezogen. Jeder weiß, dass Merkel bei einer Schuldenfinanzierten Politik durch die EU Pickel

00:46:25: kriegt. Sie hat aber damals auf dem Höhepunkt der Pandemie einen Pakt geschmiedet mit dem

00:46:37: französischen Präsidenten, um einen Schuldenfinanzierten Fonds zum ersten Mal in der Geschichte der

00:46:44: EU auf den Weg zu bringen, der all ihren Prinzipien widerspricht, weil sie wusste, wir kriegen

00:46:50: das sonst nicht gewuppt. Und allen war auch klar, wir in Deutschland, das hat auch Olaf Scholz

00:46:55: als Finanzminister immer gesagt, wir brauchen doch die Kohle nicht, aber wir haben es gemacht.

00:46:59: Für die Spanier, für die Franzosen, für die Italiener, für die Griechen, für viele andere,

00:47:05: wir haben es gemacht. Und jetzt sehen wir einen Krieg, der nicht nur ein Krieg gegen die Ukraine,

00:47:14: ein Krieg gegen unsere Werte ist. Die Kassen in Frankreich, die Kassen in Italien, die Kassen

00:47:20: in Spanien sind leer und auch wir schaffen es noch nicht mal, unserer Verantwortung umfassend

00:47:25: gerecht zu werden. Was hätte eigentlich dagegen gesprochen, in einer solchen historischen Ausnahmesituation

00:47:30: noch einmal einen Fonds aufzulegen, ja, Schulden finanziert, der es auch den Franzosen und auch

00:47:37: anderen ermöglicht, mehr in Verteidigung, mehr in Wahrwerhaftigkeit und mehr in Sicherheit zu

00:47:42: investieren. Und da hätte ich mir von Olaf Scholz und von Macron ein Bündnis gewünscht. Und sogar

00:47:49: die eigentlich knauserigen Balten, Frau Kallas, die jetzt erfreulicherweise EU-Ausministerin wird,

00:47:55: hat das als Premierministerin gefordert. Also es waren doch nicht mehr die üblichen Verdächtigen,

00:47:59: die gesagt, nee, mit uns gibt es das nicht. Das hätte ich mir gewünscht und das hätte

00:48:03: ihm vielleicht auch geholfen. Und will ich aber nicht behaupten wollen, um nicht missverstanden

00:48:08: zu werden, dass wir schuld daran sind, dass der, dass der Fonds national so stark geworden ist. Aber

00:48:14: ich glaube, wir hätten es Macron ein bisschen einfacher machen können. Damit sind wir bei dem

00:48:19: Punkt, den ich gerne auch noch mit Ihnen angucken wollte, auch noch mal zurückgeblickt darauf,

00:48:24: mit welcher Mission sie noch unterwegs sind, solange sie noch im Bundestag sind. Nicht zuletzt

00:48:32: um diese Koalition, dessen wackeligen Zusammenhalt wir uns auch schon angeschaut haben, zu retten

00:48:40: haben, Olaf Scholz, Robert Habeck und Christian Lindner, ja jetzt ewig am Entwurf von den Haushalt

00:48:46: 2025 gefrickelt. Wenn dabei aber jetzt herauskommt, dass der Verteidigungsitha für 2025 nur um

00:48:54: gut 1,2 Milliarden statt der von Pistorius geforderten rund 6,5 Milliarden erhöht wird, wenn du

00:49:02: darüber hinausklar wird, dass die Erreichung des 2-Prozent-Ziels eher mal der Nachfolgeregierung

00:49:09: überantwortet wird, dann nämlich soll es einen Etat von dann 80 Milliarden Euro geben,

00:49:17: 2028, aber dann ist ja eine Nachfolgeregierung wie auch immer die Aussehen mag im Amt und

00:49:25: die muss ich drum kümmern. Wenn das alles so ist, dann kann ich mir nicht vorstellen,

