Bonus: Interview mit Aminata Touré (Bündnis 90/Die Grünen), Sozialministerin Schleswig-Holstein

Shownotes

Aminata Touré ist die erste afro-deutsche Ministerin und zuständig für Soziales, Jugend, Familie, Senioren, Integration und Gleichstellung in Schleswig-Holstein. Ihr Job ist es, Armut politisch zu bekämpfen. Sie selbst ist in Armut und unter dem Druck von Dauerduldungen aufgewachsen. Was hilft gegen Armut wirklich? Die Kindergrundsicherung oder eine bessere soziale Infrastruktur mit Kitas und Ganztagsschulen? Im Interview mit Anne Will sagt Aminata Touré, was sie von den aktuellen Plänen der Kindergrundsicherung hält. Sie kritisiert außerdem, dass in der aktuellen Haushaltskrise zu schnell die Forderung komme, beim Sozialstaat zu sparen.

Das Interview wurde 14.05.2024 um 14 Uhr aufgezeichnet.

Wichtige Quellen:

Statistisches Bundesamt: Weiterhin gut ein Fünftel der Bevölkerung von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht, 10.04.24

UNICEF: Kinderarmut in Deutschland – weiterhin dringender politischer Handlungsbedarf, 06.12.23

Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Fragen und Antworten zur Kindergrundsicherung, 27.09.2023

Bundesministerium für Arbeit und Soziales: Das Bürgergeld – Fakten im Detail, 29.01.2024

Frankfurter Rundschau: Interview mit Bernd Siggelkow „Wir haben es mit grassierender Chancenarmut zu tun“, 23.03.2023

Ministerium für Soziales, Jugend, Familie, Senioren, Integration und Gleichstellung des Landes Schleswig-Holstein: Bericht zur sozialen Situation von Kindern und Jugendlichen in Schleswig-Holstein, 14.03.2024

NDR: Bertelsmann-Studie: In SH fehlen 15.600 Kita-Plätze, 28.11.2023

Impressum: Redaktion: Freya Reiß und Marie Steffens Executive Producerin: Marie Schiller Sounddesign: Hannes Husten Vermarktung: Mit Vergnügen GmbH Eine Produktion der Will Media GmbH

Transkript anzeigen

00:00:00: Politik mit Anne Will.

00:00:10: Willkommen zu unserer Bonus-Folge, darin immer das Interview in voller Länge, das ich für

00:00:26: jede Folge führe und wir zeichnen dieses am Dienstag Nachmittag, den 14. Mai 2024 auf.

00:00:33: Uns beschäftigt diese Woche die Frage, was hilft gegen Armut? Und darüber will ich mit einer

00:00:40: Frau sprechen, die in Armut und unter dem Druck von Dauerduldungen aufgewachsen ist und deren

00:00:46: Job es jetzt unter anderem ist, Armut politisch zu bekämpfen. Bei uns ist diesmal und ich freue

00:00:52: mich sehr, Aminata Thuré, die Ministerin für Soziales, Jugend, Familie, Senioren, Integration

00:00:58: und Gleichstellung in Schleswig-Holstein. Hallo Frau Thuré. Moin. Moin, moin, das sagen Sie bei Ihnen,

00:01:05: ey Mann. Ja genau. Sie sind Frau Thuré, wie Ihre Partei Bündnis 90, die Grünen für die Einführung

00:01:13: der sogenannten Kindergrundsicherung, über die viel diskutiert wird und so schleppen, dass bislang

00:01:18: alles gelaufen ist und so groß ja auch die Kritik am vorliegenden Gesetzentwurf, ist es inzwischen

00:01:24: eigentlich sehr viel wahrscheinlicher geworden Ihrer Meinung nach, dass die Bundesregierung genau

00:01:30: gar keine Kindergrundsicherung mehr zustande bekommt, als dass sie das noch irgendwie hinkriegt? Also

00:01:36: ich hoffe es sehr und ich gehe auch davon aus, dass man das an dieser Legislatur noch hinbekommen wird,

00:01:41: dass es zumindest das politische Versprechen, das man gegeben hat und ich gehe davon aus,

00:01:45: dass man ein Kompromiss finden wird. Man ist ja schon ein paar Schritte vorangekommen, allerdings

00:01:50: und da müssen wir auch glaube ich als Grüne selbstkritisch sein in dem Verfahren hat es an

00:01:54: der einen oder anderen Stelle nicht so hingehauen, dass man jetzt sagt, okay man weiß jetzt schon ganz

00:01:59: konkret, wie es umgesetzt wird und wie der Weg aussehen wird, aber ich glaube, das ist ein fatales

00:02:04: Zeichen wäre, wenn man die Kindergrundsicherung nicht auf den Weg bringen würde. Frage ist aber

00:02:08: wie, Sie sprechen es an, Sie halten den Gesetzentwurf von Bundesfamilienministerin Lisa Paus ja

00:02:14: auch nicht für gelungen. Sie haben dem Spiegel im November ein Interview gegeben und gesagt,

00:02:18: die Reform sei "nach derzeitig im Stand zu kompliziert". Warum halten die Grünen dann

00:02:25: dennoch daran fest und haben nicht ganz schnell einen besseren Vorschlag gemacht? Ja, das kann

00:02:30: ich gut nachvollziehen, dass man sich diese Frage stellt und ich glaube es gibt zwei Sachen,

00:02:33: die man sich angucken muss. Also das eine ist, dass es ein riesengroßes sozialpolitisches Projekt

00:02:38: ist, das man umsetzen möchte. Was gar nicht so leicht ist in den bürokratischen Strukturen,

00:02:43: die wir haben im Land und von daher ist es die Aufgabe des Bundesfamilienministeriums,

00:02:48: da einen Vorschlag zu machen, der dann tragfähig ist und am Ende des Tages dazu führt,

00:02:52: dass weniger Kinder in Armut sein werden. Und auf der anderen Seite ist es ein ganz normales

00:02:57: Gesetzgebungsverfahren, dass die Länder aber eben auch innerhalb der Bundestagsfraktionen,

00:03:01: auch der Bundesregierung darum gerungen wird, wie der beste Vorschlag aussehen kann. Am Anfang