00:49:29: dass sie angesichts der Bedrohungslage durch Russland damit einverstanden sind und gut

00:49:35: finden, wie sich die Bundesregierung, ihre Regierung, deren, ja in deren Fraktion sie,

00:49:44: deren Fraktion sie beteiligt sind, wie die sich aufstellen. Also erst mal ist das ja jetzt ein

00:49:50: Eckpunktepapier der Regierung. Das Parlament hat sich damit ja noch gar nicht befasst. Ja,

00:49:57: alle Parteien haben sich eingegraben. Die FDP hat gesagt, wir können alles machen,

00:50:04: aber die Schuldenbremse wird eingehalten. Die SPD hat gesagt, wir können alles machen und die

00:50:10: Grünen im Übrigen auch, aber im Sozialbereich wird nicht gespart. Und das passt da alles nicht

00:50:18: mehr zusammen. Die, meine eigene Partei ist sehr weit auf die Bäume gestiegen, indem sie immer

00:50:24: wieder gesagt hat, die Schuldenbremse muss weg. Es war aber allen klar, die Schuldenbremse

00:50:28: kommt nicht weg. Und jetzt kommt es und warum halte ich diesen Kompromiss, der sehr schmerzhaft

00:50:35: ist und der auch noch verbessert werden muss, aber für den Grunde genommen richtig, weil es

00:50:39: irgendwann nicht mehr um die Sache ging. Es ging nur noch darum, überlebt diese Regierung. Und wenn

00:50:45: wir nach Frankreich blicken und wenn wir in die USA blicken, dann sage ich mal ganz ehrlich, ja,

00:50:50: das mag für viele ganz peinlich sein und nicht besonders ambitioniert sein. Ich will,

00:50:55: dass diese Regierung hält und dass sie vor allem auch wieder zusammenhält. Und jetzt ist es zu

00:51:01: diesem mit einem immensen Druck zu diesem Eckpunktepapier gekommen. Und das muss jetzt nach

00:51:07: Möglichkeiten noch gebessert werden. Und ich muss einfach akzeptieren, ich halte es für falsch. In

00:51:14: einer solchen historischen Ausnahmesituation kommen wir mit der Schuldenbremse nicht mehr weiter,

00:51:18: zumal ich es auch nicht schaffe, sie meinen ausländischen und europäischen Kolleginnen und

00:51:24: Kollegen immer so richtig zu erklären. Ja, ob wir das wollen oder nicht in Deutschland. Es tut mir

00:51:31: leid, ich muss es aber trotzdem noch mal sagen. Unsere Nachbarn, unsere Partner, unsere Verbündeten,

00:51:36: unsere Freundinnen und Freunde erwarten mehr von uns. Die sagen, ihr profitiert am meisten von

00:51:40: Europa, ihr setzt mittendrin, ihr seid die größten, ihr müsst einfach mehr tun. Ihr müsst führen.

00:51:46: Ich weiß, dass finden einige doof, aber es ist doch nun mal so. Wir dürfen uns nicht immer nur fragen,

00:51:51: was wollen wir, wir müssen auch mal fragen, was wollen die anderen von uns. Und das ist immer

00:51:56: dasselbe. Sie wollen, dass wir sichtbarer sind, dass wir mehr verantworten. Wir machen ja schon

00:52:03: eine Menge. Aber ich habe manchmal den anderen, wir ducken uns dann doch lieber weg oder sagen,

00:52:06: nee, das geht aber jetzt nicht. Ja, oder das schöne Bild, was sie gerade hatten, man gräbt sich ein

00:52:11: in der eigenen Position. Das höre ich jetzt raus aus unserer kleinen Suche. Wie viel Kompromissverträgt

00:52:21: die Demokratie? Sie sind dabei, dass man anderen was gönnen muss, dass man ihnen entgegen kommen