00:03:06: ging es ja ganz viel um die Frage, wie hoch wird sozusagen der Betrag sein, wie viel Mittel wird

00:03:11: die Bundesregierung oder der Bundeshaushalt auch zur Verfügung stellen. Da hat man jetzt eine

00:03:15: Einigung gefunden, die nicht unbedingt in dem Sinne ist, wie wir uns das vorgestellt haben und

00:03:19: auch erhofft hatten. Ursprünglich waren es mal 12 Milliarden, um das zu sagen, wenn ich genau alles

00:03:24: mitgelesen habe. Jetzt ist man bei 2,4 Milliarden, das ist ja erheblich viel weniger als ursprünglich

00:03:29: geplant war und hat übrigens auch Fragen aufgeworfen, wie das sein kann, dass man sich so verschätzt,

00:03:34: falsch eingeschätzt, verrechnet, was wo immer hat. Ja und ich glaube, das hängt natürlich auch ganz

00:03:40: stark mit der Realität der Haushalte, der öffentlichen Haushalte in Deutschland zusammen und damit

00:03:46: natürlich auch mit der Diskussion die Frage rund um die Schuldenbremse. Was können wir uns eigentlich

00:03:50: als Staat leisten und was eben auch nicht. Man muss aber trotzdem auch sagen, wir haben gerade im

00:03:54: Bereich der Sozialleistung in Deutschland die Realität und das ist bei der Kindergrundsicherung

00:03:59: ja das Hauptthema Mittel, die nicht abgerufen werden und deswegen kann ich schon nachvollziehen,

00:04:03: dass man sagt, man möchte die Leistungen bündeln und sie dann effektiver voranbringen und die Frage

00:04:08: ist eben, ob man das mit dem Gesetzesentwurf, der dann hoffentlich so akzeptabel ist, dass alle

00:04:12: ihn annehmen, das dann realisieren kann und ich glaube der entscheidende Punkt ist eben auch,

00:04:16: das ist immer beim politischen Kuhhandel so, man geht mit so einem Reihen, man geht mit Vorschlägen

00:04:21: rein und endet mit einem Kompromiss und ich glaube das Wichtigste ist es überhaupt auf den Weg

00:04:25: zu bringen, deswegen wird der entscheidende Punkt sein, ob man es in dieser Legislatur hinbekommt,

00:04:29: zumindest den Startschuss zu geben, wenn nicht, dann wird dieses Projekt auf jeden Fall noch

00:04:33: in ferner Zukunft erst dann stattfinden. Aber darf so ein Projekt so wichtig es ist,

00:04:38: ein Kuhhandel sein? Ich glaube am Ende des Tages ist das, also wenn Sie mich fragen,

00:04:43: nein, darf es eigentlich nicht sein, aber das kann man glaube ich für jeden Themenbereich in

00:04:47: der Politik am Ende des Tages sagen, dass sie so wichtig und entscheidend sind, dass man es einfach

00:04:52: machen müsste, aber das ist ja gerade die Herausforderung des Regierens, will ich sagen,

00:04:57: Klimaschutz ist wichtiger als Kindergrundsicherung, ist die Tatsache, dass wir genügend Krankenhäuser

00:05:02: brauchen, Investitionen in dem Bereich ist das wichtiger und wir haben natürlich als Gesellschaft

00:05:07: immer so eine Aufmerksamkeitsspanne von 5,5 Sekunden und haben immer das Gefühl, das ist

00:05:12: jetzt gerade brennt, das ist gerade wichtig und das ist gerade notwendig und so verändert sich das

00:05:16: und dann noch die Prioritätensetzung und wofür entscheidet man sich politisch und ich bin

00:05:20: nach wie vor davon überzeugt und glaube übrigens auch, dass mir auch wichtig zu sagen, dass es nicht

00:05:24: nur die Kindergrundsicherung ist, die da sozusagen Beitrag zu leisten kann, das ist glaube ich auch

00:05:29: ein entscheidender Punkt, das ist ein Thema, da wo wir alle glaube ich jetzt gerade darüber diskutieren,

00:05:33: aber es gibt eben noch viele andere Faktoren, die entscheidend wichtig sind. Es ging ja eigentlich

00:05:38: darum, gucken wir noch mal hin, was im Moment da vorliegt und was die Grundüberlegung war. Es ging

00:05:44: eigentlich darum, es Kindern leichter zu machen, an Geld vom Staat zu kommen. Sie haben es gesagt,

00:05:49: viele Gelder werden gar nicht erst abgerufen, weil der Weg dahin zu kompliziert ist für

00:05:54: denjenigen, diejenigen, die es denen zustünde. Also Kindergeld, Kinderzuschlag, Bürgergeld,

00:06:01: alle Sozialleistungen sollten Kinder und deren Familien von 2025 an bei nur noch einer Anlaufstelle

00:06:08: bekommen, so war es gedacht. Es ging um Vereinfachung, um weniger Bürokratie. Rausgekommen ist aber ein

00:06:14: Plan, für den es bis zu 5000 neue Beamtenstellen braucht. Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner

00:06:21: und andere nennen das "absurd". Sie auch? Ich würde das nicht "absurd" nennen, aber ich würde auf

00:06:27: jeden Fall sagen, dass es auch aus unserer Sicht, als Schleswig-Holstein, dass wir gesagt haben,

00:06:32: das, was für uns Zentral wichtig ist, das ist unkompliziert und genauso wie Sie beschrieben

00:06:35: hatten zu beginnen, es ist vereinfacht stattfindet. Und das, was ich einleitend meinte, ist, man kann

00:06:40: ganz viele politische Ideen haben und scheitert manchmal ein Stück weit an der Realität,

00:06:44: weil die Strukturen bei uns im Land etwas kompliziert und bürokratisch sind. Deswegen wurde

00:06:49: ja auch schon diese Diskussion darum, wie viele Stellen es tatsächlich zusätzlich braucht,

00:06:53: ja auch intensiv geführt. Und der Auftrag ging wieder zurück ans Bundesvermehrministerium,

00:06:57: dann eine andere Antwort darauf zu finden. Kann ich auch nachvollziehen und finde ich auch richtig,

00:07:01: sich die Frage zu stellen, wie man es möglich unkompliziert regeln kann, weil am Ende des Tages

00:07:05: dürfen wir nicht so viel Debatte um die Strukturen führen, sondern um die Frage, wie es ausgezahlt

00:07:09: wird und tatsächlich bei den Kids ankommt. Und die Frage ist aber zu stellen, wie kann man das

00:07:14: Geld, das da ist, Sie haben den Haushaltsstreit angesprochen, effektiv einsetzen. Sie brauchen

00:07:20: ja als Grüne natürlich den Koalitionspartner, nicht zuletzt die FDP, und haben da mit die

00:07:26: stärksten Kritiker, Christian Lind, haben wir schon angesprochen, hat im Übrigen auch beim

00:07:31: Bundesparteitag der FDP einen Gegenvorschlag gemacht, Zitat, wäre es nicht besser, diese

00:07:36: Milliarden, 2,4 Milliarden, hatten wir eben schon gesagt, diese Milliarden einzusetzen in mehr

00:07:42: qualitätsvolle Kinderbetreuung, damit niemand mehr gegen seinen Willen in Teilzeit verbleiben muss.

00:07:49: Hat er Recht? Ich finde, das ist kein entweder oder. Und das ist tatsächlich auch eine Frage,

00:07:54: die ernsthaft zu debattieren und zu diskutieren ist und die wir als Schleswig-Holstein auch vor

00:07:59: wenigen Wochen im Bundesrat eingeführt haben. Es ist nämlich noch nicht sicher, dass der Bund

00:08:03: den Ländern und den Kommunen weitere Mittel für Kita bereitstellt ab 25. Und wir brauchen

00:08:09: definitiv diese 4 Milliarden, die der Bund für 22 und 23 bzw. 23 und 24 bereitgestellt hat,

00:08:15: auch für die Jahre danach. Und das ist genau das, was ich vorhin ehrlicherweise meinte mit Blick

00:08:20: darauf, dass die Kindergrundsicherung nicht die alleinige Antwort ist auf diese Frage,

00:08:24: sondern wir brauchen Strukturen wie Kitas. Und als Ministerin, die gerade Kita verhandelt und

00:08:29: mit allen Beteiligten gerade an der Verbesserung des Kita-Gesetzes hier vor Ort arbeitet,

00:08:34: kann ich nur sagen, wir können uns das nicht leisten, in dem Bereich zu sparen. Und von daher

00:08:38: führen wir diese Diskussion auch ganz offen und ehrlich, auch mit dem Bundesfamilienministerium,

00:08:43: dass wir sagen, für uns ist es sehr wichtig, dass das fortgeführt wird und darüber hinaus eben

00:08:48: auch die Kindergrundsicherung kommen wird. Ich finde, es sind nämlich zwei unterschiedliche Sachen.

00:08:51: Es braucht aber beides, finde ich. Es braucht beides. Es braucht definitiv beides. Und ich will auch

00:08:57: sagen, warum es beides braucht. Das eine, dass wir vernünftige Kitas haben, dass wir genügend

00:09:02: Personal haben, dass die Qualität in den Kitas ausreichend ist, dass wir genügend überhaupt

00:09:06: Kita-Plätze haben, ist eine Grundvoraussetzung, damit Kinder von Tag eins die Möglichkeit haben,

00:09:12: die frühkindliche Bildung zu erfahren, die sie brauchen. Wenn ich jetzt beispielsweise, Sie haben

00:09:17: das Einleiten selbst erwähnt, Zurückblicke vor 30 Jahren, war es nicht so, dass man den Rechtsanspruch

00:09:22: auf Kita hatte oder dass Kinder wie ich, die aus Flüchtlingsfamilien kamen, irgendwie ein Anrecht

00:09:27: darauf hatten, in eine Kita zu gehen. Das ist heute anders und das ist gut so. Das führt aber da...

00:09:32: Das ist ja immer noch nicht perfekt gelöst. Das weiß man ja auch schon ganz lange. Wenn wir alleine

00:09:36: drauf schauen, wie Ihre Bilanz im Moment in Schleswig-Holstein ist, dann ist die ja auch nicht

00:09:41: brillant, muss man sagen. Da sagt die Bertelsmann-Stiftung, es fehlen 15.600 Kita-Plätze. Die

00:09:49: Ganztagsschulen werden nicht wirklich gut genutzt und eine Erhöhung der Kita-Beiträge

00:09:54: schließen sie auch nicht aus. Also eine Erhöhung der Kita-Beiträge. Das ist natürlich für viele

00:09:59: Familien, die das bräuchten und die es gar nicht ausgeben können, eine richtig schlechte Nachricht.

00:10:06: Müsste Ihre ganze Energie da nicht zuallererst darauf gehen, auf die Verbesserung all dessen,

00:10:12: was schon da ist, um Kinder aus Armut herauszuholen, und zwar alle Kinder, statt dass sie mit ihrer

00:10:18: Partei ein neues Bürokratiemonster schaffen. Genau, deswegen arbeite ich ja genau an diesem

00:10:24: Prozess hier in Schleswig-Holstein. Wir sind gerade in mitten eines Reformprozesses. Ich möchte nur

00:10:28: einmal sagen, dass die 15.000 Plätze, die von der Bertelsmann-Studie genannt werden, nicht die

00:10:34: Zahlen sind, mit denen wir zu 100 Prozent zuverlässig arbeiten. Nichtsdestotrotz ist es so, dass

00:10:39: definitiv Plätze fehlen und die Kommunen, die in der Zuständigkeit dafür sind, Plätze zu schaffen,

00:10:45: natürlich mit uns auch dafür unterschiedliche Finanzierungsmodelle haben, damit wir das

00:10:49: sicherstellen können. Ich unterschreibe es auch zu 100 Prozent, dass man als erstes die Frage

00:10:54: beantworten muss, dass die Kita-Finanzierung in ganz Deutschland steht. So, das unterschreibe ich zu