00:52:28: muss, dass man ihnen helfen muss. Macron war ihr Beispiel. Und jetzt hier übertragen auf die

00:52:34: Bundesregierung wäre es auch so. Man müsste sich was gönnen, damit man den eigenen Graben

00:52:40: vielleicht auch nochmal verlassen kann. Ja, das ist einfach so. Jeder kämpft für sich selbst,

00:52:48: aber man braucht ja auch eine gemeinsame Basis, wo man sich noch vertrauen kann. Und man muss es

00:52:55: um einmal Merkels sprech zu bleiben, vom Ende her denken. Und wir haben die neuen Zeiten noch

00:53:03: nicht erkannt. Die Zeitenwende ist nicht einfach nur mehr Geld für Verteidigung, mehr Geld für

00:53:10: Sicherheit. Die Zeitenwende heißt auch anzuerkennen, dass es in Europa ziemlich ungemütlich geworden

00:53:17: ist. Und wenn wir wirklich wollen, dass die Mitte und damit die freiheitliche Liberale auch so

00:53:25: soziale Demokratie übersteht, dann müssen wir uns besser wappnen gegenüber den Populisten und

00:53:30: Nationalisten. Und darauf haben wir noch kein Rezept geführt. Und meinen Vorschlag wäre, dass

00:53:35: wir denen, die bei aller Unterschiedlichkeit und wie oft hat uns Macron genervt oder auch die

00:53:41: Linkstemokraten in Italien mit ihrer ständigen Kritik an der Austeritätspolitik hatten sie

00:53:48: auch nicht ganz so unrecht. Die haben uns genervt, ja, aber am Ende haben wir sie nicht retten können.

00:53:53: Und wir hatten auch nie den Versuch unternommen, sie retten zu können oder retten zu wollen, wenn

00:53:58: wir dachten, es ist doch deren Aufgabe. Aber es geht eben nicht mehr darum, ob nun ein Herr

00:54:03: Mitterrand durch einen Herrn Chirac oder durch einen Herrn Sarkozy ersetzt wird. Es geht darum,

00:54:08: ob ein bei aller Kritik pro europäischer überzeugter Demokrat mit vielen Schwächen von einer

00:54:16: Rechtsextremistin und einer Demokratie Verächterin wie Frau Marinille Penn ersetzt wird. Und das

00:54:22: möchte ich nicht. Ja, ich habe ein Post gelesen von Ursula Münch, der Professorin. Und sie hat

00:54:29: gesagt, früher war es so, wir haben rüber geschaut zu den Wahlergebnissen oder rüber geschielt, war

00:54:35: glaube ich ihr schönes Wort, rüber geschielt zu Wahlergebnissen in den Nachbarstaaten und haben

00:54:40: das so mehr oder weniger zur Kenntnis genommen. Jetzt schaut man unter der Fragestellung, besteht

00:54:46: oder bleibt die Demokratie bestehen. Das ist ein Wahnsinn. Ja, und es geht ja noch weiter. Ich

00:54:52: hoffe, dass mir meine Kolleginnen und Kollegen im Europaparlament jetzt verzeihen. Aber die Wahl

00:54:58: am Sonntag war vermutlich wichtiger als die Europawahl. Bei der Europawahl haben es irgendwie die

00:55:04: Kräfte der Mitte, also die Sozis, die Konservativen, die Grünen, die Liberalen nochmal geschafft. Die

00:55:10: kriegen eine Mehrheit zusammen und sie brauchen die Rechtsnationalisten nicht. Das wird jetzt

00:55:16: funktionieren. Aber machen wir so nichts vor, ob wir nun links oder rechts gewählt haben bei der

00:55:22: Europawahl. Die nächste Kommission wird Ursula von der Leyen hin, Ursula von der Leyen her. Viel

00:55:30: konservativer werden, weil die Kommissarinnen und Kommissare kommen aus den Mitgliedstaatlichen