00:10:59: 100 Prozent und glaube, dass sozusagen die Grundvoraussetzungen dafür, dass man eine

00:11:04: Chancengerechtigkeit hat. Eben darin begründet liegt, dass ich einen Kita-Platz habe, dass ich

00:11:09: ausreichend Fachkräfte habe und dass man da sozusagen auch eine vernünftige Qualität hat,

00:11:14: damit man das sicherstellen kann. Deswegen entscheiden wir in Schleswig-Holstein uns übrigens

00:11:18: genau dafür, dass wir bei Kita nicht sparen. Also auch wir in Schleswig-Holstein haben gerade eine

00:11:23: Haushaltssituation, in der wir sparen müssen. Wir tun das nicht bei Kita. Aber Sie sagen doch,

00:11:28: die Beiträge werden sehr erhöhen müssen. Nee, das habe ich auch nicht gesagt. Also ich glaube,

00:11:35: um das einmal darzustellen, um das einmal deutlich zu machen, vor welcher Herausforderung wir stehen,

00:11:39: in Schleswig-Holstein haben wir einen Haushalt von rund 16 Milliarden Euro. Für das Kita-System

00:11:44: geben wir 700 Millionen Euro als Land aus. Insgesamt im Kita-System sind 1,8 Milliarden Euro. Wird

00:11:51: getragen von Land, 43 Prozent, dann von den Kommunen, 37 Prozent und 20 Prozent von den Eltern. Jetzt

00:11:57: haben wir durch die dreijährige Evaluation, die wir gemacht haben, festgestellt, dass ungefähr

00:12:01: 120 Millionen Euro in diesem 1,8 Milliarden Paket fehlen. Das ist das, was wir erst mal festgestellt

00:12:07: haben. Gerade sind wir in den Verhandlungen mit den Kommunen, mit den Kita-Trägern, mit den

00:12:11: Fachkräften und auch mit den Elternvertretungen darüber, wie wir diese Lücke schließen können.

00:12:16: Und ich habe zum derzeitigen Zeitpunkt gesagt, dass wir gerade dabei sind, ein Kompromiss zu finden.

00:12:22: Deswegen habe ich weder ausgeschlossen, dass die Eltern gegebenenfalls mehr zahlen müssen,

00:12:26: noch ausgeschlossen ist, die Kommunen mehr zahlen müssen. Aber habe die Zusage gemacht,

00:12:29: dass Land wird definitiv nicht sparen bei Kita und zusätzliches Geld mit reingeben. Und diese

00:12:34: Verhandlungen laufen tatsächlich gerade in den letzten Wochen, auch in dieser Woche, auf

00:12:38: Hochtouren. Und wir werden in den nächsten Wochen unseren Kompromiss vorstellen, indem wir eben deutlich

00:12:42: machen werden, wie wir diese Lücke schließen werden in Anbetracht der Tatsache, dass das Land

00:12:46: nicht alleine 120 Millionen Euro tragen wird. Deswegen will ich damit sagen, das ist noch nicht

00:12:50: ausdiskutiert und der Kompromiss steht noch nicht. Ich habe nur noch nichts ausgeschlossen,

00:12:54: weswegen auf der anderen Seite sozusagen schon vermutet wird, dass das eine Antwort sein könnte.

00:12:59: Sie arbeiten an dieser Kita-Reform, Sie haben es gesagt. Die soll im Herbst stehen und Ende

00:13:06: des Jahres verabschiedet werden und sie fordern vom Bund, dass sich der auch 2025 noch an der

00:13:13: Kita-Finanzierung weiterhin beteiligt. Jetzt aber nochmal gefragt. Ist das für die Kindergrundsicherung

00:13:19: vorgesehene Geld da, also in den Einrichtungen, dann nicht wesentlich besser investiert, um Kinder

00:13:26: Armut effektiv zu bekämpfen? Ich glaube, dass es kein Entweder oder ist. Ich glaube, dass es

00:13:32: weiter, wenn man nicht endlos viel Geld hat, dann vielleicht schon. Genau. Ich glaube, dass das die

00:13:39: politische Entscheidung am Ende des Tages der Bundesregierung sein wird. Wenn man mich fragt,

00:13:42: würde ich davon ausgehen, dass es machbar ist, 2 Milliarden Euro für die Kitas in ganz Deutschland

00:13:48: zur Unterstützung bereitzustellen und die 2,3 Milliarden für die Kindergrundsicherung bereitzustellen.

00:13:53: So, weil das ist die Frage und die Abwägungen, die man dann in der Politik treffen muss. Und

00:13:57: ich habe ja gerade dargestellt, wir als Schleswig-Holstein treffen diese Abwägungen und sagen,

00:14:01: wir sparen nicht in diesem Bereich. Und die gleiche Entscheidung werden wir übrigens auch in anderen

00:14:06: Bereichen treffen, die eben Kinder betreffen. Das wir sagen, dort sparen wir nicht, sondern wir packen

00:14:11: da bewusst mehr Geld rein. Und wenn ich das sozusagen aus meiner politischen Verantwortung

00:14:14: heraus sage, dass ich das für richtig halte und wir das als Kabinett so beschließen,

00:14:18: kann ich die gleiche Forderung auch in Richtung Bund formulieren. Und deswegen finde ich die

00:14:22: Frage trotzdem richtig, sich zu stellen, was ist sozusagen prioritär. Ich würde sagen,

00:14:26: beides ist prioritär, aber natürlich habe ich ein Rieseninteresse daran, dass die Kita-Finanzierung

00:14:31: steht. Und ich will Ihnen auch sagen, warum. Wir haben im SGB VIII, im Sozialgesetzbuch VIII,

00:14:38: geregelt, dass es einen Rechtsanspruch auf Kita gibt. Und wenn der Bund uns diese 2 Milliarden Euro

00:14:43: nicht mehr bereitstellt, dann macht er gar nichts bei Kita. Und das finde ich peinlich. Ich finde,

00:14:48: man kann das als Bundesregierung nicht machen. Und das habe ich auch in meiner Rede im Bundesrat

00:14:52: beispielsweise gesagt. Ich finde das richtig, dass Christian Lindner mit dem ich selten übereinstimme,

00:14:57: wirklich sehr, sehr, sehr, sehr, sehr selten bis nie. Aber bei dem Punkt finde ich hat er recht,

00:15:01: der Chancengerechtigkeit von klein auf anfangen soll. So ein Vorn- und

00:15:05: Und daher finde ich es richtig, dass man sich die Frage stellt, wie man das bereitstellt.