00:55:36: Regierungen. Und wir haben, wenn ich das jetzt mal in meiner eigenen Familie sagen darf, noch vier. Mehr

00:55:42: oder weniger Sozis und der Rest sind alles Konservative, vielleicht noch ein paar Liberale,

00:55:47: also vor allem auch Rechtskonservative. Denn es hat ja erhebliche Niederlagen für die, für die,

00:55:53: für die, für Mitte-Links gegeben in Finnland, in Schweden, in anderen Ländern. Das wirkt sich nun

00:56:00: auch auf die Kommission aus, also auf die zukünftige Regierung der EU. Und dieser Blick von Frau

00:56:05: Münch, also es geht jetzt um Demokratie, ja, nein, dieser Blick ist aufmerksammer geworden. Deswegen

00:56:11: reden wir ja jetzt auch schon so lange nicht über ein deutsches Ereignis, sondern über ein

00:56:15: europäisches Ereignis, was in Frankreich stattgefunden hat. Und was einwirkt auf die Überlegungen hier,

00:56:20: darauf, wie man sich aufstellt, wie man sich verhält, wie man Demokratie eventuell neu denkt.

00:56:26: Sie hatten es gesagt, vom Ende her gedacht, wissen Sie inzwischen, was Sie am Ende der

00:56:32: Legislaturperiode dann nun machen werden, wenn die denn im Herbst 2025 ist, dann scheiden Sie dann

00:56:40: aus dem Bundestag aus und wollen ja noch irgendwas Neues machen, nämlich ja. Also erst mal hoffe ich

00:56:47: mich, dass ich mich darüber freuen kann, dass die pro-europäischen Kräfte in Georgien, die ich

00:56:52: derzeit sehr aktiv unterstütze, bei der Wahl obsiegen und das Georgien eine Chance hat, der EU

00:56:58: anzugehören, dass wir den Ukrainekrieg vielleicht doch noch mit mehr einer stärkeren Unterstützung

00:57:03: beenden können, dass Armenien stärker in Richtung EU geht. Und dann bin ich mir ziemlich sicher,

00:57:09: alleine mit vielleicht einem neuen Hund, von dem ich noch meinen Mann überzeugen muss, mit der

00:57:14: Imkerei, mit Brotbacken ist es nicht getan. Ich habe ja doch ein bisschen was in mir drin und das bringe

00:57:21: ich dann vermutlich auch noch zu Papier, aber ich würde mich gerne auch noch einbringen, weil wir

00:57:27: haben jetzt viel über die Kälte in meiner eigenen Partei und Fraktion gesprochen, was mich und das

00:57:34: hätte ich nie vermöglich gehalten, viel mehr frieren lässt, ist die Kälte in unserer Gesellschaft,

00:57:38: der Antisemitismus, dieser Hass, dieser, das Juden in meinem Land, das ich zu lieben gelernt habe und

00:57:47: es ist mir sehr schwer gefallen, jetzt wieder nicht mehr so richtig lieb haben kann, weil ich das

00:57:51: nicht vermöglich gehalten hätte, das ist das eigentliche, was mich umtreibt und ich habe kein

00:57:57: Jobangebot, ich habe noch keinen Plan, ich muss schauen und wenn es jemand was interessantes hat,

00:58:04: soll er sich bitte melden. Herr Roth, vielen Dank, dass Sie bei uns waren. Wir haben dieses Interview

00:58:11: am Mittwochmorgen, dem 10. Juli 2024 aufgezeichnet. Die Redaktion hatten Gina Enstlin und Marie

00:58:18: Steffens, Executive Producer, Nismarie Schiller, Audio Producer, Maximilian Frisch, Sound Design,

00:58:24: Hannes Husten, die Vermarktung macht die mit Vergnügen und das Ganze ist eine Produktion der

00:58:28: WMedia. Danke und Tschüss. Danke.

00:58:31: [Musik]

00:58:45: [森]