00:15:09: Aber ein Christian Lindner kann jetzt sich nicht instellen, der einen Koalitionsvertrag

00:15:12: mit unterschrieben hat und gesagt hat, die Kindergrundsicherung soll kommen und auch

00:15:16: in der Kita-Finanzierung wollen wir uns hinstellen und weiter mit unterstützen und sagen, nur

00:15:20: jetzt machen wir das eine oder das andere.

00:15:22: Am Ende des Tages sitze ich nicht mit am Bundeskabinettstisch.

00:15:24: Ich bin in Form des Bundesrats beteiligt an solchen Prozessen und gebe da meinen Senf so ab und

00:15:30: bin der Überzeugung, dass beides realisierbar ist.

00:15:32: Ich habe in der Anmoderation Frau Toure gesagt, Sie seien in Armut aufgewachsen.

00:15:37: Haben Sie sich als Kind eigentlich arm gefühlt?

00:15:40: Ja, definitiv.

00:15:42: Und deswegen, übrigens, lasse ich mich auch nicht dazu verhaften zu sagen Kita oder Kindergrundsicherung,

00:15:47: weil ich glaube, dass man beides braucht.

00:15:48: Und ich will Ihnen auch sagen, was es meine.

00:15:51: Hatten Sie aber nicht.

00:15:52: Bitte?

00:15:53: Das hatten Sie aber nicht.

00:15:54: Ich hatte das nicht, aber ich bin auch kein Fan davon, meine individuelle Geschichte

00:15:58: als Grundlage für gesellschaftspolitische Entscheidungen grundsätzlich zu nehmen, sondern

00:16:03: will nur sagen, ich habe eine ganz tolle Mutter gehabt, die sich ganz viel eingesetzt hat und

00:16:08: uns viel ermöglicht hat, tolle Lehrerin und so weiter.

00:16:10: Aber ich glaube, in einem Land wie Deutschland darf es nicht nur von Individuen abhängen.

00:16:14: Und was für eine starke Mutter ich habe, ob es gelingt oder nicht.

00:16:18: Denn viele Kids haben keine Eltern, die das leisten können oder wollen oder was auch immer.

00:16:23: Und ich finde das furchtbar, wenn wir das nicht sicherstellen können.

00:16:26: Ich glaube, die Tatsache, dass ich einen Umfeld habe, in dem ich in der Kita vernünftig

00:16:31: lernen kann, die Sprache lerne oder all das, was notwendig ist, lesen und so weiter und

00:16:35: sofort ein Teil dieser Gesellschaft werden kann, ist genauso wichtig, wie dass ein Kind

00:16:39: beispielsweise teilhaben kann an einer Freizeitaktivität oder aber die Möglichkeit hat, Musikunterricht

00:16:45: zu machen oder sonst was, weil das Selbstverständnis, mit dem wir aufwachsen, wer wir sind, wer

00:16:50: wir sein können und ob wir Teil von etwas sind, fängt genau in diesen Jahren an.

00:16:54: Und ich habe immer gewusst, dass wir armen sind.

00:16:56: Ich habe mich deswegen nicht schlechter oder nicht weniger gefühlt, aber trotzdem vergleichen

00:17:01: Kinder sich.

00:17:02: Und das gilt auch für Mittelschichtskinder, dass man sich vergleicht.

00:17:06: Aber ich glaube, gerade wenn man armen ist, dann sieht man, woran kann ich teilnehmen und

00:17:10: woran nicht.

00:17:11: Und das ist ja das, was die Kindergrundsicherung eben ermöglichen soll.

00:17:14: Und ich finde, dass diese Frage stellen wir Kids aus Mittelschichts, Familien oder reichen

00:17:18: Familien eben auch nicht.

00:17:19: Willst du in die Kita gehen oder willst du ein Eis essen abends?

00:17:22: Also das ist sozusagen ja nicht die Abwigung, die wir treffen dürfen, sondern dass man

00:17:26: ein Minimum an Vergleichbarkeit da hat.

00:17:29: Und das ist der Wunsch, der da ist mit Blick auf die Kindergrundsicherung, weil Kinder

00:17:33: sind ja auch nicht von morgens bis abends in der Kita, sondern sie verlassen die Kita

00:17:36: irgendwann und wollen dann Freizeitaktivitäten tun und dafür ist die Kindergrundsicherung

00:17:39: gedacht.

00:17:40: Ihre Eltern sind kurz vor ihrer Geburt aus Mali in Afrika nach Deutschland geflohen.

00:17:46: Sie sind in Neumünster, in Schleswig-Holstein geboren.

00:17:49: Sie leben zunächst in Geflüchtetenunterkünften, hangeln sich über Jahre von Duldung zu

00:17:53: Duldung.

00:17:54: Ihre Familie und sie wissen nie, ob sie in Deutschland bleiben können oder abgeschoben

00:17:59: werden, was ein gewaltiger Druck sein muss und ihre viel Angst machen muss.

00:18:03: Sie waren dann zwölf Jahre alt, als sie endlich den deutschen Pass bekommen.

00:18:08: Sind 13 Jahre alt, als ihr Vater ihre Familie verlässt und ihre Mutter ab da sie und ihre

00:18:14: drei Schwestern alleine erzieht.

00:18:16: Wollt ihr das für all unsere Hörerinnen und Hörer nochmal sagen, weil sie ihre Mutter

00:18:21: angesprochen haben.

00:18:22: Wie hat ihr das geschafft?

00:18:23: Ja, gute Frage.

00:18:25: Ich glaube, durch viel Selbstaufopferung ehrlicherweise und durch viel Arbeiten auch tatsächlich.

00:18:33: Und das hat sie aber oftmals genauso getan, dass sie nach der Schule auf jeden Fall für

00:18:38: uns alle da war.

00:18:39: Also immer so gearbeitet hat, dass sie gearbeitet hat, während wir in der Schule waren.

00:18:44: Damit wir tatsächlich unsere Hausaufgaben machen und da immer jemand ist, so setz ich

00:18:48: sie hat uns nie uns selbst überlassen sozusagen.

00:18:51: Und ich glaube, man kann so was nur machen, in dem man dann auf viele andere Dinge verzichtet.

00:18:56: Und meine Eltern sind beide Akademikerinnen, betone das immer gerne einmal, weil das eben

00:19:03: auch nicht unüblich ist für akademische Familien, dass die Kids dann eben auch eine

00:19:06: akademische Bildung erfahren oder dass Bildung einen großen Stellenwert hat.

00:19:10: Und das war natürlich unser Glück auch, weil ich mein, man kann ja auch aus einer Bildungsferne

00:19:14: Familie kommen und dann in Armut leben.

00:19:16: Das macht es dann noch schwieriger oftmals für die Kids.

00:19:19: Wir waren arme, aber akademische Bildung und überhaupt, dass das eine Priorität hat.

00:19:23: Das war von Tag eins immer da.

00:19:26: Meine Mutter hat mir das Lesen und Schreiben beigebracht, bevor ich in die Schule gekommen

00:19:29: bin.

00:19:30: Und das gilt für meine anderen Geschwister genauso.

00:19:31: Also das war alles ein riesengroßer Vorteil und Privileg, dass wir das hatten.

00:19:35: Ich habe sie das auch deshalb gefragt, ob sie sich als Kind arm gefühlt haben, weil ich

00:19:39: ein Archeninterview gelesen habe von Bernd Siegelko, im Grunde und Leiter des Kinderhilfswerks

00:19:45: Arche, was mich beeindruckt hat.

00:19:47: Er wird darin gefragt, wann ein Kind in Deutschland arm sei und er antwortet.

00:19:52: Dann habe ich ihm zuletzt ein Junge in einer der Archen gesagt, wir sind nicht arm, wir

00:19:58: haben nur kein Geld.

00:19:59: Und das hat mich echt beeindruckt.

00:20:02: Hätten Sie den Satz als Kind auch so sagen können oder gesagt?

00:20:06: Das kann ich natürlich nicht beantworten aus heutiger Perspektive.

00:20:09: Aber ich habe schon immer gesehen und deswegen habe ich das gerade auch betont und das nicht

00:20:13: aus einem Klassismus heraus.

00:20:14: Ja, wir mögen arm gewesen sein, aber trotzdem haben wir Bücher gelesen zu Hause, sondern

00:20:18: will damit nun Privileg deutlich machen, weil man gerne beides gleichsetzt.

00:20:24: Bildungsferne, Realität und Armutsrealität sozusagen.

00:20:28: Und ich glaube, dass das zwei unterschiedliche Sachen sind und ich habe immer gewusst, dass

00:20:33: wir uns ganz viele Sachen nicht leisten können.

00:20:34: Das merkt man als Kind.

00:20:35: Wenn ich nicht in Urlaub oder sonstige Sachen oder weil Sie es auch angesprochen haben,

00:20:39: als mein Vater damals gegangen ist, weiß ich noch, dass wir sozusagen in einer Phase

00:20:43: waren, in der ich den Eindruck hatte, es geht so bergauf.

00:20:46: Meine Eltern konnten mehr machen als Helfer-Tätigkeiten.

00:20:48: Die hatten sozusagen einen gefestigteren Aufenthaltstitel und ich dachte, es geht für uns jetzt endlich

00:20:53: bergauf.

00:20:54: Wir bewegen uns in Richtung Mittelschicht.

00:20:55: Das war so mein Gefühl, dass wir hatten.

00:20:57: Und das stürzte sofort ab in dem Moment, als mein Vater da nicht mehr da war und meine

00:21:01: Mutter dann alleine erziehend war, weil das einfach faktisch nicht möglich war für sie

00:21:04: mehr zu arbeiten als das, was sie gearbeitet hat, weil sie auf ihre Kinder aufpassen wollte.

00:21:08: Und es eher wichtig war, dass wir sozusagen nach der Schule unsere Hausaufgaben machen

00:21:12: und uns nicht selbst überlassen sind.

00:21:14: Und da weiß ich noch, dass wir einfach diesen Moment hatten.

00:21:16: Er war weg und wir waren dann in einer neuen Wohnung und auf einmal kamen sozusagen eine

00:21:21: Bekannte aus dem Umfeld meiner Mutter, die mit so Altkleidersäcken ankam und uns das

00:21:26: Angeboten hat, Kleidung.

00:21:28: So, das war eine total nette Geste.

00:21:30: Aber diesen Moment habe ich nie vergessen, weil ich das Gefühl hatte, wir sind schon wieder

00:21:34: an diesem Punkt, wo man ganz unten ist.

00:21:36: Und das habe ich als Kind durchaus wahrgenommen oder als Teenie zu dem Zeitpunkt und dachte,

00:21:41: krass, wir müssen uns wieder hochkämpfen.

00:21:43: Und habe aber nie einen Zweifel gehabt daran, dass wir das schaffen werden.

00:21:47: Aber es sind sozusagen so Momente, die man nicht vergisst, klar.

00:21:50: Bernd Siegelkohl, ich komme zurück auf dieses Interview nochmal, um zu sagen, was er gemeint

00:21:55: hat.

00:21:56: Weshalb diese Geschichte überhaupt erzählt von dem Jungen, der halt sagt, wir sind nicht

00:22:01: die Armen, wir haben nur kein Geld, weil er sagt, sei einfach ein Unterschied materielle

00:22:06: Armut zu spüren oder eben zu merken, dass aus der materiellen Armut eine emotionale

00:22:12: Verarmung wird, so nennt er das.

00:22:15: Dann nämlich, wenn Eltern keine Perspektive mehr sehen und ihren Kindern nicht vermitteln

00:22:20: können, dass im Leben mehr auf sie wartet, etwa als Bürgergeldbezieherin zu werden.

00:22:26: Und Bernd Siegelkohl sagt dann noch dazu, dass Bürgergeld sei in Wahrheit "ein Verbrechen

00:22:32: an unseren Kindern", weil es jetw.

00:22:34: Anreiz klingt, sich anzustrecken.

00:22:37: Stimmen Sie ihm dazu?

00:22:38: Nein, auf gar keinen Fall, weil das, ich glaube, dass man, also ich verstehe immer diese Logik

00:22:47: nicht, zu glauben, dass Menschen gerne in Armuts sind.

00:22:51: Also ich glaube eigentlich nicht, dass Menschen gerne in Armuts sind.

00:22:53: Und es gibt bestimmt Menschen, die sich das bequem finden oder das okay finden, sozusagen

00:23:01: von sozialen Leistungen zu leben und können damit sozusagen ihr Leben durchsorfen.

00:23:05: Ich glaube nicht, dass es für den Großteil der Menschen gilt, die in Armut leben, weil

00:23:09: die Bedingungen, unter denen man lebt, wenn man in Armut lebt, bedeuten vor allem Verzicht

00:23:13: an ganz vielen Stellen, Verzicht für sich selbst und Verzicht auch für die eigenen Kinder

00:23:16: und Perspektiven, die man hat.

00:23:18: Und ich glaube, die Frage, dass wir ne sozialen soziale Sicherungssysteme in Deutschland haben,

00:23:23: dass wir es nicht so für wir uns schämen müssen, sondern das ist etwas, was wichtig

00:23:27: ist, weil ehrlicherweise viele Menschen, die dieses Argument immer heranführen, so nach

00:23:31: dem Motto, wenn man Bürgergeld hat, dann möchten die Leute irgendwie nicht mehr arbeiten

00:23:35: gehen und wir sehen immer wieder anhand der Zahlen, dass es gar nicht so viele Menschen

00:23:38: gibt, die das sozusagen ausnutzen und die meisten Menschen den Anspruch haben zu sagen, ich

00:23:42: möchte in den Job kommen, der sozialversicherungspflichtig ist, dass ich irgendwie einen Selbstwertgefühl

00:23:47: habe und dass ich meinen Kindern auch was gönnen kann.

00:23:50: Auch das stellt man immer wieder fest, dass gerade Eltern, die sozusagen dann mehr Mittel

00:23:54: zur Verfügung haben, ist dann meistens bereitstellen für ihre Kinder.

00:23:57: Ich habe ein anderes Menschenbild, glaube ich, das dem voraus geht.

00:24:01: Ich glaube einfach nicht daran, dass Menschen grundsätzlich sich denken, ist mir doch alles

00:24:04: egal und wurscht.

00:24:05: Aber wenn ich es von den Kindern her denke, dann bin ich der Überzeugung, warum es wichtig

00:24:11: ist, dass wir vernünftig und funktionierende staatliche Institutionen und Strukturen haben

00:24:14: wie Kita und Schule.

00:24:15: Nicht jeder hat das Glück, Eltern zu haben oder in einem Umfeld aufzuwachsen, wo ich die

00:24:20: Möglichkeit habe, dass ich eben das zu Hause gelesen wird, dass es vernünftige Nahrung

00:24:25: gibt, dass man seinen Hobbys und seinen Talenten und seinen Idealen nachgehen kann.

00:24:30: Und ich glaube, das muss man am Ende des Tages in solchen Strukturen eben fördern oder kompensieren

00:24:35: oder andere Fähigkeiten sozusagen aus den Menschen herauskitzeln, die vielleicht Eltern

00:24:41: nicht sehen.

00:24:42: Also all das finde ich ist notwendig in diesen Institutionen und deswegen glaube ich, ist

00:24:45: es notwendig, dass man das sich erstellt und wiederum, wenn man davon ausgeht, dass

00:24:50: wenn wir jetzt kein vernünftiges Bürgergeld haben oder noch Geringeres, so glauben man

00:24:55: straf dann nur die Erwachsenen.

00:24:57: Das finde ich ist schon absurder Gedanke, so weil ich so nicht auf Menschen blicke und

00:25:00: ich finde auch nicht, der Staat sollte so auf Menschen blicken.

00:25:02: Aber wen es trifft, sind doch dann auch die Kids am Ende des Tages.

00:25:06: Und was will ich denen eigentlich beibringen damit?

00:25:08: Ich glaube, wir müssten Kindern die Möglichkeiten, die Perspektiven und Chancen eröffnen und

00:25:12: ermöglichen und zeigen, du kannst alles werden.

00:25:14: Und deine Herkunft bestimmt nicht darüber, wer du sein kannst.

00:25:17: Ja, das ist das ganz alte Thema.

00:25:20: Kann der Staat das Problem lösen oder verhebt er sich daran?

00:25:24: Wir haben ja in Deutschland, muss man sagen, eigentlich einen fast ausufernden Sozialstaat.

00:25:29: Auch die staatlichen Leistungen für Kinder und Jugendliche sind auf dem Papier zumindest.

00:25:35: All die Jahre lang gestiegen und doch haben sie erkennbar nichts an der Situation von

00:25:40: Kinder und Jugendlichen geändert.

00:25:42: Laut UNICEF leben mehr als eine Million Kinder in Deutschland dauerhaft in Armut und der

00:25:48: Anteil armer Kinder und Jugendlicher ist seit einem Jahrzehnt unverändert hoch.

00:25:53: Schreiben die da.

00:25:54: Das ist ja Wahnsinn.

00:25:55: Deshalb noch mal grundsätzlich gefragt und auch am Schluss gefragt.

00:25:58: Was hilft wirklich gegen Armut?

00:26:01: Ich will dazu einmal sagen, ich glaube, den Rückschluss daraus zu ziehen, dass der

00:26:06: Sozialstaat sich dann mehr rausziehen möchte, wird die Zahlen auch nicht verbessern.

00:26:11: Wenn das sozusagen der Rückschluss ist, den wir ziehen, die Situation hat sich nicht

00:26:14: verbessert.

00:26:15: Deswegen gebe ich noch weniger als Staat aus.

00:26:17: Finde ich eine steile und mutige These und würde sagen, wir würden noch mehr Kinder und

00:26:21: noch mehr Menschen in Armut treiben.

00:26:23: Weil die gleichen Menschen, die sozusagen diese Position und Thesen vertreten, auf der

00:26:27: anderen Seite immer wieder die Frage stellen, wie kann es sein, dass in Deutschland Menschen

00:26:31: auf der Straße leben?

00:26:32: Wir wollen dieses Bild und wir wollen diese Gesellschaft eben auch nicht haben.

00:26:35: Wir möchten nicht, dass Menschen sozusagen durch das soziale und durch die gesellschaftlichen

00:26:40: Raster durchrasseln, weil am Ende des Tages führt es eben auch zu so unfassbar krassen

00:26:45: Gesellschaftlichen wie finanziellen Kosten, wenn wir uns nicht frühzeitig darum kümmern.

00:26:49: Ich glaube, bei der Frage von Armut ist natürlich das, was entscheidend wichtig ist, Erwerbstätigkeit.

00:26:55: Da müssen wir uns nichts vormachen.

00:26:57: Ich bin niemand, der sich hinstellt und sagt, Leute sollen nicht arbeiten und der Staat soll

00:27:01: das alles aufhören.

00:27:02: Bullshit.

00:27:03: Aber ich bin auch davon überzeugt, dass Leute unterschätzen, wie schnell es gehen kann,

00:27:08: dass man eben keine gesicherte Strukturen hat, kein Auffangenez Soziales hat.

00:27:12: Und das ist deswegen wichtig, dass man den Sozialstaat hat und es ärgert mich auch in

00:27:16: Zeiten von Haushaltskrisen, dass wir immer den gleichen Reflex haben.

00:27:21: Und zwar zu sagen, wir müssen beim Sozialstaat sparen, damit das alles wieder funktioniert

00:27:27: und Zeitgleich Diskussion und Debatten darüber führen, dass Menschen Abstiegsängste haben,

00:27:31: dass der Rechtsruck irgendwie krasser wird.

00:27:33: Das sind doch alles Fragen, die daran gekoppelt sind.

00:27:35: Ich glaube, soziale Sicherungssysteme sind dafür geschaffen, dass wir temporär und zeitweise

00:27:40: aufgefangen werden und dass wir im Grundsatz als Ermöglichen müssen, dass Menschen in

00:27:45: Erwerbsfähigen Alter und Kapazitäten die Möglichkeit haben, selber Geld zu verdienen.

00:27:49: Aber niemand soll die Arroganz besitzen zu glauben, ich hatte es heute nicht getroffen,

00:27:53: deswegen kann es mich morgen nicht treffen.

00:27:54: Und dann blickt man, glaube ich, anders auf diese Fragen.

00:27:56: Und von daher zu der Frage, was Amu tatsächlich bekämpfen kann, dann sind es mehrere Komponenten.

00:28:02: Ich weiß, dass man sich die Antwort wünscht.

00:28:03: Man macht diese eine Maßnahme und dann ist Armut bekämpft.

00:28:07: Wir sehen, dass Armut über Generationen vererbt wird und deswegen bin ich der Überzeugung,

00:28:12: dass Staat nicht alles regeln wird.

00:28:13: Also diese Illusion muss man sich nehmen.

00:28:16: So, da wird Familie, da werden Eltern und diejenigen, die sich dazu entscheiden, Kinder zu bekommen,

00:28:20: immer eine Verantwortung tragen.

00:28:21: Und ich finde auch, das müssen wir deutlich kommunizieren, weil man manchmal, glaube ich,

00:28:24: zu sehr in eine Diskussion kommt, das kann Staat alles auffangen.

00:28:27: Das glaube ich nicht.

00:28:28: Davon bin ich nicht überzeugt.

00:28:29: Aber ich glaube, dass der Staat vernünftige Strukturen vorweisen muss,

00:28:33: und zwar im Bereich Kita-Grundsicherung, im Bereich Kindergrundsicherung, im Bereich Schule und so weiter und so fort.

00:28:40: Wir sehen immer wieder, dass gerade, dass die Herkunftsfamilie und das Haus, aus dem ich komme, darüber entscheidet,

00:28:46: welche gesellschaftliche Entwicklung ich dann ervollziehen werde und ob ich es schaffe,

00:28:50: aus der Armut herauszukommen.

00:28:51: Und ich glaube, wir müssen als Staat es vorsehen, dass Menschen unabhängig von ihrer Herkunft

00:28:56: die Möglichkeit haben, die Chancen zu nutzen, die sie nutzen können.

00:28:59: Und ich glaube, dass man das vor allem dann kann, wenn man Kinder von Kindesbeinen an darin unterstützt, ihre Stärken zu sehen.

00:29:05: Und ich besuche in Schleswig-Holstein unfassbar viele Kitas.

00:29:08: Und ich sehe da so viele Kids, bei denen ich weiß, ihr wisst gar nicht, was auf euch wartet.

00:29:12: Ihr seid alles tolle Kids und ich weiß trotzdem, für dich wird schwieriger sein als für dich.

00:29:17: Und deswegen ist für mich sozusagen Kita-Politik, die größte Sozialpolitik, die man machen kann,

00:29:21: es allen zu ermöglichen, die gleichen Chancen zu haben.

00:29:24: Und das ist unsere Aufgabe als Politik.

00:29:27: Frau Thurie, herzlichen Dank.

00:29:28: Richtig klasse. Danke, dass Sie sich die Zeit genommen haben.

00:29:32: Das Interview haben wir am 14. Mai gegen 14 Uhr aufgezeichnet.

00:29:35: Die Redaktion hatten Freyar Reis und Marie Steffens.

00:29:39: Executive Producerin ist Marie Schiller.

00:29:41: Sounddesign, Hannes Husten.

00:29:43: Vermarktung macht für uns die mit Vergnügen.

00:29:46: Es ist eine Produktion der Will-Media.

00:29:48: Und wenn ihr mögt, was wir hier so machen, dann abonniert uns doch gerne.

00:29:51: Würde uns sehr freuen. Bis bald. Tschüss.

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